Terroristenjagd in Kairo
Nach den Muslimbrüdern fürchten auch andere Regierungskritiker, stigmatisiert zu werden
Die »Tage des Zorns« haben nicht begonnen. Werden sie jemals beginnen? Niemand kann das im Moment sagen. Doch die Wut ist groß: Bei Anhängern der Muslimbruderschaft, die nun offiziell von der Regierung zu »Terroristen« erklärt worden sind. Aber auch bei anderen, oft linken Gruppen, die sich gegen den Kurs der Übergangsregierung gestellt haben.
Vor den Moscheen, den kleinen Gebetsräumen überall in Ägypten herrscht an diesem Freitag weitgehend Ruhe. Wieder einmal, wie so oft in den vergangenen Monaten, sind die Sicherheitskräfte in großer Zahl und mit großen Waffen auf den Straßen und Plätzen unterwegs. Ihre Aufgabe: Sie sollen den jüngsten Beschluss der Übergangsregierung, das Verbot jeglicher Demonstrationen von Anhängern der Muslimbruderschaft, durchsetzen.
Doch nur vereinzelt versammeln sich Gruppen von wenigen Dutzend Demonstranten. Das Verbot wirke, erklärt ein Sprecher des Innenministeriums: »Die drohenden harten Strafen schrecken ab.« Laut Strafgesetzbuch drohen mit der Einstufung der Muslimbruderschaft als Terrororganisation dem, der für sie wirbt, sie unterstützt, Funktionen in ihr ausübt oder an ihren Kundgebungen teil nimmt, nun bis zu fünf Jahre Haft.
Dass die Justiz allerdings dazu bereit ist, die Möglichkeiten des Gesetzes auch auszuschöpfen, bezweifelt man selbst im Innenministerium: »Wir haben die Staatsanwaltschaften auf unserer Seite«, sagt ein Mitarbeiter, »aber die Richter sind eine andere Sache.« Denn die sind anders als die Staatsanwaltschaften, die dem Innenministerium unterstehen, nicht weisungsgebunden und haben ihre Posten zum größten Teil von Ex-Präsident Hosni Mubarak erhalten oder wurden wiederum von jenem Ex-Präsidenten Mohammed Mursi eingesetzt, über den und dessen Anhänger sie und ihre Kollegen nun urteilen sollen.
Die Übergangsregierung selbst hat es bis heute nicht geschafft, eigenes Personal in großem Ausmaß in den Gerichten in Position zu bringen. Zum Einen, weil es schlicht an ausreichend qualifizierten und vor allem linientreuen Leuten fehlt. Zum Anderen, weil ein gar zu lautes Stühlerücken in den Gerichtssälen des Landes wohl einmal mehr das Ausland aufschrecken würde, wo man ohnehin nicht ernsthaft glaubt, dass das Volk das Militär gerufen hat, um die Demokratie zu schützen.
Zwar gibt sich die Übergangsregierung im Angesicht der ausländische Kritik betont gleichgültig. Doch hinter den Kulissen wird unter Hochdruck versucht, die zerschnittenen Tischtücher wieder zusammen zu nähen, indem man den Eindruck von Rechtsstaatlichkeit vermittelt.
So macht man bei der Übergangsregierung selbst in offiziellen Verlautbarungen kaum einen Hehl daraus, dass die Anschläge der vergangenen Tage ein recht willkommener Anlass dafür waren, die Muslimbruderschaft nun zur Terrororganisation zu erklären. »Die Gewaltakte der vergangenen Tage haben uns dazu bewogen, diesen Schritt, über den wir bereits seit Langem nachgedacht haben, endlich zu vollziehen«, sagt Vizeregierungschef Hossam Eissa: »Es ist eine Maßnahme, die wohl jedes demokratische Land in einer solchen Situation durchführen würde.«
Den Einwand, es sei noch gar nicht sicher, dass wirklich die Muslimbrüder, oder eine der vielen kleinen Gruppen, die sich von ihr im Laufe der vergangenen Monate abgespalten haben, dafür verantwortlich sind, blockt er ab: »Selbstverständlich ist das sicher; wer sollte es sonst gewesen sein?«
Doch längst sind die Einschränkungen der Bürgerrechte sehr viel universaler, als es die Regierung nach außen eingestehen will: Während Innenminister Mohammed Ibrahim und Vizepremier Eissa schwören, die Rede-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit sei darüber hinaus nicht eingeschränkt, machen Gewerkschaften, und regierungskritische Gruppierungen, deren Anzahl mit der Zahl der einschränkenden Gesetze zunimmt, andere Erfahrungen: Zuletzt lud die Sicherheitspolizei, ein De-facto-Geheimdienst, der erst kürzlich wiederbelebt wurde, am Freitag mindestens 150 Studenten vor, um sie zu ihren politischen Einstellungen zu befragen. Am Abend zuvor war während einer Studentendemonstration bei Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei ein Mensch getötet worden.
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