Hessen eröffnet Castor-Option
Biblis soll Atommüll zwischenlagern / Atomkraftgegner warnen vor verfrühter Genugtuung
In die festgefahrene Debatte um den Neustart bei der Endlagersuche und Ziele für Castortransporte kommt etwas Bewegung: Hessens Umweltminister Tarek Al-Wazir (Grüne) zeigt sich offen für eine Zwischenlagerung der Atommüllbehälter in Biblis. Und Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) will die Endlagerkommission an den Start bringen.
Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg - rot-grün bzw. grün-rot regiert - zeigten sich zur Aufnahme von Castoren aus ausländischen Wiederaufbereitungsanlagen bereit, wenn mindestens ein weiteres Bundesland mitzieht. Nachdem Bayern und Niedersachsen früh abgewinkt hatten, konzentrierten sich die Diskussionen auf Hessen. In Biblis gibt es - ebenso wie an allen anderen deutschen AKW-Standorten - ein dezentrales Zwischenlager für hoch radioaktiven Müll. Zwar schließt der schwarz-grüne Wiesbadener Koalitionsvertrag eine Aufnahme der Castoren nicht aus, doch bislang blockten Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) und seine Partei alle Vorstöße ab.
Nun deutet Al-Wazir ein Einlenken des Landes an. »Wir werden das in aller Ruhe klären«, sagte er der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom Freitag. Zunächst müsse eine fachliche Prüfung erfolgen. Wenn diese ergäbe, dass die Zwischenlagerung in Biblis nötig wäre, werde man sich dem nicht entgegenstellen.
Atomkraftgegner warnen hingegen vor verfrühter Genugtuung. Die Genehmigungshürden zur Einlagerung der Wiederaufarbeitungsabfälle seien hoch, die Zwischenlagerung am schleswig-holsteinischen AKW Brunsbüttel sei sogar gestoppt, sagte gestern Wolfgang Ehmke von der Bürgerinitiative (BI) Umweltschutz Lüchow-Dannenberg. Solange das Atomgesetz die Lücke enthalte, dass Castoren mit verfestigen Dekontaminationsabwässern - also die Behälter aus La Hague - weiter in Gorleben eingelagert dürften, werde die BI ihre Kampagne zu einem umfassenden Castor-Transporte-Stopp fortsetzen, kündigte Ehmke an.
Aus Sicht der Initiative lenkt die Castor-Debatte ohnehin von dem »zentralen Missstand« ab, dass Gorleben als Endlagerstandort mit weitreichenden Vorfestlegungen gesetzt ist. »Der Castor-Stopp ist eine Leimrute für die Kritiker des Endlagersuchgesetzes«, so Ehmke. Das sehen Greenpeace und der Lüchow-Dannenberger Forstbesitzer Fried Graf von Bernstorff ähnlich. Sie haben vor einer Woche gegen den immer noch in Kraft befindlichen Rahmenbetriebsplan für das Gorlebener Bergwerk und jetzt auch gegen die Veränderungssperre für den Salzstock geklagt.
Diese 2005 von der Bundesregierung erlassene Sperre verbietet Veränderungen im Salzstock unterhalb von 50 Metern. Nach Auffassung der Kläger sollen durch die Maßnahme eine andere Nutzung - etwa Salzabbau durch die von Umweltschützern gegründete Firma Salinas - verhindert und der Standort als Endlager gesichert werden. »Mit der Veränderungssperre benachteiligt das Bundesumweltministerium Gorleben gegenüber anderen Standorten bei der Endlagersuche«, sagte Greenpeace-Atomexperte Mathias Edler dem »nd«.
Die Veränderungssperre läuft regulär im August 2015 aus. Ein am Donnerstag veröffentlichtes Rechtsgutachten von Greenpeace kommt aber zu dem Schluss, dass die Sperre bereits mit Inkrafttreten des Standortauswahlgesetzes (StandAG) 2013 unwirksam wurde. Schließlich solle Gorleben laut Gesetz im neuen Verfahren wie jeder andere mögliche Endlagerstandort behandelt werden. Damit wäre auch eine wirtschaftliche Nutzung möglich.
Auf dieses Gutachten stützen Greenpeace und von Bernstorff ihre Klage. Das Gericht solle die Veränderungssperre für unwirksam erklären, so Edler. »Hilfsweise« beantragten die Anwälte der Kläger, dass die Bundesregierung die Sperre nicht über 2015 hinaus verlängern darf.
Unterdessen drängt Hendricks auf einen raschen Start der Expertenkommission für die Endlagersuche. »Die Zeit drängt. Bis Ende 2015 soll ein Ergebnis stehen«, sagte die Bundesumweltministerin. Sie rechne damit, dass die Kommission in den nächsten Wochen berufen wird und ihre Arbeit aufnimmt. Zuständig für die Ernennung der Mitglieder sind der Bundestag und die Länder. Das Gremium soll Grundlagen und Kriterien für die Endlagersuche erarbeiten. Bislang stehen nur sechs der 33 Teilnehmer fest. Die Umweltverbände wollen nicht mitmachen, weil sie das Suchverfahren für undemokratisch und Gorleben für »gesetzt« halten.
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