Putin
Das US-Magazin »Forbes« kürte Russlands Präsidenten zum »mächtigsten Mann«
Der »mächtigste Mann der Welt« ist ja nicht gleich deren Herrscher. Doch 2013 war Wladimir Wladimirowitsch Putin eben Punktsieger über seinen Amtskollegen Barack Obama in den USA. Was ginge drüber? Der Geehrte bedankte sich: »Heute wird ein führender Repräsentant gekürt, morgen ein anderer und übermorgen ein dritter. Das ist normal.« Bescheinigt wurde ihm bei der Durchsetzung russischer Interessen, was seines Amtes ist: Erfolg.
Nicht nur »Forbes«-Chefredakteur Michael Noer führte ihn auf die Rolle Moskaus bei der Beilegung des Konfliktes um Syriens C-Waffen zurück. Im globalen Abhörskandal um die NSA fand dessen Auslöser Edward Snowden in Moskau großzügig Aufnahme »aus humanitären Gründen«. In der Krise um die Ukraine vereitelte Moskau - nach der »Forbes«-Ehrung im Oktober - den Durchmarsch seines alten Verbündeten ins andere Lager. Die Krönung des Gipfels zur Östlichen Partnerschaft einer allzu sorglosen Europäischen Union blieb aus. Die Begnadigung des Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski und eine Amnestie, die die wilden Punkerinnen von Pussy Riot und Greenpeace-Aktivisten einschloss, überraschte nicht nur die Begünstigten.
Mit alledem hat Russlands Präsident im ablaufenden Jahr dem US-Kollegen und manchen seiner Verbündeten Doppeladler und Roten Stern gezeigt. Der eine war Staatswappen in Zarenzeiten, seit dem Ende der Sowjets ist er es wieder. Dazwischen herrschten gut 70 Jahre Hammer und Sichel. Die von innen her leuchtenden rubinroten Sterne blieben als Symbole der gewesenen Supermacht. Auf den Kremltürmen gehören sie zum Weltkulturerbe.
Die fünfzackigen Sterne schmückten seit den 1930er Jahren die Machtzentrale von Generalsekretären der Kommunistischen Partei. Ein solcher oder gar ein Zar ist Wladimir Wladimirowitsch Putin nicht - wenn er auch wegweisende Reden oder prächtige Auftritte mit Kaisergarde hinlegt. Er erscheint im Gesamtbild ungleich moderner. Sonst wäre er vielleicht nicht im US-amerikanischen Wirtschaftsmagazin »Forbes« an die Spitze gelangt. Ranglisten werden dort in etwas anderen Sparten auch von Supermodel Gisele Bündchen oder TV-Star Ashton Kutcher angeführt. Herr Putin passt dazu. Wenn auch bereits 61-jährig, wird er ebenfalls gern für Eigenwerbung und Außendarstellung gebucht.
Der durchtrainierte Mann macht sogar mit bloßem Oberkörper in wilder Landschaft was her. Der schmucke Anblick ließe wohl auch manches schwule Wählerherz höher schlagen. Doch Homosexuelle lässt der Präsident durch seine Staatsduma per Gesetz »nicht traditioneller Beziehungen« bezichtigen. Sprechen die drüber und hört das wer, kann ihnen das als Straftat ausgelegt werden. Das findet im Gegensatz zur Empörung im Westen in Russland durchaus Volkes Beifall.
Auch wegen des Umgangs mit »Pussy Riot« nach ihrem wilden »Gebet« in der heiligen Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale musste er daheim Schelte nicht fürchten. Manche Rechtgläubige wären mit den jungen Frauen noch ganz anders umgesprungen. Vor allem auf dem Lande. In den Städten und Weiten des größten Flächenstaates der Erde mit seinen 143 Millionen Einwohnern wird dem Chef auch deftiges Wort nachgesehen. Der ist darum nicht verlegen. So nannte er den Protest auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz »Pogrom« und ranzte gegen die verhassten Tschetschenen, dass die Terroristen »bis auf das Scheißhaus« gejagt würden. Im Westen wird demokratisch selbstgefällig und mit wachsender Lust der ruppige Russe ohne europäische Kultur und Sinn für Menschenrechte beschworen.
Das verkennt absichtsvoll nicht nur den studierten Juristen. Auch der europäische Schliff eines Experten aus der Auslandsabteilung des sowjetischen Geheimdienstes wird unterschlagen. Der KGB war unter seinem legendären Chef Juri Andropow durchaus ein Elitedienst. Darin machte nicht jedermann Karriere. Die Geburt des kleinen Wolodja an einem 7. Oktober war eher zufällig - nicht aber die Verbindung des Genossen Putin mit der DDR, deren Nationalfeiertag das 40 Jahre lang war. Zur brüderlichen Ausforschung des engsten Verbündeten und in die Zone direkter Konfrontation im Kalten Krieg wurden die besseren Kader entsandt.
