Fußpilz oder Gürtelrose
Ein Berliner Internetportal bietet Patienten mit Hautkrankheiten App zur »ersten Orientierung«
Wenn im Urlaub plötzlich dicke rote Pusteln auf der Haut auftauchen: Handy-Foto machen und via App an einen Hautarzt in Deutschland weiterleiten. Nach maximal zwei Tagen ist die Antwort da - Sonnenallergie und ein Tipp für Creme. Technisch ist diese Form der Telemedizin heute kein Problem. Jeder vernetzte Mensch kann sich die Dienstleistung seit 2013 kaufen. Bauchschmerzen macht sie Fachverbänden und Ärztekammern.
In Berlin glauben Firmengründer Simon Bolz und Simon Lorenz fest an ihre Idee eines Internetportals für Hautkrankheiten. Sie haben es »goderma« genannt. Der Sozialwissenschaftler mit PR-Erfahrung und der Gesundheitsmanager haben sich mit Johannes Ring von der Technischen Universität München einen renommierten Facharzt mit ins Boot geholt und eigene Software entwickelt. Ihre Argumente: keine lange Wartezeiten für einen Routine-Termin beim Hautarzt und eine Art Filterfunktion. »Wer Fußpilz hat, muss nicht zum Hautarzt«, sagt Bolz. Bei einer Gürtelrose aber sollte er dringend hingehen. Die beiden Gründer betonen, dass ihr Service keine Behandlung sei und den Besuch beim Facharzt nicht ersetze. Es sei ein Angebot für Ratsuchende, die erste Orientierung wollten und bereit seien, dafür zu zahlen.
»Berufsrechtlich ist das nicht zulässig, weil es ein Fernbehandlungsverbot für Ärzte gibt«, meint derSprecher der Berliner Ärztekammer, Sascha Rudat. Er zweifelt an der Qualität der Fotos und der Datensicherheit. Er fragt sich, ob es eine Hilfe für Patienten ist oder mehr ein Geschäft. »Wenn der Rat lautet: Suchen Sie einen Hautarzt auf - was bringt das dann?«, fragt er. Die Kammer will nun prüfen, welche Berliner Ärzte mit dem Startup zusammenarbeiten, um ihnen auf die Finger klopfen.
Beim Berufsverband der Deutschen Dermatologen ist Präsident Klaus Strömer auch skeptisch. »Das ist ein mutiges Vorhaben, aber medizinisches und juristisches Neuland«, sagt er. Das Internet sei vielfach ein Graubereich, die berufsrechtliche Frage oft ungeklärt. Das Berliner Unternehmen werde in der Fachgesellschaft deshalb eher kritisch gesehen. Die Ärzte seien seriöse Kollegen. Doch sie müssten sich dem Berufsverband noch erklären - und seien »rechtlich hoffentlich gut beraten«. Strömer selbst hält nicht viel von Diagnosen per Foto. »Ich kann einen Patienten nicht nach der Vorgeschichte fragen«, sagt er. Bereits der Verdacht auf eine bösartige Hauterkrankung habe emotionalen Charakter. Damit würde er Patienten ungern alleinlassen.
Viel offener reagiert die Deutsche Gesellschaft für Telemedizin. »Wir sehen viele Gesundheits-Apps kritisch, weil keine medizinische Expertise dahintersteht«, sagt Sprecher Wolfgang Loos. »Aber solange Ärzte involviert sind, ist das nicht anzufechten.« Nur müssten das die Bürger selbst bezahlen. Loos fragt sich, wie zeitgemäß das deutsche Fernbehandlungsverbot in der Musterberufsordnung für Ärzte ist, wenn selbst Krankenkassen telefonische Notdienste anböten. E-Health- Strategien seien in Skandinavien, Frankreich und USA Normalität. Deutsche Kliniken nutzen Telemedizin zum Beispiel, um Herzkranke und Diabetiker in großen Programmen besser zu überwachen - durch automatisch gefunkte Werte. Muss Telemedizin außerhalb der Krankenhäuser eine Sache von Privatfirmen und Zuzahlungen sein?
Nicht in Südbrandenburg. Dort nutzen Mediziner Telemedizin schon seit 2010. Hautarzt Bernd Richter in Bad Liebenwerda erhält dann zum Beispiel über ein sicheres Netz eine Anfrage von einem Hausarzt aus der Region - oft schon mit dem Foto eines Hautproblems. Die Frage kann lauten: Ich habe den Verdacht auf schwarzen Hautkrebs, ist das korrekt? Teilt Bernd Richter diesen Verdacht, bekommt der Patient bei ihm sofort einen Termin. »Sonst gibt es bis zu einem halben Jahr Wartezeit«. Richter würde es begrüßen, wenn dieses Internet-Ärztenetz noch weiter ausgebaut würde. Bei »goderma« mitmachen würde Richter hingegen nicht. »Ich brauche meine Lichtlupe. Und ich muss die Haut anfassen«, sagt er. »Bei allem anderen hätte ich Bauchschmerzen.« dpa/nd
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