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Mädchenschiff in neuem Fahrwasser
Seit 13 Jahren bietet ein Berliner Verein jungen Frauen berufliche und soziale Perspektiven. Das »Land in Sicht - Ausbildungsprojekt Mädchenschiff« (LiSA) trotzt behördlichen Zuständigkeitsproblemen und der erzwungenen Suche nach einer neuen Bleibe.
Lernen für das Leben
»Kein Jugendlicher darf den Eindruck haben, in der Gesellschaft nicht gebraucht zu werden«, hat Bundesbildungsministerin Annette Schavan erst jüngst betont. Unternehmen und Behörden sollen Angebote zur Ausbildung und Qualifizierung von Jugendlichen machen. »Schaffen sie Ausbildungsplätze! Bilden sie möglichst auch über den eigenen Bedarf hinaus aus!«, fordert die Ministerin. LiSA bietet an und bildet aus. Vor allem Jugendliche, die aus verschiedenen Gründen Schwierigkeiten haben, anderswo Lehrstellen zu bekommen. Oft ist es eine Summe kleiner und großer Alltagsprobleme, welche die Jugendlichen daran hindert, sich konsequent beruflich zu qualifizieren. Fast immer ist es fehlender Glaube an das Ziel und der Mangel sozialpädagogischer Unterstützung in anderen Ausbildungsformen.
Die Finanzierung erfolgt über die Bezirksämter, die im Rahmen ihrer Jugendberufshilfe jungen Frauen eine Ausbildung zur Bootsbauerin oder Tischlerin bei LiSA ermöglichen können. Conny Klautzsch, die Projektleiterin, berichtet, dass diese Förderung in den letzten Jahren stark nachgelassen hat. Die Bewerberinnen scheitern daran, dass ihnen die Jugendämter die Finanzierung nicht bewilligen.
Früher lief es besser. Heute sieht Conny Klautzsch das Problem in der »Nachrangigkeit« der Jugendämter in den Bezirken. Vorrangig sind jetzt die Agentur für Arbeit und die Jobcenter. Erst wer in deren Fördermaßnahmen keinen Platz findet, kann von den Jugendämtern Hilfe bekommen. Das Bezirksamt Treptow-Köpenick bestätigt und bedauert diesen Umstand. Gute Kontakte zu Projekten wie LiSA seien durch den reformbedingten Zuständigkeitswechsel teilweise verloren gegangen. Es gebe jedoch Bemühungen, seitens der Jugendämter verstärkt mit den Jobcentern zusammen zu arbeiten.
Melanie hatte früh den Wunsch, einen nicht-frauentypischen Beruf zu erlernen. Kfz-Mechanikerin wollte sie werden. Doch die Firmen versteckten sich hinter Ausreden. »Wir haben keine sanitären Einrichtungen für Frauen«, hieß es des öfteren. Melanie wurde schnell klar, woher der Wind wehte. Man(n) traute einer jungen Frau nicht zu, dass sie in diesem Beruf arbeiten könne. Nach einer berufsvorbereitenden Maßnahme hat Melanie dann mit Unterstützung des Jugendamtes zu LiSA gefunden. »Hier bin ich erwachsen und selbstständig geworden«, sagt die junge Frau, die sich mit Hilfe von Meister Klenke auf die Wiederholung ihrer praktischen Gesellenprüfung vorbereitet. Beim ersten Anlauf Anfang des Jahres hat es nicht ganz geklappt. Früher hätte sie wahrscheinlich hingeworfen.
Zu LiSA kommen junge Frauen, die was zu Ende bringen wollen. Bernd Klenke hat gelernt, wie er den jungen Frauen helfen kann. Der frühere Meistersegler und Olympiateilnehmer vom SC Berlin-Grünau hat seinen Platz als Bootsbaumeister bei LiSA gefunden. Von Anfang ist er dabei und hat zahlreiche junge Frauen zu stolzen Bootsbauerinnen gemacht. »Meister«, ruft Melanie kurz und Klenke kommt, um zu helfen. Die Frage, ob denn genug Harz dran sei, klingt rhetorisch, und bleibt auch unbeantwortet. In den 13 Jahren als Ausbilder in dem Projekt hat Bernd Klenke erkannt, dass die fachliche Komponente nicht alles ist. Natürlich müssen die Azubis das Handwerk lernen und sich das Fachwissen des Bootsbaus aneignen. Der Gesellenschein ist nur durch die Prüfung vor der Handwerkskammer zu erlangen. Klenke weiß aber, dass er von Fall zu Fall schauen muss, wie er mit den jungen Frauen arbeiten kann. »Da bringt es nichts, im falschen Moment Druck zu machen«, reflektiert er seine Arbeit. Es geht nicht darum so viele Boote wie möglich zu bauen oder flott zu machen. Es sind die Azubis, die Klenke gemeinsam mit Sozialpädagogin Doreen Märten und Stützpädagogin Conny Klautzsch fit machen will.
