Geisterhafte Debatte

Deutscher Städte- und Gemeindebund kritisiert CSU-Vorstoß zur Armutsmigration

  • Fabian Lambeck
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Streit um die Armutszuwanderung aus Osteuropa werden die Töne in der Koalition schriller. Unterdessen gehen die Kommunen auf Distanz zu populistischen Parolen und fordern konkrete Hilfe.

Innerhalb der Großen Koalition rumort es seit Tagen. Grund ist eine Beschlussvorlage der CSU für ihre traditionelle Klausurtagung in Wildbad Kreuth, die am 7. Januar beginnt. Unter dem Motto »Wer betrügt, der fliegt« schüren die Christsozialen darin Ängste vor einer verstärkten Armutsmigration aus Bulgarien und Rumänien. Anlass für das Papier ist die seit dem 1. Januar geltende Freizügigkeit für Arbeitnehmer aus den beiden südosteuropäischen EU-Staaten.

Doch nicht nur in der CSU beschwört man die Gefahr. Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok forderte am Freitag via »Bild« gar »Fingerabdrücke zu nehmen«, um Mehrfacheinreisen zu verhindern. »Zuwanderer, die nur wegen Hartz IV, Kindergeld und Krankenversicherung nach Deutschland kommen, müssen schnell zurück in ihre Heimatländer geschickt werden«, so der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlamentes gegenüber »Bild«. Das Bundesinnenministerium wiegelte sofort ab: Im Ausländerzentralregister mit seinen »25 Millionen personenbezogenen Datensätzen« dürften nicht einmal Passbilder gespeichert werden.

SPD-Fraktionsvize Carola Reimann warf der CSU am Freitag eine »ekelhafte« Doppelzüngigkeit vor. Während der Koalitionsverhandlungen sei die CSU nicht bereit gewesen, den betroffenen Kommunen zu helfen, so Reimann gegenüber der »Westdeutschen Zeitung«. Und das, obwohl die Städte um Unterstützung gebeten hätten, um das Problem in den Griff zu kriegen.

In die schriller werdende Debatte schaltete sich am Freitag auch die Kanzlerin ein. Wie der stellvertretende Regierungssprecher Georg Streiter verkündete, habe Angela Merkel mit SPD-Chef und Vizekanzler Sigmar Gabriel telefonisch vereinbart, am kommenden Mittwoch im Kabinett einen Staatssekretärsausschuss einzusetzen. Das Gremium werde klären, so Streiter, »ob und welche operativen Maßnahmen die zuständigen Ressorts gegen den möglichen Missbrauch von Sozialleistungen veranlassen können«.

Während CSU und einige CDU-Politiker vorgeben, die deutschen Kommunen vor dem unkontrollierten Zuzug schützen zu wollen, verorten diese das Problem ganz woanders. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) sieht keinen Zusammenhang zwischen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Armutszuwanderung. »Wer nach Deutschland kommen will, konnte dies auch zuvor schon«, betonte Verbandsgeschäftsführer Gerd Landsberg am Freitag in Berlin. Er bezeichnete den Vorstoß der Christsozialen als »geisterhaft«. »Die CSU beschreibt in ihren Maßnahmen die geltende Gesetzeslage«, so Landsberg. Und die ist eindeutig: Wer als arbeitssuchender EU-Bürger nach Deutschland zieht, hat keinen Anspruch auf Hartz IV. Allerdings könne man »die Menschen, die kommen, nicht verhungern lassen«, unterstrich Landsberg.

Generell gilt: Wer in Deutschland regulär beschäftigt ist, zahlt auch in die Arbeitslosenversicherung ein. Wer länger als ein Jahr seine Beiträge entrichtet hat und dann seinen Job verliert, hat Anspruch auf Arbeitslosengeld und später auf Hartz IV. »Ohne Abstriche«, wie eine Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit (BA) gegenüber »nd« betont.

Wer aber weniger als ein Jahr sozialversicherungspflichtig beschäftigt war, erhält Hartz IV. »EU-Bürger aber nur für sechs Monate«, so die BA-Sprecherin weiter. Zudem können die europäischen Hartz-IV-Bezieher ihr Recht auf Aufenthalt in den ersten fünf Jahren verlieren, wenn sie »aufgrund des Antrags auf Sozialhilfe zu einer unverhältnismäßigen Belastung geworden sind«, wie die Europäische Kommission auf Nachfrage betont. Geregelt ist dies in Artikel 24 der EU-Richtlinie zur Freizügigkeit. Demnach sind Mitgliedsstaaten »nicht verpflichtet«, Sozialhilfe zu gewähren. Entweder kennt man in der CSU die Gesetzeslage nicht oder spielt hier ganz bewusst mit den Ängsten der Bürger.

Trotzdem gibt es die Armutsmigration aus dem Südosten. Sie konzentriere sich derzeit nur auf wenige Städte, so Gerd Landsberg. Etwa auf Duisburg, wo nach Schätzungen des Städe- und Gemeindebundes etwa 9500 Hilfsbedürftige leben. Die ohnehin klammen Kommunen mussten deshalb bis zu zehn Millionen Euro zusätzlich an Unterbringungs- und Sozialkosten bereitstellen, rechnete Landsberg vor. Viele dieser Armutsmigranten seien bildungsfern und Analphabeten. Zudem seien sie in ihren Heimatländern »an den Rand der Gesellschaft gedrängt worden« und hätten durch diese Erfahrungen »eine große Distanz zum Staat«. Landsberg weiter: »Sie kommen nicht, weil sie es in Deutschland so schön finden, sondern weil sie in ihrer Heimat keine Perspektive haben.«

Statt billiger Polemik forderte Landsberg konkrete Maßnahmen. Dazu zählte er eine vernünftige Unterbringung der Betroffenen, eine ausreichende Gesundheitsversorgung und begleitende Sozialarbeit, etwa für schulpflichtige Kinder. Den Vorschlag der EU-Kommission, die betroffenen Städte könnten Gelder aus dem EU-Sozialfonds beantragen, wies Landsberg als ungenügend zurück. In dem Fonds seien lediglich 11,8 Millionen Euro für die Bundesrepublik vorgesehen. Angesichts der tatsächlichen Kosten vor Ort sei das »zu wenig«, mahnte Landsberg. Nötig sei stattdessen ein »Hilfsfonds für die Städte«, den EU und Bund gemeinsam finanzieren sollten.

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