Philosophie in der Kneipe

Das Bildungswerk Helle Panke lockt im Exil viel mehr Publikum an als in den eigenen Räumen

  • Ralf Hutter
  • Lesedauer: 3 Min.

»Technologie macht die Durchdringung der Gesellschaft möglich.« Dieser Satz erinnert an Facebook und NSA, findet sich aber in der Vorrede des Buches »Der eindimensionale Mensch« des Philosophen Herbert Marcuse. Zitiert wird er von Jürgen Pelzer, Professor am privaten Occidental College in Kalifornien. Pelzer sitzt an einem hohen Tisch mit einer grellen Lampe in einer erhöhten Ecke der Kneipe »Monarch« am Kottbusser Tor in Kreuzberg. Der Raum ist vom Grundriss her und wegen der in seiner Mitte liegenden Bar alles andere als perfekt für eine Vortragsveranstaltung - und dennoch voll. Die »Junge Panke« hat zum philosophischen Abend geladen. Das auf 18- bis 32-Jährige ausgerichtete Projekt der »Hellen Panke«, der Berliner Filiale der Rosa-Luxemburg-Stiftung, ist eigentlich wie der ganze Verein in der Kopenhagener Straße im Bezirk Pankow beheimatet, an der Grenze zu Wedding. Doch mit gelegentlichen Vorträgen in einem komplett anderen Ambiente, als es Vereinsräume bieten, soll ein anderes Publikum erreicht werden.

Die Rechnung geht offensichtlich auf, auch in der Hinsicht, dass an diesem Abend viele aus der Zielgruppe gekommen sein dürften. Auf Barhockern, dick gepolsterten Wohnzimmerhockern oder dem Vorsprung vor der hohen Fensterfront sitzend oder auch nur an Bar und Stehtischen stehend, verfolgt das zahlreiche Publikum, teils im Dunkeln, den Vortrag.

Technikvermittelte Herrschaft, richtige und falsche Bedürfnisse, erfüllte Sexualität - Marcuse ist mit diesen Themen nach wie vor hochaktuell, auch wenn das in der fünften Wortmeldung nach dem Vortrag lapidar abgestritten wurde. Doch nach Diskussion war wohl nicht mehr vielen zu Mute, weshalb sich der Moderator für das lange Zuhören bedankte und die Veranstaltung mit den Worten schloss, beim Vortrag zum ungarischen Marxisten Georg Lukács sei schon beim ersten Publikumsbeitrag der Kneipenlärm ausgebrochen. Der nahm auch dieses Mal während der Fragen zu und zeigt somit die Grenzen einer solchen Veranstaltung auf.

Fabian Kunow ist dennoch zufrieden mit dem Konzept. Immerhin hätten die Leute sehr lange sehr konzentriert zugehört, die Vertiefung müsse in anderem Rahmen stattfinden, sagt der Bildungsreferent der Hellen Panke, der die Reihe Junge Panke organisiert. 150 Leute habe er am Einlass gezählt. Wer nicht viel zu spät kam, zahlte sogar zwei Euro Eintritt, ermäßigt einen Euro. Vor einem Jahr, als es um Lukács ging, seien noch mehr Leute im »Monarch« gewesen, sagt Kunow. Seit zwei Jahren organisiere er die Junge Panke, diese Art von Veranstaltungen sei seine Idee gewesen. »Ich habe zehn Jahre lang im Nachtleben gearbeitet und kenne die Orte«, erklärt der 34-Jährige. Neben den acht Tages- und Wochenendseminaren pro Jahr mache die Junge Panke ähnlich viele Abendveranstaltungen, wovon aber nur einige wenige so angelegt seien wie diese.

Die Idee ist, Theoriewerke auf niedrigem Niveau vorzustellen, erläutert Kunow. Und: »Wir wollen Leute anlocken, die sich nie in unsere Räume verirren würden. Wenn wir diese Veranstaltung in der Kopenhagener Straße gemacht hätten, wären wahrscheinlich nur zehn Prozent der Leute gekommen.« Dennoch gebe es »vereinsinterne Kritik«, fügt er hinzu: Die Veranstaltungen seien zu flach, laute der Vorwurf.

Anruf bei der Hellen Panke. Geschäftsführerin Birgit Pomorin geht gleich in die Vollen: »Bildung ist ein bisschen was anderes.« Sie sieht sich in einer »Zwickmühle«: Wenn anders an die Leute nicht heranzukommen ist, wird es eben so gemacht, »zielgruppenorientiert«, bemerkt sie. Sie müsse dagegen »bei politischer Bildung bestimmte Kriterien einhalten«, erklärt Pomorin. Dies Veranstaltungen der Jungen Panke hätten eher »Event-Charakter«. Pomorin sieht die Veranstaltungsreihe als Lockmittel, damit am Ende mehr Leute in die Vereinsräume kommen.

www.helle-panke.de

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