»Lehm muss man formen, solange er noch feucht ist«
nd-Solidaritätsaktion: In Senegal trägt die Rückkehr der Kleinbauern zu traditionellen Anbaumethoden Früchte
Ein Julitag vor einigen Jahren. Es regnet in Guédé, Senegal. Für den Besucher aus Deutschland nichts Besonderes. Aber ein tolles Ereignis für die Kinder, vergleichbar mit dem ersten tüchtigen Schneefall bei uns. Glitschiger Schlamm erlaubt schwungvolle Rutschpartien. Das Planschen in den großen Pfützen macht besonderen Spaß. Aber ein kleiner Junge, Nydasse, sitzt abseits und lässt sich nicht von der Begeisterung der anderen anstecken. Mein Begleiter übersetzt die Antwort auf meine unausgesprochene Frage: Nydasse hat Kopfschmerzen und keine Kraft, mit den anderen zu spielen. Ich höre, Nydasse ist nicht der Einzige im Dorf, dem es so geht. Viele Kinder, aber auch Erwachsene, fühlen sich nicht wohl. Die Dorfältesten machen sich Gedanken. Was ist das für eine geheimnisvolle Krankheit, die besonders die Kinder anfliegt? Und noch andere Dinge bereiten ihnen Sorge. Fisch kommt in der letzten Zeit kaum noch in den Topf, der Fluss gibt einfach keinen Fisch mehr her. Was ist da los?
Guédé ist ein typisches Dorf für die Region am südlichen Rande des Sahels. Es liegt direkt am Fluss Senegal, neun bis zehn Monate im Jahr ist es sehr heiß und trocken. Bis zu drei Monate regnet es dann etwas, aber doch zu wenig für den Feldbau. Die Felder müssen zusätzlich bewässert werden. 4000 Menschen leben dort, 30 Prozent von ihnen sind unter 15 Jahre alt (in Deutschland sind es etwa 16 Prozent). Das Dorf lebt von der Landwirtschaft. Angebaut werden Kohl, Zwiebeln, Tomaten und Reis.
Vor vielen Jahren waren Berater gekommen und hatten ihnen die Modernisierung ihrer Wirtschaftsweise empfohlen. Und zunächst erschien das auch als ein Schritt nach vorne - Pestizide drängten die Schädlinge zurück, synthetischer Dünger steigerte die Erträge. Aber inzwischen drücken die Schulden, die die Bauern gemacht haben, um Dünger und Pestizide zu bezahlen. Und dann sind da noch die mysteriösen Erkrankungen.
Bei einem Treffen mit Bauern aus anderen Dörfern bringen die Farmer von Guédé ihre Sorgen zur Sprache. »Der Fluss ist tot, seit die Felder im großen Stil mit Pestiziden besprüht werden«, bekommen sie von den Bauern aus den anderen Dörfern zu hören. »Und die Kopfschmerzen könnten von den Mitteln kommen, mit denen ihr eure Felder besprüht.« Der Umgang mit den Schädlingsbekämpfungsmitteln ist heikel. Aus Unwissenheit wird oft genug beim Spritzen nach dem Motto »Viel hilft viel« verfahren. In den letzten Jahrzehnten hat die Menge der für agrarische Zwecke vermarkteten Pestizide kontinuierlich zugenommen. Allein in der Europäischen Union werden jährlich mehr als 200 000 Tonnen Pflanzenschutzmittel (Wirkstoffe) verwendet. Von 2005 bis 2010 ist der Umsatz auf dem Weltmarkt von 31 Milliarden Dollar auf 38 Milliarden Dollar gewachsen. Im Vergleich zu 1950 stieg die Menge der eingesetzten Pestizide auf das Fünfzigfache.
Die Zeitschrift Öko-Test wies 2012 in Tomaten aus Senegal einen hohen Gehalt des Insektenmittel Deltamethrin nach. Einem Kind, das 150 Gramm von diesen Tomaten isst, drohen akute Gesundheitsschäden. PAN International (Pestizid Aktions Netzwerk) hat eine Liste von 400 hochgefährlichen Pestiziden veröffentlicht, die weltweit vermarktet werden und die in der praktischen Anwendung zu den Folgen führen, die die Bauern von Guédé erleben. Bei denen hat ein Umdenken eingesetzt. Sie haben sich entschieden: Wir gehen einen Schritt zurück und bauen wieder so an, wie es die Generationen vor uns getan haben. Ohne Pestizide, die sich früher oder später im Essen wiederfinden, und ohne synthetischen Dünger, der teuer ist und ökologische Nebenwirkungen hat.
