Mit dem Bleistift im Uranschacht
Chemnitzer Galerie präsentiert die Kunstsammlung der Wismut, deren Zukunft unklar ist
Die Orden glänzen in dichter Reihe auf der Brust von »Brigadier M.« Auf den Kragenspiegeln seiner pechschwarzen Uniform blitzen silbern die gekreuzten Schlegel der Bergleute. Das Bild, dass Alexandra Müller-Jontschewa im Jahr 1987 von dem Wismut-Kumpel schuf, scheint einen Helden der Arbeit zu zeigen. Die Augen in seinem zerfurchten Gesicht blicken allerdings nicht stolz, sondern skeptisch. Und der Hintergrund, vor der M. von der Malerin platziert wurde, gleicht einer Mondlandschaft: gründlich zerwühlte Erde, der Himmel schmutzig grau.
Ein Vierteljahrhundert früher hatte die Wismut ihre Arbeiter noch in ein anderes Licht setzen lassen. Milde Morgensonne scheint über der Szenerie des Bildes »Ehrlich arbeiten« zu liegen, das Carl Kuhn 1963 schuf. Eine Gruppe Arbeiter steht im angeregten Gespräch vor Lastwagen und Baggern. Sie scharen sich um einen Mann, der seinem Anzug nach eher ein Funktionär als ein Kumpel ist. Worum es geht, lässt weniger die Bildsprache als vielmehr der Titel ahnen: um Fleiß, Anspruch, Arbeitsmoral.
Die Bilder von Kuhn und Müller-Jontschewa sind Teil einer beispiellosen Kunstsammlung, die derzeit in der Neuen Sächsischen Galerie im Chemnitzer »TIETZ« erstmals in repräsentativer Auswahl zu sehen ist. Zwischen Ende der 50er und der 80er Jahre gab die Wismut in großem Stil Wandbilder, Porträts und Grafikmappen in Auftrag, erwarb Drucke und Skulpturen oder lud Künstler zu Pleinairs ein. Exakt 4158 Werke von 458 Künstlern vereinte die Sammlung am Ende. Sie war damit die mit Abstand größte, die ein DDR-Betrieb je anlegte.
Die bildende Kunst zu fördern, war selbstverständlich nicht der ureigenste Auftrag der Wismut. Die im Jahr 1946 gegründete Sowjetische, später Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) förderte im Erzgebirge, dann auch in Ostthüringen und der Sächsischen Schweiz massenhaft Uran. Das radioaktive Metall ging zum Großteil in die sowjetische Rüstungsproduktion. An die große Glocke gehängt wurde das nicht: Das Unternehmen, das Zeit seines Bestehens abgeschottet und geheimnisumwittert blieb, galt manchen als Staat im Staate DDR. Rücksicht wurde weder auf die Landschaft noch die Gesundheit der Kumpel genommen: Ganze Orte verschwanden; an ihrer Stelle entstanden monströse Halden und Teiche voll strahlenden Schlamms. Und nicht wenige der insgesamt 400 000 Arbeiter erkrankten und starben an Krebs oder Staublunge.
Zugleich bemühte sich der Bergbaubetrieb nach den wilden Anfangsjahren, den Kumpeln nach ihrer harten Arbeit unter Tage geistigen Ausgleich zu verschaffen. 17 Bibliotheken entstanden, es gab Arbeitertheater und künstlerische Laienzirkel, ein Kunstpreis wurde verliehen. Auch bei der täglichen Arbeit sollten die Wismut-Beschäftigten mit Kunst in Berührung kommen: Bilder hingen in Kulturhäusern, aber auch Büros und Kantinen. Vor allem in den frühen Jahren verband man damit freilich nicht nur ästhetische Ansprüche, sondern auch moralische und ideologische. Die oft großformatigen Auftragswerke zeigten nicht die tatsächliche Arbeitswelt der Kumpel, sondern ein Bild der Arbeit und der Arbeiter, das der hehren poliitschen Theorie entstammte. Manche der Gemälde seien »eher Plakate«, sagt Mathias Lindner, der Direktor der Neuen Sächsischen Galerie: »Und viele der damaligen Künstler sind richtig schlecht.«
Das allerdings ist nur ein Teil der Wahrheit über die Sammlung, die öffentlich lange Zeit kaum wahrgenommen wurde und erst ins Bewusstsein rückte, als 2011 erwogen wurde, einen Teil der Bilder im künftigen Archäologischen Landesmuseum im ehemaligen Kaufhaus Schocken in Chemnitz auszustellen. Es regte sich erbitterter Widerstand, dessen Wortführer namhafte Vertreter der einstigen alternativen Kunstszene von Karl-Marx-Stadt waren. Die Sammlung wurde auf die ideologisch überfrachteten Auftragswerke von künstlerisch zweifelhaftem Wert reduziert; die Rede war sogar von »Verbrechenskunst«. Chemnitz sei, sagt der Soziologe Karl-Siegbert Rehberg aus Dresden, damit zu einer »späten Station im Bilderstreit« geworden, der bereits seit den 90er Jahren um die Frage des Umgangs mit Kunst aus der DDR tobte.
