Der Staat, wer ist das eigentlich?
Karlsruhe hat entschieden: Das ZDF muss »staatsferner« werden
Für manchen wäre es wohl einfacher, wenn sich Konrad Adenauer seinerzeit durchgesetzt hätte. Der autoritäre Altkanzler wünschte einst ein »Deutschlandfernsehen«, einen Sender, der direkt dem Bund unterstünde - und der die Kanzlerbotschaft quasi ungefiltert in die Gesellschaft blasen sollte.
Gebremst hat diesen Traum vom reinen Propagandafunk seinerzeit das Bundesverfassungsgericht. Bereits 1961, im Vorlauf zur ZDF-Gründung zwei Jahre später, befanden die Höchstrichter, von unmittelbaren Einflüssen des »Staates« habe auch das Zweite frei zu sein. Wer aber ist der »Staat« - und wer die »Gesellschaft«, die an dessen statt über die »Freiheit der Berichterstattung« wachen soll?
»Öffentlich« sollen sie sein, aber nicht »staatlich« - die Konstruktion von ARD und ZDF ist dementsprechend kompliziert.
Beim ZDF kontrolliert ein 77-köpfiger »Fernsehrat« das Programm, während der 14-köpfige »Verwaltungsrat« vor allem den Haushalt kontrolliert, aber auch Spitzenpersonalien entscheidet.
Bei der ARD gibt es bei den neun Länderanstalten »Rundfunkräte« unterschiedlicher Größe zur Programmkontrolle sowie »Verwaltungsräte«, die vor allem die wirtschaftliche Kontrolle über die Geschäftsführung durch die jeweiligen Intendanten ausüben sollen. nd
Zu den Instanzen, in denen sich diese ihre Meinung bildet, gehören die Parteien. Dick sitzen sie daher seit eh und je in den Gremien, die über die Sender wachen. Sind aber - in einem System, das wesentlich auf den Fraktionszwang baut - Parteien sauber vom »Staat« zu trennen? Und wie steht es um die Staatsferne jener Gremienmitglieder, die von Wirtschaft, Kirche oder Gewerkschaften entsandt worden sind - aber zugleich Parteien angehören? Wer ist das denn eigentlich, der »Staat«?
Das Dilemma einer Eindämmung »staatlicher« Einflussnahme auf das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat Karlsruhe noch oft beschäftigt. 1991 befanden die Verfassungshüter, die Mitglieder »gesellschaftlicher« Gruppen wie Kirche, Gewerkschaften, Arbeitgeber, aber eben auch Parteien, die in den »Rundfunkräten« der ARD-Anstalten bzw. im »Fernsehrat« des ZDF sitzen, dürften nicht versuchen, die Sender im Sinne der sie entsendenden Organisationen zu beeinflussen. Dass das in der Praxis schwierig sei, weil die betreffenden Personen oft Doppelrollen spielen, räumten die Verfassungsrichter damals selbst ein. Und tatsächlich sah sich das Gericht bereits 1994 erneut mit dem Fernsehen konfrontiert: Im sogenannten Gebührenurteil versuchte Karlsruhe, finanzielle Einflussnahme einzudämmen, indem es die Gebührenfestlegung über die »Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten« (KEF) reformierte.
In der nun in Karlsruhe entschiedenen Sache ging es wieder um dieses ewige Thema. Konkret zur Verhandlung stand diesmal der »Fall Nikolaus Brender«: Der Vertrag des damaligen ZDF-Chefredakteurs war 2009 vom ZDF-Verwaltungsrat nach einem monatelangen intransparenten Parteiengeklüngel gegen den Willen des damaligen Senderintendanten Markus Schächter nicht verlängert worden, weil Brender offenbar den CDU-Größen im Gremium nicht mehr passte. Insbesondere der frühere hessische Regierungschef Roland Koch (CDU) hatte Front gegen Brender gemacht. Daraufhin klagte der ZDF-Verwaltungsratsvorsitzende und Mainzer Ex-Regierungschef Kurt Beck (SPD) im Verein mit Hamburg quasi gegen sein eigenes Gremium.
Nun hat Karlsruhe durchgezählt und immerhin das Folgende entschieden: Ministerpräsidenten, Minister, politische Beamte und Parteivertreter seien allesamt als »staatsnah« einzustufen - und es gebe tatsächlich zu viele von ihnen in der Programmkontrolle des ZDF. Die »Staatsquote« beim Zweiten liegt demnach im Augenblick bei über 40 Prozent und muss bis kommendes Jahr auf ein Drittel reduziert werden. Ansonsten drohe der Sender zum »Staatsfunk« zu verkommen, was laut Verfassung nicht sein darf.
Das bedeutet praktisch, dass im ZDF-Fernsehrat nur noch 25 »staatsnahe« Personen sitzen dürfen, im Verwaltungsrat vier von 14. Und indirekt könnte das Urteil auch Einfluss auf die ARD-Anstalten haben, die ihre Rundfunk- und Verwaltungsräte womöglich ebenfalls »unpolitischer« besetzen müssen. Das wäre allerdings über Landesgesetze zu regeln.
Die ZDF-Bosse - Intendant Thomas Bellut, Verwaltungsratschef Kurt Beck (SPD) und der Fernsehratschef und frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz - erklärten unisono, das Urteil unterstreiche die »Unabhängigkeit« des Senders. Ähnlich äußerte sich ARD-Vorsitzender Lutz Marmor: Das »Fundament der Staatsferne« sei gestärkt.
Dem kann man wohl zustimmen - doch liegt die Latte auch reichlich niedrig. Bisher durften nämlich letztlich die Ministerpräsidenten auch über die ZDF-Hierarchen entscheiden, die nicht vom »Staat«, sondern der »Gesellschaft« kamen. Nun darf der Politeinfluss auf die Wahl derselben nicht mehr »bestimmend« sein.
Viele Bürger werden nicht gewusst haben, dass das so gewesen ist. Aber es ist gut, dass es sich ändert.
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