In vielen Orten Senegals hat sich in den letzten Jahren ein neues Bewusstsein entwickelt, man vertraut wieder auf die eigenen Kräfte, so wie in Guédé. Die leeren Pflanzengiftdosen wurden eingesammelt und sicher verwahrt - bisher hatten die Kinder von Guédé gerne mit den achtlos weggeworfenen Dosen gespielt. Und es wurden gemeinsam sogenannte Feldschulen eingerichtet. Hier experimentieren die Bauern mit traditionellen Anbaumethoden. Sie lassen die gefährlichen Pestizide weg und lernen traditionelle Methoden kennen, mit denen sie ihre Pflanzen auf sanfte Weise vor Schädlingen schützen. Gedüngt wird mit selbst hergestellten Dünger. Die Ergebnisse dieses gemeinsamen Lernens lassen sich am Geldbeutel ablesen. Nach einer Übergangsphase stiegen die produzierten Mengen und die Erlöse. Das überzeugte die Bauern von Guédé. Unterstützung fanden sie bei ENDA/ProNat, einer Partnerorganisation des Berliner Weltfriedensdienst e.V. Gemeinsam fördern sie die Erprobung und Weiterentwicklung traditioneller und moderner ökologischer Anbaumethoden. Durch die Umstellung auf ökologische Anbaumethoden kann auf gefährliche Pestizide und teuren Kunstdünger verzichtet werden. Gleichzeitig werden zum Beispiel bei Mais, Sesam und Fonio, einer lokalen Hirsesorte, deutlich höhere Erträge erzielt.
»Lehm muss man formen, solange er noch feucht ist«, zitiert einer der Dorfältesten ein senegalesisches Sprichwort. Es entspricht dem Deutschen »Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr« und meint hier, dass Umweltbewusstsein bei jungen Menschen geweckt werden muss. Deshalb wurde in Guédé ein Schulgarten von 200 Quadratmetern angelegt. Dort lernen Nydasse und seine Freunde den Umgang mit Pflanzen kennen. Sie erfahren, welches Kraut gegen die Raupen und Fliegen gewachsen ist, die ihre Tomaten bedrängen. Wie muss ich säen oder pflanzen, um den Schädlingen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten? Und es geht nicht nur ums Essen. Auch dekorative Grünflächen werden im Schulgelände angelegt und gepflegt, Blumen bieten bunte Farbtupfer. Und damit das so bleibt, wird eine Hecke um den Schulgarten angepflanzt, die auch den Pflanzen Schatten spendet. Die Erfahrungen aus den praktischen Arbeiten werden in die Unterrichtsfächer integriert. In Biologie natürlich, aber auch im Sprachunterricht. Da werden Pflanzennamen gelernt und Texte übersetzt, die sich mit Umweltfragen beschäftigen, und in Sozialkunde wird über Nachhaltigkeit gesprochen. Für die Arbeit mit den Schülern hat sich inzwischen ein eigenes Netzwerk gegründet, das zwölf Schulen der Region umfasst. Deren Lehrer bilden sich regelmäßig fort und bald werden zumindest die weiterführenden Schulen über Computer verfügen. Das wird dann der Anschluss an die weite Welt sein und erlaubt es den Schüler und Schülerinnen, sich mit Altersgenossen im Ausland auszutauschen.
Bleibt die Frage, wie kommen die guten Sachen zu den Verbrauchern. ProNat organisiert deshalb die Vermarktung des ökologisch einwandfrei produzierten Obstes und Gemüses. Und zwar nicht nur in Senegal, sondern auch in Europa. ProNat stellt die Waren auf Bio-Fachmessen aus, zum Beispiel der BioFach in Nürnberg, wo vor allem die ökologisch angebaute Baumwolle gut ankam. Außerdem gibt es einen Internetshop, der allerdings noch nicht international funktioniert.
Nydasse ist in den sechs Jahren seit dem Besuch inzwischen ziemlich gewachsen. Kopfschmerzen hat er übrigens keine mehr. Und auch Fisch gibt es wieder öfter zu essen. Der kleine Schritt nach hinten hat sich für die Bauern von Guédé als großer Schritt nach vorne entpuppt.
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