Eine unsichtbare Mauer

Bundestag diskutierte über Stand der Einheit

  • Aert van Riel
  • Lesedauer: 4 Min.
Die CDU versucht, die wirtschaftliche Situation in Ostdeutschland schönzureden. In Wirklichkeit gibt es in der Region noch immer viele strukturelle Probleme.

Der Aufbau Ost spielt für die Große Koalition offenbar keine besonders große Rolle. Bereits zweimal wurde die Bundestagsdebatte über den Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit, der noch von der schwarz-gelben Vorgängerregierung erarbeitet worden war, auf die nächste Sitzungswoche verschoben. Wichtiger war stattdessen etwa am Freitag der vergangenen Woche eine Diskussion über die Erhöhung der Abgeordnetendiäten.

Im dritten Anlauf blieb die vereinbarte Debatte dann auf der Tagesordnung. So kam auch die neue Ostbeauftragte der Bundesregierung, Iris Gleicke, erst am gestrigen Freitag zu ihrem großen Auftritt vor dem Plenum. Die SPD-Politikerin schloss sich zunächst den vielen guten Nachrichten in dem Jahresbericht an. »Wir haben viel erreicht«, sagte sie. Die Lebensverhältnisse und der Wohlstand hätten sich nämlich kontinuierlich verbessert. Allerdings musste Gleicke auch einräumen, dass es fast 24 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik noch immer viele Ungleichheiten zwischen Ost und West gäbe. So liegen etwa die Einkommensunterschiede im Durchschnitt bei etwa 20 Prozent.

Große Probleme gibt es ebenfalls auf dem ostdeutschen Arbeitsmarkt. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit ist die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den neuen Bundesländern seit 1992 um rund 1,2 Millionen zurückgegangen. Demnach entspricht der Rückgang von knapp 6,7 auf 5,5 Millionen einem Minus von rund 17,6 Prozent. Im selben Zeitraum stieg hingegen in Westdeutschland die Beschäftigung um 1,1 Millionen an. Das entspricht einem Anstieg um 4,9 Prozent auf 23,7 Millionen.

Bis zum Jahr 2019 werden die ostdeutschen Bundesländer Hilfen aus dem Solidarpakt II erhalten, um Infrastrukturlücken zu schließen und wirtschaftlich aufholen zu können. Weil der Pakt dann ausläuft, müssen Bund und Länder über die Neuordnung der Finanzbeziehungen verhandeln. »Nach Auslaufen des Solidarpaktes II sind alle wirtschaftsschwachen Länder auf die Hilfe des Bundes und die Solidarität aller Bundesländer sowie einen verlässlichen Finanzrahmen angewiesen«, sagte Gleicke. Neben Finanzhilfen nannte sie den gesetzlichen Mindestlohn als Möglichkeit, dem Osten wirtschaftlich zu helfen. Zwar werde der Mindestlohn einige Betriebe vor Probleme stellen und Preise für Dienstleistungen steigen. Aber insgesamt rechnet Gleicke mit einer Anhebung des Lohnniveaus und einer stärkeren Binnennachfrage.

Dagegen sah Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch im Koalitionsvertrag von Union und SPD keine eindeutige Regelung zur Einführung eines Mindestlohns »ohne Wenn und Aber«. Zudem wies er darauf hin, dass bei der geplanten Einführung im Jahr 2015 ein Mindestlohn von 8,50 Euro viel weniger wert sein werde als heute. Bartsch forderte die Bundesregierung auf, eine »gezielte Struktur- und Regionalpolitik« zu betreiben. Denn der Aufbau Ost als Nachbau West sei gescheitert.

Die Linksfraktion hatte einen eigenen Entschließungsantrag vorgelegt. In diesem verlangt sie unter anderem die steuerfinanzierte Angleichung der Rentenwerte Ost und West bis zum Jahr 2017. Der Antrag wurde zur weiteren Beratung an den Wirtschaftsausschuss überwiesen.

Der CDU-Politiker Mark Hauptmann wollte sich in seiner Rede mit solchen aktuellen Forderungen nicht auseinandersetzen, sondern vielmehr mit Geschichtspolitik. Der Bundestagsneuling, der beim Fall der Mauer gerade einmal fünf Jahre alt war, nannte die DDR einen »nichtdemokratischen, totalitären Unrechtstaat«. Bartsch und dessen Fraktion könnten nicht stolz auf die Aufarbeitung der eigenen Geschichte sein, so Hauptmann.

Großes Lob fand der CDU-Mann hingegen für seinen Parteikollegen und Altkanzler Helmut Kohl. Dessen einstiges Versprechen der »blühenden Landschaften« im Osten sah er als erfüllt an. »Wir können ein Aufblühen Ostdeutschlands sehen«, behauptete Hauptmann. Vollbeschäftigung könne schon in absehbarer Zeit Wirklichkeit werden. Hauptmann bezog sich auf die Arbeitslosenquote in seinem Heimatland Thüringen, die in den vergangenen Jahren von mehr als 11 auf 8,9 Prozent gesunken ist. Dass diese ohnehin noch immer nicht sonderlich niedrige Arbeitslosenquote weniger mit einem guten Jobangebot in der Region, sondern vielmehr mit Abwanderung und Überalterung zu erklären ist, erwähnte der CDU-Politiker nicht.

Heftige Kritik musste sich Hauptmann von den Grünen anhören. »Die wirtschaftliche Angleichung stagniert seit Mitte der 90er Jahre«, konstatierte der Grünen-Abgeordnete Stephan Kühn. Wer von blühenden Landschaften rede, betreibe Schönfärberei.

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