Hindernislauf zum Mars
Die Strahlung der Sonne macht nicht nur den Flug riskant. Auch auf dem Planeten werden sich Menschen einbunkern müssen
Kalt wie die Antarktis und trocken wie die Atacama-Wüste. Und wem das noch nicht ungemütlich genug ist: Die Atmosphäre ist gerade mal so dicht wie in 30 Kilometern über der Erdoberfläche. Der für Menschen so lebenswichtige Sauerstoff fehlt darin auch noch. Mit diesen wenigen Sätzen ließe sich der gemütlichere der beiden Nachbarplaneten der Erde grob umschreiben, der Mars. Und doch ist der wüstenhafte Planet seit Jahren Ziel von Forschungssonden, die ihn teils aus dem Orbit, teils mit automatischen Fahrzeugen erkunden. Und die Raumfahrtagenturen der USA, Westeuropas und Russlands planen langfristig, auch mit bemannten Raumschiffen dorthin zu fliegen. Die horrenden Kosten eines solchen Fluges haben allerdings die staatlichen Mars-Flugprogramme immer wieder im frühen Projektstadium stocken lassen. Eine Kostenschätzung der US-Raumfahrtagentur NASA Anfang der 1990er Jahre belief sich auf rund 400 Milliarden Dollar.
Kürzlich machte die niederländische Stiftung »Mars One« mit dem Plan von sich reden, bis zum Jahre 2025 Menschen auf den Mars zu bringen (»nd« berichtete). Anders als bei den wiederholt vertagten Projekten von NASA, ESA und Roskosmos geht es den Niederländern allerdings nicht in erster Linie um die Erforschung des Roten Planeten. Ihre international rekrutierten Astronauten sollen den Vorposten zu einer Kolonisierung des Mars bilden. Eine Rückkehr zur Erde ist demzufolge nicht geplant.
Doch selbst wenn auf diese Weise die Kosten des Fluges verringert werden können, bleiben einige ernst zu nehmende Hindernisse. Das beginnt schon während des wenigstens sechsmonatigen Flugs mit der Teilchenstrahlung des Sonnenwindes. Es gibt bislang keine erprobte Lösung, wie man diese relativ starke Strahlung in den leicht gebauten Raumschiffen ausreichend abschirmen kann.
Bis auf die Apollo-Missionen der USA in den 1960er und frühen 1970er Jahren zum Mond bewegten sich alle bisherigen Flüge von Menschen innerhalb des schützenden Magnetfeldes der Erde. Dass bei den Mondflügen niemand durch die Strahlung zu Schaden gekommen ist, hält Ralf Jaumann vom Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) für pures Glück. »Die Sonnenaktivität war während aller fünf Apollo-Missionen zufällig relativ gering«, erläutert der Planetologe. Bei der Dauer eines Marsfluges könne man auf solche glücklichen Zufälle nicht vertrauen. Das größte Problem sind solare Eruptionen, bei denen sich die Strahlung erheblich erhöht. Infolge der schnellen Ausbreitungsgeschwindigkeit der Strahlung bleiben da nur geringe Vorwarnzeiten von wenigen Minuten.
Und wenn die Astronauten gelandet sind, ist das Problem keineswegs erledigt. Denn die dünne Marsatmosphäre besitzt weder eine schützende Ozonschicht noch werden die geladenen Teilchen der Sonnenstrahlung von einem Magnetfeld eingefangen, wie das auf der Erde ist. Der Mars besitzt nämlich kein solches Feld.
Für einen längeren Aufenthalt müssten also hermetisch dichte Stationen errichtet werden, über die eine etliche Zentimeter dicke Schicht Marsboden als Strahlenschutz geschoben wird. Um aber länger dort zu überleben, müssten diese Stationen den Sauerstoff zum Atmen ebenso wie das Trinkwasser und Nahrung bereitstellen können. Mittelfristig könnte das Wasser sicher aus dem Marsboden kommen. Denn bei ihren Erkundungsfahrten fanden die drei NASA-Rover Hinweise auf frühere Vorkommen flüssigen Wassers. Mitgebrachte Pflanzen in Gewächshäusern könnten Nahrung liefern und auch Wasser und Atemluft aufbereiten. Allerdings haben derartige Anlagen selbst unter den günstigen Baubedingungen auf der Erde bislang nie richtig funktioniert. Es sei hier nur an das ruhmlose Ende des Experiments »Biosphäre 2« im US-Bundesstaat Arizona erinnert.
