Ein Kontinent auf Wanderschaft
Die Filmreihe »Afrikamera« präsentiert aktuelles Kino aus Afrika
Die sechste Auflage des Berliner Afrika-Filmfestes trägt den Untertitel »Re_Imaging Africa« und ist Teil eines auf drei Jahre angelegten Projekts. Es soll eine Plattform für strategische Partnerschaften zwischen Europa und Afrika geschaffen werden, die mit Seminaren und Workshops eine Vernetzung zwischen Filmschaffenden, afrikanischen Filmfestivals und deutschen Filmschulen anstrebt. Für die Filmschulen soll es im kommenden Jahr zusätzlich ein Austauschprogramm mit den immer zahlreicher werdenden afrikanischen Filmschulen geben. Auch das in Berlin vorgestellte Filmprogramm wird in Deutschland und quer durch Afrika auf Filmfest-Tournee gehen.
Die Filme selbst vermitteln ein anschauliches Bild von Ländern, die hierzulande selten auf der Leinwand auftauchen. Vom Inselstaat der Komoren im Indischen Ozean erzählt zum Beispiel die nordfranzösische Regisseurin Hachimiya Ahamada (»L’ivresse d’une oasis«). Von der Heimat ihrer Eltern, die ihr selbst fremd geworden ist. Vom leerstehenden Haus, das ihr Vater in der Heimat bauen ließ, wie es die Tradition von einem verlangt, der sich in die europäische Fremde aufmacht. Von der Großmutter, mit der sie keine Sprache mehr teilt. Und von den politischen Verwerfungen, die sich daraus ergeben, dass drei der vier Hauptinseln der Komoren unabhängig sind, während die vierte unter Frankreichs Flagge blieb - und deutlich reicher ist.
Die Migrationsbewegung zur französischen Nachbarinsel (samt wiederholter Zwangsrückführung), die sich für die Männer des Inselstaats aus dieser Grenzziehung ergibt, führt ein Thema ein, das sich leitmotivisch durch das afrikanische Kino zieht: das der Auswanderung und nationalen Identität. Auch die Schüler von Troumaron, einem Armenghetto von Port Louis, Hauptstadt von Mauritius, träumen sich in »Les enfants de Troumaron« weg von der Insel. Zersiedelte Viertel, Gewalt und Prostitution bestimmen ihren Alltag, der kaum weiter entfernt sein könnte vom Traumbild der weißen Strände, das das touristische Bild des Inselstaates prägt. Ein Jugendfilm - inhaltlich voraussehbar, ästhetisch durchschnittlich -, der aber von einer Gegend berichtet, die man in diesen Bildern so bisher nicht imaginierte.
Im eindrucksvollen Dokumentarfilm »Espoir Voyage« (Hoffnung Reise) von Michel K. Zongo geht es dagegen um innerafrikanische Migrationsbewegungen. Hier ist es die Elfenbeinküste, zu der sich die jungen Männer aus Burkina Faso aufmachen, um Arbeit auf den Plantagen zu suchen. Eine Art kollektives Initiationsritual, das für Zongos älteren Bruder mit seinem Verschwinden endete. Der Filmemacher macht sich auf die Reise, um die Wege der Arbeitsmigranten nachzuvollziehen und sichere Nachricht vom bisher nur vermuteten Tod des Bruders einzuholen.
In »Gito, the Ungrateful« (Gito, der Undankbare) von Léonce Ngabo, dem Klassiker der Filmreihe, kehrt der Titelheld dagegen zurück aus der Fremde, ein Diplom in der Tasche, elektronische Geschenke im Gepäck und den Kopf voller großer Rosinen. Seiner französischen Freundin hat er die Ehe versprochen und dass er sie nachholt, sobald er zu Amt und Würden gelangt ist - mit einem Pariser Diplom in der Tasche könne das in Burundi allenfalls Wochen dauern. Zuhause aber wartet der Prätendent vergeblich auf die Berufung, verstrickt sich stattdessen in eine Affäre und wird sein kostbares Diplom schließlich entnervt zerreißen.
Zwei Filme packen die Frage an, wie sich politische Willensbildung manipulieren lässt. Stimmenkauf ist Thema von »Atalaku« (Marktschreier) von Dieudo Hamadi, einem Dokumentarfilm über einen bestechlichen Hilfsprediger im Präsidentschaftswahlkampf 2012 der Demokratischen Republik Kongo. Der trommelt Wähler für jeweils den Kandidaten zusammen, der ihn gerade dafür bezahlt. Doch macht er mit dieser schamlosen Manipulation am Ende nichts anderes als seine Mitbürger, die für ihre Wählerstimme ganz selbstverständlich Geld, Essen und Geschenke erwarten. Und Jean-Pierre Bekolo lässt in seinem essayistischen Spielfilm »Le Président« am Beispiel Kamerun explizite Worte über die koloniale Mentalität europäisch gebildeter afrikanischer Polit-Eliten in einen direkten Aufruf zum Widerstand münden - es ist nicht verwunderlich, dass dieser Film in Afrika bisher kaum zu sehen war.
»Imbabazi - The Pardon« (Die Begnadigung) schließlich findet eine filmische Form für die Frage nach Vergeltung oder Versöhnung, die sich nach einem Genozid wie dem in Ruanda stellt. Regisseur Joel Karekezi wird zur Vorstellung seines Films am Mittwochabend anwesend sein - und auch Bundespräsident Joachim Gauck hat sich dafür angekündigt.
12.11.-17.11., Kino Arsenal, Potsdamer Straße 2, Kartentel. 030/26 95 51 00, Infos unter www.afrikamera.de
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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