Den aus der immer noch heimlichen Hauptstadt Petersburg gebürtigen Spitzenmann sucht seine Hausagentur RIA Nowosti ins rechte Bild zu setzen. Der Präsident als Sportsmann. Kämpferisch und geschickt als Judoka, sinnend beim Schach, kämpferisch an der Box-Birne. Elegant erscheint er mit Anzug und Krawatte zum Curling und flink ist er als Formel-1-Pilot unterwegs, volkstümlich beim Bowling. Einmal haben sie nicht ganz aufgepasst. Da setzten sie Sportler Putin in den Zweierbob hinter den Steuermann. Der zweite Mann ist Anschieber - aber auch Bremser.
Kremldeuter ahnten es längst. Sie machen einen gewissen Überdruss des Volkes am Kremlchef aus. In rund 14 Jahren an der Spitze habe sich der Mann verbraucht. Seine Bilanz ist jedoch besser als die mancher Vorgänger. Leonid Breschnew stand am Ende für Stagnation, Michail Gorbatschow für Perestroika bis zum Zerfall, Boris Jelzin für verramschte Werte und im Westen für Demokratie - dabei hat er gerade davon eine Menge auf dem Gewissen.
Putin hielt Reste zusammen und schmiedet einen neuen Bund. Er kam auch mit Hilfe von Gas und Öl wieder in den Aufschwung, steht für bescheidenen Wohlstand. Auch für großen. Denn ihm gelang in vielleicht letzter Minute Stabilisierung. Es kehrten Strukturen und Regeln zurück. Das sicherte auch Oligarchen unbeschwerteren Genuss. Wenn sie nicht gerade wie Michail Chodorkowski wegen politischer Auffälligkeit von selektiver Gerechtigkeit getroffen und zehn Jahre in Lagerhaft genommen wurden. Das geahndete Verbrechen oder ähnliche haben auch andere auf dem Kerbholz - aber ungestört.
Die meisten Russen bleiben aber der Ansicht, Wladimir Putin habe für Russland mehr Gutes als Schlechtes bewirkt. »Die Menschen erinnern sich nicht besonders gut daran, was Wladimir Putin überhaupt versprochen hatte«, schränkt der Direktor des Zentrums für Meinungsforschung »Lewada«, Lew Gudkow, ein. Seine Kollegin Olga Kryschtanowskaja hat in ihrem »Laboratorium« herausgefunden, dass der Präsident auch bei den Jugendlichen im Lande der »populärste russische Politiker« ist. Weil er als Einziger in den Machtstrukturen »negativen Tendenzen die Stirn bieten« könne.
Der Präsident, so würdigte »Forbes« knapp, »hat seine Kontrolle über Russland festgezurrt«. Das gelang wieder einmal vermittels »der Partei«, allerdings abzüglich der Ideologie. Im Sozialismus gelangten Menschen nicht zuletzt wegen ihrer Mitgliedschaft im »Kampfbund« nach oben. Heute versammelt die Kremlpartei »Einiges Russland« vornehmlich jene, die sich schon an der Macht befinden.
Das Schmähwort von der »Partei der Gauner und Diebe«, das Kreml-Kritiker Alexej Nawalny prägte, fand Verbreitung. Künftig soll den Machterhalt eine »Allrussische Volksfront« flankieren. Wer in Wladimir Putin eine Art heimlich fortdauernde Sowjetmacht sehen will, sollte genau hinschauen. Spätestens die Freundschaft des mächtigen Russen mit Italiens gefallenem Silvio Berlusconi dürfte irritieren.
Opposition und Kritik werden traditionell klein und unter Kontrolle gehalten. Es bleiben die gewohnten Muster. Seit über 20 Jahren führt Gennadi Sjuganow redlich und routiniert die Kommunisten. Seit gut 23 Jahren provoziert Wladimir Shirinowski mit seinen vorgeblichen Liberalen, den Ultranationalisten. KP und LDPR sind institutionalisiert. Da weiß man, was man hat.
Auch an Wladimir Putin eben. Denn mag er auch an Zuspruch einbüßen, die höchste anzunehmende Niederlage bei einem Urnengang wäre die Stichwahl. Sein Wechselkandidat Dmitri Medwedjew im Amt des Präsidenten und als Kabinettschef soll liberaler sein. Doch der hat nur jenen Erfolg, den man als Liberaler in Russland so hat - herzlich wenig.
Bei der persönlichen Begegnung weiß Wladimir Putin zu gefallen. Kommen die Experten des »Clubs Valdai«, gibt es festen Händedruck, Antwort auf jede Frage und manchmal einen Scherz, in der Pause Plauderei. Doch hinter Äußerlichkeiten steckt nüchterne bis schneidende Vertretung von Interessen. Das wären jene »eisernen Zähne«, die einst hinter Michail Gorbatschows Lächeln vermutet wurden. US-Altpräsident Bill Clinton sagt: »Putin kann man vertrauen.« Er halte Wort. »Und überhaupt ist Putin sehr clever.«
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