Melanie ist sicher, dass sie die Nachprüfung bestehen wird. Sie zieht das jetzt durch. Segeln hat sie bei LiSA gelernt und spricht von »meiner Liebe«. Den Traum als Segellehrerin zu arbeiten, kann sie als Bootsbauerin und mit erworbenem Selbstbewusstsein angehen. »Frauen trauen sich oft nicht genug zu.», stellt Melanie fest. Sie hat gelernt sich zu trauen. In der Ausbildung hat sie erfahren, das frau dorthin kommen kann, wo es darauf ankommt was frau kann. Sozialpädagogin Märten betont, dass es bei LiSA neben der reinen fachlichen Ausbildung auf die persönliche Entwicklung ankommt. Die jungen Frauen haben verschiedene Probleme. Lernprobleme, Wohnprobleme und Familienprobleme, die in der Summe die Bewältigung des Alltags erschweren. Die Sozialpädagogin ist im Projekt dafür zuständig, dass die jungen Frauen ihrer Situation entsprechend individuell gefördert werden. Sie sollen Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten gewinnen.
Ausgebremste Initiative
Lange hatte es gedauert, bis »Horst-Günther« im Jahr 2005 endgültig fertig wurde. Eine Bildungsstätte für Jugendliche soll der Kahn sein. Bis zu 30 Gäste finden Platz zur Übernachtung. Es gibt einen Tagungsraum und einen Speiseraum. Ideal im Zentrum Berlins gelegen, könnte das Schiff jederzeit in Betrieb genommen werden. Wenn nicht der Hafenbetreiber für eine anhaltende Flaute sorgen würde. Der Berlin-Brandenburgischen Schifffahrtsgesellschaft e.V. (BBSG) passt »Horst-Günther« plötzlich nicht mehr in ihr Nutzungskonzept für den Historischen Hafen Berlin.
Für Pfarrer Theo Lorentz, Vorstandsmitglied bei LiSA, ist es ein Skandal, dass die jahrelange Initiative junger Menschen und die rund 250 000 Euro Investitionen nun ungenutzt am Märkischen Ufer dümpeln. Die Anfragen zur Nutzung des Schiffes müssen vorerst allesamt abgesagt werden. Da mittlerweile gar eine Räumungsklage gegen »Horst-Günther« vor dem Landgericht anhängig ist, will Herr Fischer vom BBSG nichts dazu sagen, inwiefern die Nutzung des Kahns als Bildungsstätte seine Pläne stört.
Unbill droht LiSA aber auch im »Heimathafen«, in Oberschöneweide. Die Idee zu LiSA entstand in der Jugendausbildungsstätte »Haus Kreisau« in Berlin-Kladow. Junge, sozial benachteiligte Frauen sollten die Möglichkeit bekommen, einen traditionell männlich dominierten Beruf zu erlernen. Vor zehn Jahren ist LiSA von der Havel nach Oberschöneweide an die Spree gezogen. Die ehemaligen Gebäude des Kabelwerks Oberspree sind ein geeigneter Ort für das Projekt. Ausreichend Platz und ein Lastenaufzug, um Boote in das zweite Obergeschoss zu hieven, sind wesentliche Standortfaktoren. Außerdem liegt Schöneweide zentral und gut erreichbar.
Doch der liebgewonnene Ort hat die Begehrlichkeit der Fachhochschule im Stadtbezirk geweckt. LiSA soll ausziehen - bis Ende des Jahres. Conny Klautzsch nimmt die Aufgabe an, bis dahin eine geeignete Bleibe zu finden. Noch vor dem Umzug wird das Angebot erweitert. Im Projektverbund LILA, mit den Bildungsträgern Life e.V. und AKC e.V., wird in Zusammenarbeit mit dem Jobcenter Tempelhof-Schöneberg eine Möglichkeit geschaffen, verschiedene Berufe in Teilzeitausbildung zu erlernen. In einem Paket aus Kinderbetreuung, sozialpädagogischer Beratung und Berufsausbildung wird dann auch jungen Müttern eine »Zukunft für 2« geboten.
Am Ruder von LiSA, das irgendwie doch ein Schiff ist, stehen erfahrene Leute, um Klippen und Untiefen zu umschiffen. Sie bieten sicheres Fahrwasser, damit auch in Zukunft Land in Sicht ist für junge Berliner Frauen und Männer. Im Gegensatz zu Firmen können und müssen sich die Behörden über betriebswirtschaftliche Schranken hinwegsetzen. Dann können sie jungen Menschen die Möglichkeit geben, einen Hafen in unserer Gesellschaft zu finden. LiSA zeigt, wie Frau und Mann die Sackgassen und Enttäuschungen des Lebens erfolgreich umschiffen können.
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