Die Schau mit dem hintersinnigen Titel »Schicht im Schacht« erlaubt einen nüchterneren und differenzierteren Blick. Anhand der rund 150 Werke, die Lindner und sein Ko-Kurator Paul Kaiser auswählten, ist zu erleben, dass die Sammlung nicht nur »Hofmalern« offen stand, sondern sich ab den 1970er Jahren deutlich weitete. Unter der Obhut des eigens mit ihrer Betreuung beauftragten Rolf Düsedau traten die Großaufträge in den Hintergrund; vielmehr wurde direkt in Ateliers und im Kunsthandel gekauft. Fortan finden sich auch Namen wie Werner Tübke und Bernhard Heisig, Arno Rink und Baldwin Zettl. Neben Motive aus dem Bergbau treten vor allem in der Grafik vielfältigste Sujets.
Nicht zuletzt wurde den Künstlern, die in das Unternehmen kamen, auch erstmals erlaubt, die Kumpel unmittelbar bei ihrer Arbeit zu erleben; sie durften quasi mit dem Bleistift in den Uranschacht einfahren. Zunehmend entstanden so authentische Porträts, atmosphärische Schilderungen der Arbeitswelt - und unverstellte Blicke auf die geschundene Landschaft, die der Bergbau etwa um Ronneburg hinterließ. Auch dafür finden sich Beispiele in der Schau.
Nicht zuletzt derlei Wandlungen in den Sichtweisen stellen neben ihrem schieren Umfang den heutigen Wert der Sammlung dar, glaubt Katja Margarethe Mieth, die Chefin der sächsischen Landesstelle für Museumswesen. Sie spricht von einem »in sich geschlossenen Dokument«, das die Arbeits- und Unternehmenskultur in diesem sehr speziellen DDR-Bergbauunternehmen im Wandel der Zeiten nachvollziehen lasse. Die Sammlung stehe »exemplarisch für Kunst aus der DDR«, fügt Rieth hinzu und plädiert dafür, sie in ihrer Gesamtheit zu erhalten.
Ob das freilich gelingt, ist derzeit völlig offen. Zwar gehörte es zu den glücklichen Umständen der Geschichte, dass die einstige SDAG Wismut nach dem Ende der DDR nicht der Treuhand anheimfiel und filetiert wurde - was vermutlich auch das Ende der Sammlung bedeutet hätte. Vielmehr wurde sie als Wismut GmbH zu einem Unternehmen des Bundes, dem die Sanierung der Bergbaufolgen im einstigen Wismut-Revier übertragen wurde. Doch diese Aufgabe wird in nicht allzu ferner Zukunft abgeschlossen sein; der Betrieb dürfte dann abgewickelt werden.
Angestoßen von der Chemnitzer Schau werden derzeit verschiedene Varianten in Erwägung gezogen. Denkbar wäre, die Sammlung in ein bestehendes Museum der Region einzugliedern - wobei sich, fürchtet Rieth, manche Einrichtung nicht nur von der schieren Menge der Bilder überfordert fühlen dürfte, sondern auch vom politischen Ballast. In der Wismut selbst sei das jetzige Management fest entschlossen, ein Konzept für den Umgang mit dem Betriebserbe zu entwickeln, sagt Geschäftsführer Hardi Messing. Dazu allerdings gehörten neben knapp 4200 Kunstwerken auch ein kompletter Bestand aller Personalakten, ein geologisches Archiv und weitere historische Schätze. Messing macht aus seinen Wünschen kein Hehl: »Am liebsten«, sagt der Firmenchef, »hätte ich ein Wismut-Museum.«
»Schicht im Schacht. Die Kunstsammlung der Wismut«. Bis 26. 1. 2014, Neue Sächsische Galerie im TIETZ, Moritzstraße 20, Chemnitz, täglich, außer Mittwoch, 11-17 Uhr.
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