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Australien: Ballett mit über 80 Jahren
Ein Australier zeigt, warum der Tanz der ideale Sport für alte Menschen ist
»Kopf nach oben«, »Schultern nach hinten«, »Zehen strecken« – in der Ballettschule in Noosa, einer Stadt an der australischen Ostküste, nördlich von Brisbane gelegen, herrscht reges Treiben. An der Spitze der Balletttruppe gibt Angelika Burroughs die Anweisungen – korrigiert hier und dort die Haltung, ermutigt, noch ein wenig länger durchzuhalten.
»Freude und Poesie in Bewegung«
Ihre Schülerinnen und Schüler sind keine Kinder oder Teenager, vielmehr stehen Erwachsene und darunter eine Reihe Seniorinnen – und ein Senior am Barren. Der Tänzer heißt Leon D’Aulnais und ist 83 Jahre alt. D’Aulnais verliebte sich bereits als kleiner Junge in den Balletttanz. »Ich sah mein erstes Ballett im Alter von sechs Jahren, und es passierte etwas Magisches«, erinnert er sich. Die Lichter auf der Bühne seien gedimmt worden, der Vorhang aufgegangen und im Scheinwerferlicht erschienen die Tänzerinnen und Tänzer: »Pure Magie für einen kleinen Jungen.«
Mit 16 Jahren nahm er erste Ballettstunden – doch für eine professionelle Karriere war es bereits zu spät und mit dem Arbeitsleben schlief auch das Hobby ein. Mit 29 Jahren hörte er zunächst ganz auf – damals zog es ihn ins Ausland, um das Friseurhandwerk zu erlernen. Mehrere Jahre verbrachte er in Dänemark, in London und schließlich in Hongkong. Bald schon sollte sich der Australier einen solch guten Namen als Friseur machen, dass die damalige Kunst- und Kulturszene mit ihm zusammenarbeiten wollte: Die britische Schauspielerin Vivien Leigh, die US-amerikanische Sängerin Jane Powell und die Jazzmusikerin Sarah Vaughan gehörten zu seinen prominenten Kundinnen. D’Aulnais stand damals selbst auch schon einmal auf der Bühne – in einer kleinen Rolle in der australischen Komödie »They’re a Weird Mob« aus dem Jahr 1966.
1997 zog D’Aulnais wieder zurück nach Australien und verspürte dort den Drang, zum Ballettunterricht zurückzukehren – um fit zu bleiben und die Freude am Tanzen zu genießen. Inzwischen war D’Aulnais in seinen 70ern und musste auf einige seiner Lieblingsposen und -sprünge, wie den »Grand Allegro« verzichten. Doch »die Freude und Poesie in der Bewegung« biete der Tanz nach wie vor für ihn, berichtet er.
Inspiration für andere betagte Schüler
Über das Ballett lernte der Senior zudem viele neue Bekannte und Freunde kennen, darunter seine Lehrerin Burroughs, die einst die Ballettschuhe in Kiew an den Nagel hing. Sie hatte nach dem Atomunfall in Tschernobyl ihre Heimat verlassen und war nach Australien immigriert. »Leon ist für alle meine Schüler und mich selbst eine große Inspiration«, sagt die Ukrainerin. Sie hoffe, dass sie in seinem Alter das tun könne, was er kann. »Er ist ein echter Beweis dafür, dass Ballett das Elixier der Jugend ist.«
Ballett sei mehr als nur eine schöne Kunstform, erklärt die Tänzerin. »Es ist ein wirksames Instrument zur Verbesserung der geistigen und körperlichen Gesundheit.« Mit Ballett ließen sich Fitness steigern, Stress abbauen und kognitive Fähigkeiten schärfen. Der Tanz helfe, Flexibilität und Stärke wie auch Koordination und Balance zu verbessern. Auch in anderen Ländern wird Ballett für Erwachsene immer beliebter – vor allem in den USA und in Großbritannien gilt es bereits als Breitensport.
Immer wieder wird der Tanz auch als Therapie eingesetzt. So bietet die Mark Morris Dance Group in New York Ballett für Parkinson-Patienten an, um die Beweglichkeit der Menschen, die an der neurologischen Krankheit leiden, zu unterstützen. In Noosa dagegen hat eine der Ballerinas wieder in ihr Leben zurückgefunden. Die ehemalige Profitänzerin Lesley Clough berichtete im Interview mit dem australischen Sender »ABC« vor Kurzem, wie der Tanz ihr half, mit Trauer und Traumata klarzukommen. »Ich hatte viel Zeit und war zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt, also habe ich beschlossen, Ballettunterricht zu nehmen«, erzählte sie und verglich den Tanz mit bewegter Meditation. »Es ist allumfassend, ein bisschen wie Surfen, da man nirgendwo anders sein kann als im Studio in sich selbst – es ist sehr reinigend für den Geist.«
Seit vier Jahren tanzt Clough nun auch neben D’Aulnais. Wie Burroughs sagt auch sie, dass der 83-Jährige eine »endlose Inspiration« für sie sei. Beispielsweise sei er »sehr hartnäckig«, einmal sogar mit zwei gebrochenen Rippen zum Unterricht gekommen. D’Aulnais dagegen will sich von gesundheitlichen Problemen nicht ausbremsen lassen. Auch eine Rückenoperation und Knieprobleme konnten ihn bisher nicht stoppen. »Ich werde tanzen bis zum Umfallen«, sagt er.
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