Abbruch beim Abriss
Sachsen-Anhalts Wohnungsverbände kritisieren Bundespolitik
Die Zahl beeindruckt: 200 000 Wohnungen sind in Sachsen-Anhalt in den vergangenen 23 Jahren abgerissen worden; 356 000 Wohnungen blieben bei den Genossenschaften und kommunale Gesellschaften erhalten. Sie sind heute zu 97 Prozent saniert. Gern haben sich die Vermieter nicht von ihrem Eigentum getrennt. Allerdings blieb ihnen nichts anderes übrig. Die Bevölkerungszahl in dem Bundesland ist von über drei auf noch 2,29 Millionen gesunken, und weniger Bürger heißt auch: deutlich weniger Mieter.
Eigentlich gäbe es für die Abrissbirne auch in den nächsten Jahren noch ausreichend Arbeit: Prognosen gehen davon aus, dass die Zahl der Sachsen-Anhalter bis 2025 auf 1,9 Millionen sinken wird. Jost Riecke vom Verband der kommunalen Wohnungsgesellschaften spricht von einer »zweiten Leerstandswelle«, die auf die Unternehmen zurollt. Wenn diese vor ernsthaften wirtschaftlichen Problemen bewahrt werden sollen und blinde Fenster nicht zum Straßenbild in den Städten und Wohnquartieren gehören sollen, müsste weiter abgerissen werden.
Danach aber sieht es derzeit nicht aus. Hauptgrund ist, dass die Regelung zur Altschuldenhilfe am Ende dieses Jahres ausläuft und vom Bund auch nicht mehr verlängert wird. »Die Messen sind gesungen«, sagt Ronald Meißner, Chef des Verbandes der Wohnungsgenossenschaften. Bei den Altschulden handelt es sich um fiktive Verbindlichkeiten, die Wohnungsunternehmen der DDR zugeschrieben und für diese seit 1990 zur schwerwiegenden finanziellen Bürde wurden. Bisher wurden sie wenigstens für Wohnungen erlassen, die abgerissen wurden - was für die Vermieter einen erheblichen Anreiz darstellte, sich am Stadtumbau zu beteiligen.
Damit wird es ab Januar vorbei sein. »Wir rechnen mit einem Einbruch«, sagt Meißner. Sollten sich Vermieter doch zum Abriss entschließen, verblieben die Schulden in ihren Büchern. Dazu sähen sich die Unternehmen »nicht in der Lage«, sagt Meißner. Die Folge dürfte sein, dass die Leerstände deutlich in die Höhe schießen. Zahlen dazu sind bereits weitgehend bekannt. Ein Gutachten über »Neue Anreize für den Stadtumbau Ost«, dass der Bund in Auftrag gegeben hat, auf dessen Veröffentlichung er aber bisher wegen der wohl unbequemen Daten verzichtete, geht von 117 000 leer stehenden Wohnungen allein im am stärksten betroffenen Bundesland Sachsen-Anhalt aus. Jährlich kommen 7600 neue dazu. Abgerissen werden dürften aber kaum mehr als 1000, erwartet Meißner. Unterm Strich wächst der Saldo also Jahr für Jahr um 6000.
Angesichts solcher Szenarien hatten die Ost-Vermieter bis zuletzt auf eine Anschlussregelung gedrängt - vergebens. Zum einen scheine das Thema 23 Jahre nach Ende der DDR »politisch verbrannt«, sagt Meißner. Zum anderen habe die Bundespolitik offenbar den Eindruck, die Situation sei derzeit entspannt. Das ist nicht ganz falsch, aber wird sich ohne Abriss schnell zum Schlechten ändern, warnt Meißner. »Das Problem wächst wieder, und zwar so lange, bis es richtig weh tut.« Fatal sei, dass viel Zeit verschenkt werde und in der Zwischenzeit zudem mühsam gesammeltes Wissen verloren zu gehen droht: Kommissionen für den Stadtumbau etwa seien mancherorts wegen der unklaren Perspektive schon im Zerfall begriffen. In ein paar Jahren müsse der Prozess dann wieder ganz von vorn beginnen. Das aber, sagt Meißner, heiße auch: »Er wird viel mehr Geld kosten.«
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