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Weltgewicht und Selbstsuche
Der Preis der Leipziger Buchmesse wird an diesem Donnerstag zum zehnten Mal vergeben, da werden die berühmten Alten von Enzensberger bis Walser inzwischen die Hoffnung aufgegeben haben, dass sie überhaupt damit gemeint sein könnten. Der Belletristik-Preis ist dafür da, jüngeren Autorinnen und Autoren einen Anstoß in die Zukunft zu geben - solchen, die Talent haben, aber in der Masse der Literaten untergehen würden. Vornehmlich vor dem Hintergrund dieser Masse ist der ganze Rummel zu verstehen - als Marketinginstrument, aber auch als trotzige Geste.
Absatzzahlen und literarischer Wert sind bekanntlich zweierlei. Mit den Preisverleihungen in Leipzig und Frankfurt (Main) soll Qualität zum Verkaufserfolg gebracht werden. Ob die Jury eine andere Wahl hätte treffen können - die Frage ist müßig, es sind immer subjektive Entscheidungen. Die Nominierten: Vier Junge und ein Älterer, vier Männer und nur eine Frau, niemand aus dem ostdeutschen Raum dabei, aber auch keiner aus der Schweiz oder aus Österreich - es ist, wie es ist, wo käme man hin, wenn eine Jury Quoten zu beachten hätte. Allerdings darf man schon monieren, dass in der siebenköpfigen Jury - gerade in Leipzig - niemand aus den »neuen Bundesländern« ist.
Nominierungen Belletristik
Saša Stanišić: »Vor dem Fest« (Luchterhand)
Die Jury: »Ein Roman als furioser Chorgesang in Prosa.«
Katja Petrowskaja: »Vielleicht Esther« (Suhrkamp)
Die Jury: »Ungeschützt, listenreich, suggestiv«.
Per Leo: »Flut und Boden. Roman einer Familie« (Klett-Cotta)
Die Jury: Hineingearbeitet »in die dunklen Seiten der deutschen Vergangenheit«.
Martin Mosebach: »Das Blutbuchenfest« (Carl Hanser)
Die Jury: »Eine Romanfigur von unerhörtem, unvergesslichem Eigensinn weiblicher Natur.«
Fabian Hischmann: »Am Ende schmeißen wir mit Gold« (Berlin)
Die Jury: »Selbstbewusst und souverän im Ton.«
Nominierungen Sachbuch
Diedrich Diederichsen: »Über Pop-Musik« (Kiepenheuer & Witsch)
Die Jury: »Pop galt bislang als ästhetische Unterkategorie. Nun nicht mehr.«
Jürgen Kaube: »Max Weber« (Rowohlt Berlin)
Die Jury: »Eine luzide erzählte Gesellschaftsgeschichte über den Aufbruch Deutschlands in die industrielle Moderne.«
Helmut Lethen: »Der Schatten des Fotografen« (Rowohlt Berlin)
Die Jury: »Bilder aus dem Zweiten Weltkrieg, Technik und Theorie der Fotografie, Erinnerungen an die eigene Kindheit«, verwoben zu einem nachdenklichen Essay.
Barbara Vinken: »Angezogen« (Klett-Cotta)
Die Jury: Wer sich auf ihren »erhellenden Blick auf die Mode einlässt, erkennt statt rasant wechselnder Trends langlebige Strukturen«.
Roger Willemsen: »Das hohe Haus« (S. Fischer)
Die Jury: Als »teilnehmender Beobachter, einfacher Bürger und reflektierender Intellektueller« auf der Besuchertribüne des Bundestags.
Nominierungen Übersetzungen
Paul Berf für »Spielen« von Karl Ove Knausgard (Luchterhand)
Die Jury: »Den exzessiven Schreibansatz des norwegischen Autors arbeitet er ebenso heraus wie seinen Detailreichtum.«
Robin Detje für »Europe Central« von William T. Vollmann (Suhrkamp)
Die Jury: »Die Vielstimmigkeit« dieses großen Romans »über Revolution, Krieg und Terror im 20. Jahrhundert« ins Deutsche gebracht.
Ursula Gräfe für »Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki« von Haruki Murakami (DuMont)
Die Jury: »Das Abgründige wird leicht und das Leichte abgründig.«
Hinrich Schmidt-Henkel für »Jacques der Fatalist und sein Herr« von Denis Diderot (Matthes & Seitz)
Die Jury: »Eine geglückte Anverwandlung des Originals, die mit dem Witz und Esprit der Vorlage auf Augenhöhe bleibt«.
Ernest Wichner für »Buch des Flüsterns« von Varujan Vosganian (Paul Zsolnay)
Die Jury: Er »erschließt uns das blutig-pittoreske Epos eines versprengten Volkes - der Armenier in Rumänien«.
Gegen das Ergebnis der Arbeit spricht das nicht. Die Nominierungen im belletristischen Bereich führen vor Augen, wie sich die deutsche Literatur durch Stimmen aus Osteuropa bereichert, wie ihr diese anderen Erfahrungswelten und Sichten zugute kommen, auch wenn Autoren - siehe Saša Stanišić - Themen hierzulande finden. Mehr Weltgewicht, was aber nicht gegen Selbstsuche spricht, die nun mal zu großer Literatur gehört. Eine Geschichte, die den Autor umtreibt, kann auch Leser bewegen, was man am Roman von Katja Petrowskaja erleben kann. Beim Onlinevoting für den Publikumspreis liegt der Jüngste ganz weit vorn: Fabian Hischmann, Jahrgang 1983. Hat da der großartige Martin Mosebach mit seinen 62 Jahren überhaupt eine Chance auf den Preis?
Ab 16 Uhr wird man es erfahren.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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