- Politik
- Was die Bibel verschweigt-Alfred Pfabigan suchte es zu ergründen
War vielleicht doch alles anders?
Von Sabine Neubert
Gut kommen die Frauen nicht gerade weg in Alfred Pfabigans «Bibel». Vor allem trifft Eva, mehr als in den kanonischen Berichten, die Schmäh - gleich im ersten Kapitel, dem «Buch Ephraim». Eva lässt sich vom Satan nicht lange nötigen, die Frucht des Ungehorsams vom Lebensbaum zu pflücken, «auf der Stelle» verzehrt sie sie. Im zweiten Bericht, dem «Buch Adam und Eva», büßt Adam seine Schuld und stellt sich vierzig Tage in den Euphrat. Eva aber, die er zum Tigris geschickt hat, um sich dort ins Wasser zu stellen, verfällt ein zweites Mal dem Satan. Es folgt die Vertreibung aus dem Paradies, das im «Buch Ephraim» zugleich die «heilige Kirche» ist, und so kommt die Erbsünde in die Welt. Kain, in den nun der Satan fährt, tötet seinen Bruder Abel wegen der verführerischen Schwester Lebuda. So geht es fort durch die Generationen bis hin zum reichen, bzw. armen Hiob. Dessen Weib Sidito hält lange dem Satan stand, aber dann wird sie doch schwach, als sie die Würmer an Hiobs Leib nicht mehr ertragen kann. Und was antwortet ihr der Geplagte? «Zu einem jener unverständigen Weiber will er (der Satan) dich machen, die seit Evas Zeiten der Männer Einfalt täuschen.» Die Geschichte von der gewalttätigen Judith allerdings endet mit dem «Triumph der Femme fatale» (Alfred Pfabigan). - Soweit zu den alttestamentlichen Schriften. Im «Neuen Testament» wird alles noch fantastischer. Der Knabe Jesus formt Tauben aus Lehm und lässt sie fliegen, er tötet aber auch mal einen Spielkameraden, den er nicht mag, und richtet dauernd Unfug und Zauber an. Der Kampf Jesu mit dem «Obersatrapen Satan» gleicht Mysterienspielen. Im «Evangelium Barnabas» wird nicht Jesus, sondern Judas gekreuzigt. Jesus überlebt und ver kündet, dass nicht er selbst der Messias ist, sondern ein gewisser Mohammed. Besonderes Interesse haben die Verfasser der Schriften an der Erbsünde, das heißt an den Verführungen fleischlicher Lüste und deren Bekämpfung. Marias Jungfräulichkeit wird gründlich untersucht. In den «Wundertaten des Apostel Johannes» kastriert sich ein reuiger junger Mann selbst mit einer Sichel und wirft sein Glied der Ehebrecherin ins Gesicht. Man braucht kaum noch zu erwähnen, dass es auch drastische Endzeitvisionen gibt...
Der österreichische Kulturwissenschaftler Alfred Pfabigan, der sich sonst zumeist mit Gegenwartsproblemen auseinandersetzt («Thomas Bernhard. Ein österreichisches Weltexperiment» und zuletzt «Die Enttäuschung der Moderne») hat sich mit seiner «Anderen Bibel» einem kulturhistorischen Stoff zugewandt. Wohl nicht zufällig. Immerhin ist die Bibel die berühmteste Anthologie aller Zeiten und «Basistext unserer westlichen Kultur». Aber die Bibel ist das Produkt der Kanonisierung, also einer autoritativen Auswahl aus einer Fülle von Berichten, Erzählungen, Spruchsammlungen und Visionen. Nur Weniges fand Aufnahme, eine Unzahl von Texten und Autoren wurde nicht nur verworfen, sondern auf den Index gesetzt. «An vielen der Texte klebt Blut der Menschen, die damals an sie geglaubt haben.» Pfabigan hält die Kanonisierung für einen Verarmungsprozess. Viele so genannte apokryphe Texte (in denen die religiöse Aussage verborgen, verdeckt ist) und pseudepigraphische Schriften (die unter Pseudonym verfasst wurden) sind zu Unrecht vergessen oder verschwiegen worden. Sie erst machen den ganzen Reichtum orientalischer Erzählkunst, gnostische und manichäische Traditionen (und die Auseinandersetzung damit), aber auch die Synthese zwischen christlich jüdischem und griechisch-antikem Gedankengut deutlich. Einiges ist zudem für das Verständnis von Sakralkunst von Bedeutung. Manche der Texte sind immer bekannt gewesen, viele sind erst in späterer, ja jüngster Zeit wiederentdeckt worden.
Der Textkomplex neutestamentlicher Apokryphen wächst noch immer.
Alfred Pfabigan hat nun einfach den Versuch unternommen, eine zweite, eine Gegen-Bibel zusammenzustellen. Und siehe da: Entstanden ist ein buntes Er zählwerk, märchenhaft, pikant, geheimnisvoll, mysteriös. Erstmals als «Die andere Bibel» veröffentlicht, hat das Buch nun den Titel «Gottes verbotene Worte» er halten. Pfabigan setzt - augenzwinkernd - noch mehr auf esoteriksüchtige Leser, was ihm mancher Kritiker schon früher ankreidete. Für andere gibt es im Vorwort philosophische Lesarten von Feuerbach über Freud bis Wittgenstein. Was Pfabigan leider verschweigt oder zu wenig ver deutlicht, sind die Leistungen der frühen Kirche, die aus einem Wust von Berichten auswählte, Spreu vom Weizen trennte und den, wenn auch vielleicht anfechtbaren, Kanon schuf. Denn: Entgegen späterer kirchlicher Praxis kommen die Frauen beispielsweise im Neuen Testament gar nicht so schlecht weg - und mit den Wundern hält es sich auch in Grenzen.
Alfred Pfabigan: Gottes verbotene Worte. Was die Bibel verschweigt. Eichborn Verlag Frankfurt (Main). 432 Seiten, geb.. 39 DM.
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