Kirchenmänner gegen Menschenfreunde?

Für Oliver Tolmein bedient die aktuelle Diskussion über Sterbehilfe zu viele Klischees.

  • Oliver Tolmein
  • Lesedauer: 3 Min.

Die aktuelle Debatte über Sterbehilfe wirkt befremdlich. Während die einen mahnen, das Selbstbestimmungsrecht Schwerstkranker dürfte nicht beschnitten werden, streiten die anderen gegen Vereine, über deren Aktivitäten im Ergebnis bemerkenswert wenig bekannt ist. Wieder andere wollen »Sterbehilfe«, was immer sie genau darunter verstehen mögen, am liebsten ganz verbieten. So bleibt recht vage, worüber genau eigentlich gestritten wird - was der Vehemenz, mit der die jeweiligen Positionen vertreten werden, aber keinen Abbruch tut.

Das ist misslich, weil die Diskussion über »Sterbehilfe«, die spätestens seit der Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofes von 1994 im »Kemptener Fall« ein gesellschaftspolitischer Dauerbrenner ist, wesentlich von klischeedurchsetzten Vorstellungen darüber geprägt ist, warum es hierzulande so schwierig ist, »gut« zu sterben und wie das Recht helfen könnte, das zu ändern. Mit den Fehlvorstellungen in diesem Bereich ist auch die Wahrnehmung eng verknüpft, in diesem Streit stünden auf der einen Seite konservative Kirchenmänner, die einen menschenfeindlichen Lebensschutz verträten, auf der anderen Seite stritten weltoffene Menschenfreunde für ein den aufklärerischen Idealen verhaftetes Selbstbestimmungsrecht der Patienten.

In der Wirklichkeit verlaufen die Konfliktlinien weitaus weniger geradlinig. Viele derer, die sich dafür einsetzen, dass mit Hilfe des Strafrechts auch das Leben schwer kranker und sterbender Menschen geschützt werden soll, verstehen das nicht als religiöses, sondern als soziales Engagement. Sie sehen, dass gerade Menschen mit einem besonders hohen Hilfebedarf in einer psychisch schwierigen Verfassung, oftmals auch finanziellem Druck ausgesetzt, besonders empfindlich auf gesellschaftliche Erwartungshaltungen reagieren und sich so entmutigen lassen könnten weiterzuleben. Manche derer, die das Banner der Selbstbestimmung aufgespannt haben, verstehen darunter nicht viel mehr als das neoliberale »Jeder ist seines Glückes Schmied«. Es geht ihnen in der Kontroverse dabei auch um die Senkung von Behandlungskosten, die gerade in den letzten Lebensabschnitten besonders hoch sein können. Es gibt natürlich ebenso jeweils andere: Reaktionäre Kirchenfürsten, missionierende Antiklerikale, verzweifelte Angehörige mit ratlos machenden Erfahrungen in der Versorgung Schwerkranker und Geschäftemacher an allen Fronten.

Angesichts dessen erscheint in Fragen der Sterbebegleitung das dringend geboten, was auch in anderen gesellschaftlichen Problemfeldern allzu oft vernachlässigt wird: Evaluation. Was hat das Patientenverfügungsgesetz und der Ausbau der stationären Hospiz- und Palliativversorgung in den vergangenen Jahren gebracht? Wieso dominieren in der Öffentlichkeit immer noch die Geschichten des misslingenden Sterbens? Wie bewerten wir die unterschiedlichen Erfahrungen, die in den Niederlanden, Belgien, in der Schweiz und in Österreich gemacht werden?

Mit schwerer Krankheit leben, Sterben - das ist etwas zutiefst Privates. Es findet aber unter Bedingungen statt, die die Gesellschaft setzt und in einem Zusammenhang, der durch das nahe soziale Umfeld bestimmt wird: Sich angesichts dessen auf das Mantra Selbstbestimmung zu konzentrieren führt auf Abwege. Die gegenwärtige Debatte ist seit langem die erste um Sterben und dessen Bedingungen, die nicht einfach die vor zwanzig Jahren begonnene Deregulierung fortschreiben will. Deswegen hat sie ein wichtiges Potenzial, das allerdings vertan würde, wenn der Gesetzgeber nun einfach nur eine Strafrechtsvorschrift einführte, die den Herren Kusch, Minelli und wie sie alle heißen das Geschäft erschwerte.

Strafrecht hat zwar eine gesellschaftliche Signalwirkung, es ist aber auch die ultima ratio staatlichen Handelns. Daran, dass es Menschen gibt, die im schnell und professionell herbeigeführten Tod eine Lösung sehen, die ihnen besser erscheint, als das was sie vom Hörensagen oder aus dem Erleben im sozialen Umfeld kennen, ändert eine Strafvorschrift erst einmal nichts. Wer die Organisatoren der Sterbehilfegesellschaften mit Strafe bedrohen will, aber nichts für den Krebspatienten im letzten Stadium tut, dem Krankenkassen und Bundessozialgericht die Kostenübernahme für die Medikamente versagen, die ihm gegen Übelkeit, Appetitlosigkeit und Schmerzen helfen, weil sie keine Zulassung haben, der hat für den Lebensschutz zu wenig und so wahrscheinlich auch das Falsche getan.

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