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Morde, nicht Mörder bestrafen

Stefan König über alten Geist im aktuellen Strafrecht

  • Lesedauer: 4 Min.

»Mörder ist«, so beginnt der zweite Absatz des § 211 des Strafgesetzbuchs (StGB), und fährt fort: »wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken, einen Menschen tötet.« So heißt es seit 1941 - und die angekündigte Initiative Schleswig-Holsteins, zum Beispiel diese Bestimmung zu ändern, kann nur begrüßt werden.

Im ersten Absatz ist nämlich geregelt, was mit dem Mörder geschieht: »Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.« Bei den Nationalsozialisten gab es für ihn nur die Todesstrafe. Das ist der einzige Unterschied zur heutigen Fassung. Sonst ist der Mordparagraf noch immer nationalsozialistisches (Täter-)Strafrecht. Bestraft wird die Person, die sich als Mörder geoutet hat. Ihr Handeln ist Symptom für deren Schlechtigkeit, die darin deutlich wird.

»Der Gesetzgeber hat ihn ganz einfach hingestellt«, schrieb Roland Freisler, später Präsident des Volksgerichtshofs, »damit der Richter ihn ansehen und sagen kann: Das Subjekt verdient den Strang.« Ähnlich auch der mit »Totschlag« überschriebene § 212 des StGB, wonach »Totschläger« ist, wer tötet, ohne Mörder zu sein. Ihm drohen mindestens fünf Jahre.

Dieses Täterstrafrecht ist dem übrigen Strafrecht des Rechtsstaats fremd. Das stellt sonst ein Handeln unter Strafe, das im StGB (möglichst) genau umschrieben wird. Hier bleibt das Unwerturteil von der Person, vom »Typ« des Täters getrennt. Er wird nicht aus der Gesellschaft ausgestoßen, hat die Chance der Resozialisierung. Im § 242 StGB (»Diebstahl«) heißt es nicht etwa: »Dieb ist, wer ...« Die Vorschrift bedroht vielmehr den mit (Geld- oder Freiheits-)Strafe, der einem anderen etwas nimmt, das ihm nicht gehört - und dabei in der Absicht handelt, sich das Weggenommene zuzueignen, ohne einen Anspruch darauf zu haben. Bei diesem handlungsorientierten Strafrecht spielt die Täter-Person erst in zweiter Linie eine Rolle. Insoweit nämlich, als die Beweggründe seines Handelns, sein Vorleben, sein Verhalten nach der Tat und weitere Umstände seine Handlung erklären, relativieren oder aggravieren - etwa bei menschenverachtenden, rassistischen Motiven, wenn es z.B. um Körperverletzung geht.

Als nach 1945 in der Bundesrepublik das Strafrecht von Vorschriften bereinigt wurde, die als Ausdruck NS-Denkens galten, blieb der Mordparagraf erhalten. Man meinte, er gehe auf ältere Wurzeln zurück. Als Vorbild wurde ein Entwurf des Schweizer Gesetzbuchs von Carl Stooss aus dem Jahr 1894 gesehen. Dort wurde die verwerflichste Art, einen Menschen zu töten, mit ähnlichen Motiven oder Begehungsweisen des Täters umschrieben und mit lebenslänglichem Zuchthaus bedroht wie im NS-Mordparagrafen.

Eine Untersuchung aus dem Jahr 2008, vorgelegt von Katharina Linka, hat das widerlegt: Sie zeigt, dass die Nationalsozialisten nicht nur ausdrücklich jeden ausländischen Einfluss bestritten. Sie nahmen überdies in ihren Tatbestand auch die »sonstigen niedrigen Beweggründe« auf. Die stellen in der heutigen Rechtsprechung - neben der »Heimtücke« - den Hauptanwendungsfall des § 211 StGB dar. Und sie sind ein Einfallstor für willkürliche Bewertungen.

Die geschichtliche und weltanschauliche Hypothek, die auf § 211 des StGB lastet, ist aber nicht das einzige Problem. Eine Abgrenzung zwischen dem Mord als höchst verwerflicher Tötung und einer »normalen« Tötung (Totschlag) führt in Einzelfällen immer wieder zu willkürlicher Grenzziehung. Das zeigen die Probleme mit dem Mordmerkmal der Heimtücke. Es wird umschrieben als Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers. In Fällen, in denen der Täter (häufig die Täterin) das körperlich überlegene Tatopfer, das ihn über Jahre gepeinigt und gedemütigt hat (Stichwort: Haustyrann) überraschend von hinten oder im Schlaf tötet, erscheint die lebenslange Freiheitsstrafe ungerecht. Prügelt der Tyrann sein Opfer vorher zu Tode, wird er als Totschläger geringer bestraft. Die Gerichte versuchen sich in solchen Fällen mit teils verstiegenen Konstruktionen aus dem Dilemma zu retten, das ihnen die starre Vorgabe des Mordparagrafen beschert.

Dadurch wird die Rechtsanwendung gerade in den Fällen uneinheitlich, in denen es um die Verteidigung des wichtigsten Rechtsguts - des Lebens - durch die Rechtsordnung geht. Sie verliert die Überzeugungskraft, die sie besonders hier benötigt. Die dringend notwendige Reform der Tötungsdelikte im StGB sollte darauf verzichten, für besonders verwerfliche Arten der Tötung (Mord) Regelbeispiele zu formulieren.

Die Tötung eines Menschen muss mit hoher Strafe geahndet werden. Das mag auch eine lebenslange Freiheitsstrafe sein. Die Gerichte müssen aber im Einzelfall alle Umstände berücksichtigen können, die für die Gewichtung der Schuld des Täters Bedeutung haben. Sie dürfen nicht in besonders gravierenden Fällen von vornherein auf ein bestimmtes Strafmaß festgelegt sein. Eine solche Öffnung des Strafrahmens gibt dem Richter hohe Verantwortung an die Hand. Dem muss dann auch eine Stärkung der Verteidigung entsprechen.

Der Gesetzgeber ist vor schwierige Aufgaben gestellt. Es wird Zeit, dass er sie in Angriff nimmt.

Stefan König, geboren 1955 in Saarbrücken, ist Fachanwalt für Strafrecht in Berlin-Kreuzberg.

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