»Man ist viel zu früh jung«

Akademie der Künste: Am Donnerstag erhält Robert Schindel den Heinrich-Mann-Preis

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Angst weiß zu viel, um humorlos zu bleiben. Die Angst hat zu viel gesehen, um sich vor der Welt zu verstecken. Die Angst muss im Leid nicht schweigen, sie ist poetisch veranlagt: Sie kann ein Lied davon singen. Oder Gedichte schreiben. Robert Schindel schreibt über jüdische Erfahrung und über kommunistische Frühe - in der doch schon zerstörerisch dogmatische Spätfolgen auf ihren Ausbruch warteten; er schreibt über Träume und Tyrannis, über Shoah und Stalinismus. »In den vergnügten Melancholien meiner Jugend und in den verinnerlichten Befehlen, die von meinen Texten umkleidet wurden, rauchten die Schornsteine des Sozialismus. Darein mischten sich, ohne dass ich es wollte und anstrebte, andere Schornsteine einer anderen Industrie.«

Dieser Autor schreibt in einem Geist, darin der Witz die Wunde aufzuheitern versucht und die Wunde den Witz mit Unbegreiflichkeit versorgt. Schindel schreibt, wie er selbst bekannte, »gegen die Ideologieinfektion des Blutsäuferjahrhunderts« und mit Vorliebe über dessen gepeinigte Helden, die Renegaten. Silone, Koestler, Sahl. Gepeinigte? Ja. »In den Rechthabervereinen bleibt der Renegat das Allerletzte. Dagegen ist Judas Jesus.« So heißt es in einem Porträt über den jüdischen Schriftsteller Manès Sperber. Ein Essay über die Bewegung, die, so Schindel, »›am Schlaf der Welt rührte‹, diese Rührung nannte man auch Bolschewisierung des Sozialismus«. Sperber sei übrigens »nicht den Weg des Antikommunismus gegangen. Sein ›Lebenslänglich‹ bestand eben darin, das Individuelle mit dem Massenhaften irgendwie zu versöhnen, und von daher ist er wohl ein Sozialist in Tiefendimensionen geblieben«.

Robert Schindel, 1944 geboren in Bad Hall, ist ein leiser, scharfzüngig scheuer, aufrichtig schelmischer Dichter. Seine Poesie trägt offene, neugierige, große Augen in einem Gesicht, das Freundlichkeit wie eine Herausforderung präsentiert - mit der Gewissheit, dass die Welt diese Freundlichkeit wie eine Kampfansage empfinden muss. So kämpft Schindel, mit purer Waffenlosigkeit und mit Freude daran, der menschlichsten Kraft, der Ohnmacht nämlich, Ausdruck geben zu können. Ohnmacht und Freundlichkeit: das Erlebte und das Ersehnte. Das Ersehnte just wegen des Erlebten. Als Säugling wurde er unter falschem Namen in ein Wiener Kinderheim der Nazis geschmuggelt. Der Vater: in Dachau ermordet, die Mutter überstand Auschwitz und Ravensbrück. Beide waren Mitglieder einer kommunistischen Widerstandsgruppe. Großvater Salomon Schindel »wurde nebst schizophrenem Erstgeborenen fünfundsiebzigjährig quer durch Europa gefahren, damit man ihm im Rumbulawald zu Riga in den Bauch schießt.« Das ist der Schindel-Ton. Die Lakonie des Entsetzlichen. Die Wucht der Beiläufigkeit. Die Schroffheit des nüchternen Befunds.

»Jüdisches Gedächtnis - Auskunftsbüro der Angst« heißt einer seiner Essaybände, »Gebürtig« einer seiner großen Romane über die anhaltenden Folgen nationalsozialistischer Vergangenheit in Westdeutschland und Österreich. Eine Sammlung seiner oft zyklisch weit greifenden Gedichte, »Fremd bei mir selbst«, bietet Auszüge aus Bänden, die bezeichnende Titel tragen: »Ohneland«, »Geier sind pünktliche Tiere«, »Immernie. Gedichte vom Moos der Neunzigerhöhlen«, »Nervös der Meridian«. Stimmenstärke durch Notbewusstsein. Eingespanntsein zwischen Verlangen und Verzweifeln. Pfeifen nicht im dunklen Wald, sondern zwischen Menschen. Trotzdem »mittelgern« leben. Das geht, wenn du beim Blick auf Geschichte und eigenes Gemüt nur genügend Mut und Lust zur Einsicht hast: Der Mensch kommt seinesgleichen nie ganz auf die Spur. Nimm dich in Schutz, aber nimm dich auch in acht - zuallererst vor dir selber.

Welch wunderbares Sprachbild für das Verhältnis von unbeschwerter Sehnsucht und den mandelbitteren Verwerfungen, die sich in den Lebenslauf drängen: »Man ist viel zu früh jung«. So heißt ein Essayband Schindels. Der unerfüllbare Wunsch: Man müsste den Zauber der jugendlichen Entwürfe leidfrei verknüpfen können mit den Lehren jener späteren Entzauberung, der keine Existenz zu entkommen vermag. Aber wäre Leben dann wirklich lebendig? Die Augen der Toten geben Antwort. Welche? Schau hin!, dichtet Schindel.

Am morgigen Donnerstag erhält Robert Schindel, der kommende Woche 70 wird, den renommierten Heinrich-Mann-Preis für Essayistik der Berliner Akademie der Künste.

Hans-Dieter Schütt gehörte neben Robert Menasse, dem vorjährigen Preisträger, und Norbert Miller zur Jury des diesjährigen Heinrich-Mann-Preises.

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