Zum Wohle der Unternehmen im Norden
WTO-Verhandlungen in Bali: Der indische Aktivist Biraj Patnaik sieht die Ernährungssicherheit in Gefahr
nd: Die Verhandlungen auf der WTO-Ministerkonferenz in Bali kommen nicht voran. Vor allem Indien wird dafür verantwortlich gemacht. Warum?
Patnaik: Die EU und die USA versuchen bei diesen Verhandlungen, die Länder des Südens zu spalten. Sie machen die Annahme des Maßnahmenbündels zur Stärkung der ärmsten Staaten davon abhängig, dass die Entwicklungsländer den beiden anderen Teilabkommen des Bali-Pakets - den Handelserleichterungen und dem Agrarabkommen - zustimmen. Dadurch ist der Druck, dem vorliegenden Kompromissvorschlag beim umstrittenen Thema Nahrungsmittelreserven zuzustimmen, enorm hoch. Dieser Vorschlag sieht eine Erlaubnis von staatlichen Subventionen zur Bildung von Lebensmittelreserven lediglich für vier Jahre vor.
Warum ist dieser Punkt so wichtig?
Aus indischer Sicht ist dies ein großes Problem bei der Versorgung der Bevölkerung in Krisenzeiten. Indien, das auf der Ausweitung staatlicher Subventionen zur Ernährungssicherheit besteht, wird deswegen als Buhmann dargestellt und für die Schwierigkeiten bei der Verabschiedung des Bali-Pakets verantwortlich gemacht.
Die Fronten bei der WTO-Konferenz scheinen verhärtet. EU-Handelskommissar Karel de Gucht forderte die indische Regierung zu mehr Flexibilität auf und warnte davor, dass Indiens Blockadehaltung »das Fundament der WTO ins Wanken bringen« könnte. Laut dem indischen Handelsminister Anand Sharma ist die Nahrungsmittelsicherheit für sein Land jedoch »nicht verhandelbar«. Weltweit hingen vier Milliarden Menschen von staatlichen Ernährungshilfen ab, deshalb sei die ablehnende Haltung Indiens zur von den USA vorgeschlagenen vierjährigen Höchstlaufzeit für den Aufbau von Nahrungsmittelreserven eine »endgültige Entscheidung«. AFP/nd
Hat die indische Regierung hierbei Bündnispartner?
Bei dem Vorstoß zur Ernährungssicherheit handelt es nicht um eine indische Initiative. Er ging von den 46 Entwicklungsländern der G33-Gruppe (Staaten mit hohem Anteil an bäuerlicher Bevölkerung, d. Red.) gemeinsam aus. Vielen dieser Staaten würde der jetzige Verhandlungsstand künftig verbieten, ihre Bauern zu unterstützen. Es handelt sich also um einen Interessenkonflikt zwischen den ärmeren Staaten und den großen Unternehmen des Nordens.
Welche Haltung nehmen die anderen G33-Staaten ein?
Bisher stehen die meisten noch zu dem ursprünglichen Vorschlag, das Verbot der Bildung von Nahrungsmittelreserven zu staatlich festgelegten Preisen dauerhaft aufzuheben. Doch hinter den Kulissen wird heftig Druck ausgeübt, insbesondere seitens der USA und der EU. Sie benutzen finanzielle Hilfszusagen an die ärmsten Staaten, um diese dazu zu bewegen, mit der Position der G33 zu brechen. Aus meiner Sicht sind es die USA und die EU, die einen Konsens über das Bali-Paket verhindern.
Haben nichtstaatliche Gruppen Einfluss auf die Verhandlungen?
Problematisch ist, dass die Verhandlungen zumeist hinter verschlossenen Türen geführt werden. Das stärkt die Position der großen Unternehmen aus den reichen Ländern. Es geht um Lobbyarbeit, bei der die Stimme der Zivilgesellschaft, von Bauernorganisationen oder Frauengruppen einfach nicht gehört wird.
Dem brasilianischen WTO-Chef Roberto Azevedo zufolge ist ein Konsens in Bali im Interesse aller Länder, insbesondere der armen Staaten. Wie beurteilen Sie dies?
Für die Entwicklungsländer beinhaltet das Bali-Paket zwei große Nachteile: Einerseits werden wir von den Industriestaaten gezwungen, dem Themenblock der Handelserleichterungen zuzustimmen - eine Öffnung unserer Märkte, die vor allem den Unternehmen im Norden nützt. Andererseits sollen wir auf unser Recht verzichten, die einheimischen Bauern mit Subventionen zu unterstützen. Das ist vollkommen ungerecht.
Welche Probleme beschert der Freihandel den Ländern des Südens?
Zuerst muss gesagt werden, dass echter Freihandel noch nie existiert hat und wohl auch nie existieren wird. Freihandel ist viel mehr ein Druckmittel, um Ländern wie Indien Bedingungen aufzuerlegen. Unter anderem sollen die Entwicklungsländer ihre Märkte für Produkte öffnen, die in den Industriestaaten hoch subventioniert werden. Zum Beispiel ist Baumwolle von US-Farmern konkurrenzfähiger als die indischer oder westafrikanischer Farmer. Auch wenn die USA eigentlich dazu verpflichtet sind, die Subventionen zu kappen, geschieht dies nicht. Wie bei den europäischen Exportsubventionen, die offiziell abgeschafft wurden, gelingt es den Industriestaaten immer wieder, ihre Staatshilfen so umzudefinieren, dass sie nicht unter die Verbote der WTO fallen. Aber es bleiben Subventionen und sie bringen die Landwirte im Norden immer wieder in eine bessere Marktposition.
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