Generation Hoyerswerda
Volkmar Wölk über die Weihnachtszeit in und vor deutschen Wohnzimmern
Mit acht jugendlichen Neonazis hatte es angefangen. Auf dem Marktplatz griffen sie vietnamesische Händler an. Das Wohnheim für Vertragsarbeiter, in das sich die Angegriffenen flüchteten, wurde umgehend von mehreren Dutzend Neonazis belagert. Der Vorgang wiederholte sich am nächsten Abend, Steine und Molotowcocktails flogen. Anwohner unterstützten die Aktion. Fazit: Fast alle früheren Vertragsarbeiter wurden abgeschoben.
Am gleichen Tag kam es zu Angriffen auf das Flüchtlingsheim der Stadt. Das gleiche Bild. Nazis greifen an, die Bürger der Stadt schauen zu und stacheln teilweise noch an, es gibt 32 Verletzte. Wiederum einen Tag später rückt das Polizei-SEK an, transportiert die Flüchtlinge ab und bringt sie in Sicherheit.
Das war Hoyerswerda im September 1991. Das Landratsamt hatte schon vorher kapituliert: »Es besteht einheitliche Auffassung dazu, dass eine endgültige Problemlösung nur durch Ausreise der Ausländer geschaffen werden kann.«
»Endgültige Problemlösung«. Den Begriff »Endlösung« hatte man wohlweislich vermieden. Höhepunkt der rassistischen Welle, die in Hoyerswerda ihren Anfang nahm, war das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen im August 1992 mit den Angriffen auf das »Sonnenblumenhaus«. Mehrere hundert Rassisten waren an den Attacken beteiligt, ein Mob von bis zu 3000 Einwohnern applaudierte.
Die Zeiten haben sich geändert. Die damaligen Aktivisten der Anschläge und Übergriffe haben sich die Haare wachsen lassen, sind zum größten Teil brave Familienväter. Ja, es rollt wieder eine rassistische Welle durch das Land. Wie damals in Ost und West. Wie damals mit dem Ausgangspunkt im Osten. Wie damals mit Sachsen als Schwerpunkt. Hoyerswerda heißt heute Schneeberg. Und Schneeberg zeigt, dass sich die Methoden geändert haben.
Der applaudierende und anheizende Bürgermob ist zur Bürgerinitiative mutiert. Das Mobilisierungsflugblatt ist durch die Facebook-Gruppe abgelöst. Statt des menschenverachtenden Songs »Barbecue in Rostock« der Band »No Remorse« mit der Liedzeile »How do you like your Turks? Do you like ›em well done?« (»Wie magst du deine Türken? Magst du sie durchgebraten?«) liefern heute regionale Hymnen wie das »Steigerlied« oder »Deitsch un frei wolln mr sei!« den musikalischen Background. Der Fackelmarsch heißt heute »Lichtellauf«. Und es werden auch keine Molotowcocktails mehr geworfen. Stattdessen bringt der örtliche NPD-Stadtrat Spielzeug für die Flüchtlingskinder ins Heim, eine ehemalige Kaserne abseits der Stadt. Wir sind doch richtig zivilisiert geworden in Deutschland, oder? Selbst unsere Nazis, die so nicht mehr heißen mögen, da das laut NPD ein »völlig veralteter Begriff« sei.
Einiges ist gleich geblieben. Es wird noch immer von der »Flüchtlingswelle« gesprochen und geschrieben, die auf uns zurollt und einem Tsunami gleich alles unter sich begraben wird. Medien, bürgerliche Politiker, natürlich die Nazis: Sie mobilisieren die alten Ängste. Jeder in Lampedusa gelandete Flüchtling will in meinen Vorgarten. Es sind diese Schlagworte, die irgendwann zu Brandsätzen werden.
Wer spricht Ende 2013 noch davon, dass den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Chemnitzer Flüchtlingsheim im Herbst ein Brandanschlag auf das Heim im Januar 2013 voranging? Nein, die Mobilisierung läuft weiter. Der als Moderator eingesetzte Leiter der Landeszentrale für Politische Bildung beruhigt. Es handele sich nicht um Rassisten, nur um besorgte Bürger. Da werden sich die bedrohten Asylsuchenden aber freuen. Also halb so schlimm.
Alles hat sich geändert. Alles ist gleich geblieben. In Güstrow, wo eine Flüchtlingsunterkunft entsteht, findet sich am Haus des Bürgermeisters das Graffito »Lichtenhagen«. Als im sächsischen Rötha Asylsuchende in einem Hotel untergebracht werden sollten, hieß es auf der einschlägigen Facebook-Seite: »Das wird das neue Sonnenblumenhaus!«. Anfang 2014 werden wieder Flüchtlinge in Hoyerswerda untergebracht. Die Generation Hoyerswerda hat erwachsene Kinder.
Der Autor ist Mitbegründer der Zeitschrift »Der rechte Rand«
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