Auf- statt Verklärung

Deutschland und der Erste Weltkrieg

  • Manfred Weißbecker
  • Lesedauer: 2 Min.

Wissbegierige Leser mit Scheu vor jenen in großer Zahl erscheinenden und zumeist sehr umfangreichen Wälzern über den Ersten Weltkrieg dürfen sich freuen: Es gibt nun auch eine kleinere Publikation, leicht lesbar und zugleich außerordentlich lesenswert.

Kenntnisreich versteht es Gerd Fesser, auf knappen Raum komplizierte Vorgänge zu erhellen sowie das Handeln der Regierenden darzustellen. Seine sachlich korrekte Benennung der Fakten und überzeugende Argumentation helfen, das jüngst wieder aus der Versenkung hervorgeholte Bild vom »Hineinschlittern« in den Ersten Weltkrieg als falsch und bestimmten Zwecken dienlich zu erkennen. Klar grenzt er sich von der gegenwärtig in den Vordergrund geschobenen These des Historikers Christopher Clark ab, wie »Schlafwandler« seien die Führungen aller Mächte gleichermaßen am Ausbruch des Krieges schuld gewesen. Er charakterisiert demgegenüber die besondere Verantwortung der deutschen Politik für Herbeiführung und Auslösung dieses Krieges. Dies ganz im Sinne des Buches »Griff nach der Weltmacht« (1963), in dem Fritz Fischer eindeutig belegte, dass es in Deutschland vor 1914 keinen Willen zur Kriegsverhütung, dafür aber unter Militärs und in rechtsorientierten Kreisen völlig Gegenteiliges gegeben hat. Und damit heftigen Streit in der BRD auslöste.

Die 23 Kapitel des Bandes bieten jeweils in sich geschlossene Darstellungen zur Vorgeschichte des Krieges, zu dessen Verlauf sowie zu einzelnen Problemfeldern. Sie enthalten treffende Aussagen auch zu Auswirkungen des Krieges auf das Leben in Deutschland, zur Entwicklung der wirtschaftlichen Situation und zum politisch-geistigen Zustand einer in sich zerrissenen Gesellschaft der Deutschen. Mit Interesse lässt sich lesen, wie die Mehrheit führender Sozialdemokraten sich auf die Politik des »Burgfriedens« mit den Herrschenden einließ, was im Grunde wohl als Versagen und »Urkatastrophe« der SPD bewertet werden muss. Viel Raum wird den Bemühungen linker und bürgerlich-demokratischer Oppositioneller gegen den Krieg gewidmet.

Das Ganze darf als eine gelungene Synthese von historisch-chronologischer und systematisch- ausgewählter Darstellung von Ursachen, Verlauf, Ergebnis und historiographischer Deutung jener schlimmen vier Jahre deutscher Geschichte gekennzeichnet werden. Und es fordert 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten und 75 Jahre nach dem Beginn des Zweiten Weltkrieges aktuelle Nachdenklichkeit heraus - sei es über das erneut unverantwortliche Drehen an der Rüstungsspirale, über die aus dem Ringen der Großmächte Rohstoffressourcen und Einflusszonen erwachsenden Gefahren, über eine selbst vor Lügen nicht zurückschreckende Rechtfertigung militärischer Aktionen oder Ähnliches mehr.

Es bleibt ein Wunsch an den Verlag: Selbst wenn nur »Basis«-Wissen vermittelt werden sollte, hätten topografische Skizzen gut getan.

Gerd Fesser: Deutschland und der Erste Weltkrieg. Papyrossa, Köln 2014. 123 S., br., 9,90 €.

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