Für DLR-Forscher Jaumann ist klar, dass der Bau solch länger bewohnbarer Stationen eine gewaltige logistische Aufgabe ist. Denn neben Baumaterial für die Hülle sei jede Menge Hightech nötig. Komplizierte Teile wie Pumpen etwa könnten die Neu-Marsianer wohl schwerlich vor Ort selbst herstellen, die müssten von der Erde geliefert werden. Da reichen einige Flüge mit der bisher noch nicht einmal gebauten Schwerlastrakete »Falcon Heavy«, mit der »Mars One« sein ehrgeiziges Ziel erreichen will, kaum aus. Die ist zwar möglicherweise billiger als frühere Schwerlastraketen wie »Saturn« oder »Energija«, kann aber auf einen Schlag auch nur etwa 13 Tonnen zum Mars bringen. Schon das reichlich beengte Gespann aus Apollo-Mannschaftsmodul und Mondlandefähre kam mit vollbetankter Geräteeinheit auf eine Masse von rund 45 Tonnen. Die Kosten einer reinen Hinfahrkarte mögen also unter den von der NASA veranschlagten liegen, dürften aber immer noch astronomisch sein.
Bleibt die Frage, ob sich der Mars ohne den Zeitdruck eines Medienspektakels langfristig besiedeln ließe. Zur Anpassung des Mars an irdische Verhältnisse wurden schon zahllose Projekte entworfen, seitdem der US-Schriftsteller Jack Williamson 1942 in einem Roman dafür das Kunstwort Terraforming erfand.
Die auf den ersten Blick einfachste Idee kam dem US-amerikanischen Astrophysiker und Raumfahrtenthusiasten Carl Sagan (1934-1996) beim Vergleich von Venus (extremer Treibhauseffekt), Erde (wachsender Treibhauseffekt) und Mars (praktisch kein Treibhauseffekt): Er schlug 1961 vor, den Treibhauseffekt von CO2 und Wasserdampf zu nutzen. Dazu wollte er die Polkappen aus gefrorenem CO2 und Wasser abschmelzen lassen. Überdies sollten die Polkappen durch dunklen Staub bedeckt werden. In der Folge hätten sie mehr Sonnenwärme aufgenommen und würden schmelzen. Doch selbst wenn der geplante Lawineneffekt durch Freisetzung von Treibhausgasen in die Marsatmosphäre so funktioniert, und diese so wärmer und dichter würde, müsste diese Gasfreisetzung möglicherweise dauerhaft weitergehen. Deshalb äußert Sagan in seinem 1994 erschienenen letzten Buch die Befürchtung, dass man dafür die Marsoberfläche kilometertief umgraben müsste und damit wichtige Informationen zur Geschichte des Planeten unwiederbringlich zerstören würde.
Denn der Mars muss in seiner Anfangszeit einmal eine dichtere Atmosphäre besessen haben, wenn die Wissenschaftler die Analysen der bisherigen Marssonden richtig deuten. Diese Atmosphäre wurde offenbar nach dem Verlust des Magnetfeldes vor etwa vier Milliarden Jahren nach und nach vom Sonnenwind »weggepustet«, wie Yong Wei vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung im vergangenen Jahr anhand neuerer Messungen bestätigen konnte. Damit ist für den DLR-Planetologen Jaumann klar, dass man bei jedem Versuch, die Marsatmosphäre dichter und wärmer zu machen, ständig Gase »nachfüttern« müsste. Ohnehin sei schon wegen der deutlich geringeren Gravitation ungewiss, ob die Marsatmosphäre jemals eine der Erde vergleichbare Dichte gehabt hat.
Jaumann sieht noch einen weiteren Haken am Treibhausgaskonzept. Einige Atmosphärenmodelle kommen nämlich zu dem Schluss, dass bei einer dichteren Atmosphäre auch bedeutend mehr Staub in die Atmosphäre käme. Dieser würde einen Teil des warmen Infrarotlichts der Sonne reflektieren. »Dann kommt es trotz der dichteren Atmosphäre zu massiver Abkühlung«, verdeutlicht Jaumann.
In einer Hinsicht allerdings würde ein bemannter Flug den Mars mit ziemlicher Sicherheit verändern. Da es ziemlich schwierig sein dürfte, Astronauten ähnlich keimfrei zu machen wie die bisher zum Mars geschickten automatischen Sonden, dürften mit den Menschen trotz aller Vorsichtsmaßnahmen auch einige irdische Mikroorganismen eingeschleppt werden. Ob die sich dann dort behaupten können und langfristig den Roten Planeten wenigstens an ihre Bedürfnisse anpassen, wäre eine spannende Frage.
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