Eine große Sause eröffnet das Leipziger Milliardengrab

Der City-Tunnel ist fertiggestellt - viel zu spät und für viel mehr Geld als einst versprochen

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Kosten für den Leipziger City-Tunnel haben sich verdoppelt. Dafür müssen das Land und die Bahnnutzer in Sachsen gerade stehen.

Am Samstag lassen sie es richtig krachen. Der Leipziger City-Tunnel wird eröffnet, und der sorgfältig choreografierte Freudentaumel soll die ganze Region erfassen. Zunächst gibt es Bahnhofsfeste von Oschatz bis Hoyerswerda und Bitterfeld bis Zwickau. Dann rollen etliche neue, silberne S-Bahnen per Sternfahrt nach Leipzig. Derweil werden 400 besonders wichtige Personen durch die Doppelröhre des Tunnels gekutscht, um diesen sowie die vier Bahnhöfe offiziell in Betrieb zu nehmen. Mittags beginnt ein Festakt mit Sachsens Regierungschef Stanislaw Tillich und Bahnchef Rüdiger Grube. Später gibt es Freifahrten und eine Party im Hauptbahnhof. Ein Leipziger Boulevardblatt rechnet für die Sause mit Millionenkosten.

Zyniker sagen: Darauf kommt es nun auch nicht mehr an. Schließlich hat der Tunnel das einstmals veranschlagte Budget schon vor Jahren gesprengt. 915 Millionen D-Mark, also 468 Millionen Euro, sollte das Bauwerk kosten, als es in den 90er Jahren politisch durchgeboxt wurde. Das war viel Geld; trotzdem beschloss der Leipziger Stadtrat 1995 den Bau. Als Stadt, Land, Bund und Bahn 2002 die Rahmenvereinbarung für den Tunnel unterschrieben, war bereits von 572 Millionen Euro die Rede.

Der Leipziger City-Tunnel

Eine Doppelröhre mit vier Bahnhöfen, die Leipzigs Innenstadt in Nord-Süd-Richtung unterquert - das ist der neue City-Tunnel. Er verbindet den Haupt- und den Bayrischen Bahnhof, wodurch S-Bahnen nicht mehr im weiten Bogen um das Stadtzentrum herum

fahren müssen. Inklusive Rampen und Zufahrten misst das Bauwerk gut fünf Kilometer. Die Röhren sind je 1438 Meter lang und haben knapp neun Meter Durchmesser. Sie wurden per Schildvortrieb von der Tunnelfräse »Leonie« in den Grund getrieben. Die vier Haltepunkte sind nur wenige hundert Meter voneinander entfernt; ihre Rolltreppen führen direkt auf den Markt und den Wilhelm-Leuschner-Platz. In Leipzig spricht man scherzhaft von einer U-Bahn - der kürzesten der Welt. hla

Danach arbeiteten sich die Bauarbeiter in den Untergrund vor, die Kosten kletterten derweil nach oben: im Juni 2006 war von 601 Millionen die Rede, anderthalb Jahre später sollten es schon 708 Millionen sein, im Oktober 2009 stand nur mit Mühe noch eine Acht an der ersten Stelle. Zu dem Zeitpunkt hatte der Tunnel eigentlich bereits ans Netz gehen sollen. Es brauchte jedoch noch zusätzliche vier Jahre Bauzeit und eine erneute Kostensteigerung auf jetzt 960 Millionen Euro, bis der Tunnel ans Netz geht.

Dass dies die endgültige Zahl ist, glauben Volker Külow und Dietmar Pellmann nicht. Die Landtagsabgeordneten der LINKEN haben zum Unmut der sächsischen Verkehrsminister regelmäßig den Stand der Kosten abgefragt und beizeiten das Wort vom »Milliardengrab« geprägt. Dass in der Endabrechnung auch diese Schwelle genommen wird, halten sie für »unstreitig«. Das Vorhaben sei von Anfang an »kleingerechnet worden, um es politisch durchsetzen zu können«.

Dabei zogen die sächsischen CDU-Regierungen unter Kurt Biedenkopf und Georg Milbradt sowie die Leipziger SPD-Rathauschefs Hinrich Lehmann-Grube und Wolfgang Tiefensee an einem Strang. Von Bedenken kaufte man sich notfalls frei. Als der Bund die optimistischen Angaben zu den Baukosten immer wieder in Frage stellte, preschte Sachsen 2001 vor - und versprach dem Bund, die Risiken zu übernehmen. So stand es später in den Verträgen. Diese haben zur Folge, dass die Kostenlast für den Bund zwar um ein Fünftel und für die Bahn um ein Zehntel stieg. Der Anteil Sachsens an den Baukosten aber erhöhte sich im Laufe der Zeit um 316 auf 498 Millionen Euro - ein Plus von beeindruckenden 173,62 Prozent.

Nachzulesen ist das in einem Bericht des Rechnungshofs, der das Projekt 2011 unter die Lupe nahm - und zu dem Schluss kam, dass von Anfang an viel zu knapp kalkuliert worden sei. Dazu kamen Planungsänderungen, steigende Material- und Baupreise, Ausgaben wegen höherer Anforderungen an die Sicherheit sowie wegen der Verlängerung der Bauzeit von sechs auf zehn Jahre. Dass die Mehrkosten vor allem am Land hängen bleiben, sei einem Vertragswerk zuzurechnen, das der Rechnungshof »unvorteilhaft« für das Land nennt.

Unvorteilhaft ist es vor allem für die Nutzer des Nahverkehrs im Freistaat. Schließlich wurden vor allem die für diesen Zweck geplanten Mittel geplündert, um am Prestigebau in Leipzig die immer neuen Löcher stopfen zu können. In Leipzig selbst wurde die S-Bahn nach Grünau eingestellt, beklagt die LINKE. Anderswo in Sachsen wurde beim Ausbau gebremst. Dabei hätte man, merkt die grüne Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen an, von der in Leipzig verbauten Milliarde »das gesamte sächsische Bahnnetz ertüchtigen können«.

Gebaut hat man statt dessen eine fünf Kilometer lange Mini-U-Bahn. Ob diese hält, was versprochen wird, und ob etwa die Zahl der S-Bahn-Nutzer von jetzt 48 000 am Tag wirklich um 30 Prozent steigt, bleibt abzuwarten. Die S-Bahn von Leipzig nach Halle etwa bleibe hinter den Erwartungen zurück, sagen Pellmann und Külow. Das wirkliche Verhältnis von Kosten und Nutzen gehört für sie zu den vielen offenen Fragen nach der Eröffnung. Am Samstag beim Fest indes wird danach wohl nicht gefragt.

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