Präsidentin für ein soziales Chile
Bachelet will in ihrer zweiten Amtsperiode eine neue Verfassung und eine Bildungsreform
»Das ist ein historischer Moment«, rief Bachelet am Wahlabend vor Tausenden jubelnden Anhängern im Zentrum der Hauptstadt Santiago, »der Moment für grundlegende Veränderungen ist gekommen«.
Bachelet kam auf rund 62 Prozent der Stimmen, Matthei auf 37,8 - das schlechteste Ergebnis für die Rechte seit dem Ende der Militärherrschaft von Pinochet 1990. Die Wahlbeteiligung erreichte mit geschätzten 47 Prozent einen historischen Tiefstand.
40 Jahre nach dem Putsch von General Augusto Pinochet spielten die Militärdiktatur und der Umgang mit der jüngeren Geschichte bei dieser Wahl noch einmal eine Rolle. Beide Kandidatinnen sind Töchter von Luftwaffengeneralen, deren Leben nicht unterschiedlicher sein könnte: Während Bachelets Vater zu den ersten Opfern des Putsches gehörte, war Matthei senior drei Jahre lang Mitglied der Militärjunta.
Auch Deutschland spielte im chilenischen Wahlkampf eine Rolle. Die deutschstämmige Kandidatin der rechten Allianz für Chile verglich sich gerne mit Angela Merkel. Ihren Vorschlag, die Ausbildung chilenischer Arbeitnehmer nach deutschem Vorbild zu verbessern, begründete sie mit rhetorischen Griffen in die Mottenkiste des Kalten Krieges: »Unser Projekt zielt auf das Deutschland Merkels, deren Projekt auf das Deutschland der Berliner Mauer.« Die Anspielung ist klar - Bachelet war von 1975 bis 1979 im Exil in der DDR.
Aber nicht nur der Kalte Krieg ist lange vorbei, sondern auch die Militärdiktatur in Chile liegt fast ein Vierteljahrhundert zurück. Für die heute 20- bis 30-Jährigen ist sie Geschichte, Auseinandersetzungen der Politiker darum sind für sie schwer nachvollziehbar. Vor allem fühlen sie sich immer weniger von der immer gleichen Politikerkaste vertreten. Mangelndes Vertrauen in Politiker, Politik und Parteien ist die wichtigste Ursache für ihre Wahlenthaltung, und viele junge Chilenen finden, dass ihre Interessen keine ausreichende Berücksichtigung finden. Entsprechend hoch ist der Anteil der Nichtwähler.
Drei zentrale Themen hat Bachelet: Eine neue Verfassung, eine grundlegende Bildungsreform und Nachbesserungen der Sozialsysteme. Dafür kann sich die wiedergewählte Staatspräsidentin in den kommenden vier Jahren auf Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments stützen. Hinter ihr steht mit der Neuen Mehrheit für Chile das erst 2009 gegründete Parteienbündnis aus Sozialisten, Sozialdemokraten, Christdemokraten und Kommunisten. Es stellt 71 von 120 Abgeordneten und 21 von 38 Senatoren. Das reicht allerdings nicht für Maßnahmen wie ein neues Grundgesetz.
Eine »aus der Demokratie geborene Verfassung, die Rechtsstaatlichkeit garantiert und zu einem neuen Sozialpakt wird«, versprach die Wiedergewählte noch am Wahlabend. Für ein neues Grundgesetz ist eine Dreiviertelmehrheit erforderlich. Da die rechte Opposition eine Änderung der Verfassung aus der Pinochet-Diktatur ablehnt, führt der Weg nur über eine juristisch umstrittene verfassunggebende Versammlung, zu der sich Bachelet eindeutig bekannte.
Ihr Ziel, die Schul- und später auch die Universitätsausbildung für alle kostenfrei zu machen, hat große Erwartungen geweckt. Eine Weichenstellung im Bildungs- wie auch im Sozialwesen in Richtung sozialer Gerechtigkeit muss die gesellschaftlichen Bedingungen ändern. Eine grundlegende Bildungsreform ist nicht denkbar, ohne Privilegien der Bessergestellten zu beschneiden. »Wir werden die erforderlichen grundlegenden Veränderungen verantwortungsvoll weiterführen«, versprach sie den Wählern, dämpfte aber zugleich die Erwartungen: »Wir werden diese Aufgabe in dem Bewusstsein angehen, dass sie über eine Präsidentschaftsperiode hinausgeht.«
Auch könnte die Präsidentin auf Widerstand in den eigenen Reihen stoßen, wie schon in ihrer ersten Amtsperiode. Sieben linke Abgeordnete, unter ihnen die bekannte Studentenaktivistin Camila Vallejo, die eine von der Kommunistischen Partei angeführte Fraktionsgruppe bilden, kamen über die Liste der Neuen Mehrheit ins Parlament. Trotz Unterstützung für die neue Präsidentin werden sie nicht alles mitmachen.
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