Abstraktion und Ursprung

»Jawlensky neu gesehen« im Museum Gunzenhauser in Chemnitz

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

Dieser Maler sucht in den Farben einen eigenen Klang. Das mag merkwürdig anmuten, vom Klang der Farben zu reden, man malt schließlich nicht mit den Ohren! Für Alexej von Jawlensky jedoch hat Malen nie bedeutet, etwas Gesehenes abzubilden, sondern sein Sehen ist etwas, das er im Laufe des Lebens verinnerlicht. Da verbindet sich Innen mit Außen, Gesehenes mit Gehörtem, Ausgemaltes mit Erinnertem. Insofern malt der Maler auch nach Gehör, folgt einer inneren Stimme. Die Empfindung selbst wird dabei zum Resultat einer Konstruktion; denn unsere hochzivilisierte Natur ist zu nicht geringen Teilen eine künstliche. Wer uns den Strom abschaltete, machte uns umgehend hilflos. Zurück zur Natur, im Wortsinne verstanden, mündete in bloße Schäferidylle. Also vorwärts immer, rückwärts nimmer?

Tatsächlich sind wir zum Fortschritt verdammt. Das weiß man, betrachtet man die Bilder der Maler von »Brücke« und »Blauem Reiter«. Jawlensky war hier ein Außenseiter, Künstlerkollektive hielt er fast schon für Verrat an der Kunst, selbst wenn die Existenznot ein strafmildernder Umstand ist. Der Weg der Bilder Alexej Jawlenskys von Beginn des 20. Jahrunderts bis zu seinem letzten Bildern im Jahre 1937 zeigt, das der Zwang zum Fortschritt auch Möglichkeiten bietet, die nichts mit blindwütiger Mechanik zu tun haben. Denn Fortschritt kann auch ein Mehr an Einfachheit sein, Zunahme an Zurückhaltung, Meditation statt Kalkül.

Das Museum Gunzenhauser in Chemnitz zeigt nun in einer überaus umfangreichen, von Thomas Bauer-Friedrich kuratierten Ausstellung unter dem Titel »Jawlensky neu gesehen«, wie dieser Maler unablässig nach Möglichkeiten suchte, tradierte Rollen (und sei er in ihnen noch so erfolgreich gewesen) zu zerbrechen und Raum für Neues zu schaffen. Die Frage der Abstraktion in der Kunst stellt sich für jeden in Jawlenskys Generation auf dramatische Weise - und jeder, der schöpferisch bleiben will, wird die Grenze zwischen Sinnlichkeit und Gedanken, die innere Balance des modernen Kunstwerks, immer mal wieder probehalber in diese oder jene Richtung verschieben. Zu sehen, wie es klingt, und zu hören, wie es aussieht!

Der Grundton dieser neuen Kunsttheorie gibt Wassily Kandinsky vor mit seiner Programmschrift »Über das Geistige in der Kunst« von 1912. Die Russen in der modernen Kunst, was für ein Thema! Zumal inmitten einer soeben aufgeflammten neuen Hass-Ideologie, die uns »den Russen an sich« am liebsten als einen chauvinistischer Nationalisten präsentiert. Kandinsky, damals übrigens bereits in München, schreibt: »Je freier das Abstrakte der Form liegt, desto reiner und dabei primitiver klingt es.« Ein Satz, über den zu meditieren sich lohnt. Genau das tat Jawlensky.

Bereits in seinen frühen Bildern aus und um Murnau von 1909, oder den expressionistisch-farbexplosiven Arbeiten wie »Sturmkiefern in Prerow« von 1911, besonders aber in »Südliche Landschaft - Bodighera« von 1914 zeigen sich diese Inseln der Stille in all dem unüberhörbaren Lauten seiner Farbgebung; der Klang der Farben erhält sich seinen Resonanzraum. In Bodhigera an der ligurischen Küste, wohin sich Jawlensky wegen einer Venenentzündung begab, malte er auch zum zweiten Mal (das erste Mal 1908) ein »gelbes Haus« - mehr als nur eine Hommage an Vincent van Gogh und sein berühmtes gelbes Haus in Arles. Nein, Jawlensky gibt seinem Bild einen fast maurischen Zug; alles rundet sich hier in maritimem Blau-Grün, das sich mit dem der in südliches Licht getauchten Berge zu einer einzigen Farb-Woge zu vermischen scheint. Das gelbe Haus aber zeigt Flagge (zwei kleine rote). Dieses standhafte Quadrat mit zwei Höckern auf dem Dach als miniaturisierten Kuppeln behauptet im zugespitzen Kontrast zwischen tiefblau-violettem Berg und gelbem Quadrat einen zivilisatorischen Raum, der zum leuchtenden Mittelpunkt des Gemäldes wird.

Der Weg, den Jawlensky von Jahr zu Jahr immer entschlossener geht, ist der der Reduktion, ein Minimalismus der Mittel bei gleichzeitiger Steigerung des Ausdrucks. Das ist besonders deutlich in der Reihe von Köpfen, die die Ausstellung zeigt. Frappierend die Metamorphosen der Gesichter. Von »Mystischer Kopf« (1917) bis zu »Abstrakter Kopf« in Schwarz-Weiß von 1931 ist es ein weiter Weg, der von der Veränderung seines Selbstverständnisses als Maler zeugt. Dieser Weg mündet 1936 in »Große Meditation: Gelb - Blau - Rot«. Links eine rote Fläche von einem vertikalen schwarzen Balken getrennt von der rechten Seite, deren untere Hälfte blau, die ober gelb ist. Am oberen Rand des Bildes zwei horizontale schwarze Balken. Was hier immer noch an Gesichthaftem aufscheint, das kommt aus der Mitte von Farbe und Form. Das scheint abstrakt und ursprünglich zugleich. Aufs Äußerste vereinfacht und zugleich in unaufklärbare Tiefen reichend.

Dieser Weg des Malers hin zu seiner Vollendung bleibt immer auch ein starkes Bekenntnis zum Fragment, zum Offenlassen für etwas, das der Betrachter mit ins Bild hineinbringen muss. Für Jawlensky ist klar: das Bild, wie er es auf die Leinwand bringt, ist eine Konstruktion, in der Sehender wie auch Gezeigter zu einer Art unio mystica gelangen: eine skeptische Einheitsvision, die den kurzen Augenblick der Verschmelzung immer aufs Neue feiert.

Die Intensität dieser Arbeiten, die mit immer weniger malerischen Mitteln mehr auszudrücken versuchen, hat auch einen biographischen Hintergrund. 1928 erkrankt Jawlensky schwer an einer Arthritis. Seine Gelenke versteifen mehr und mehr, so dass er die letzten vier Jahr seines Lebens völlig bewegungsunfähig im Bett liegen muss. Bis dahin jedoch malt er. So entstehen auch »Meditationen« - im Ganzkörpereinsatz mit zwischen die Hände geklemmtem Pinsel und Bewegung des Rumpfes. Die ablaufende Frist nutzend arbeitet er so in diesen letzten Jahren unablässig gegen den versagenden Körper an. Dabei entstehen lauter Variationen des Passionswegthemas, bis in den schlichtesten Zusammenklang von Farbe, Form, Linie und Punkt hinein. Es leuchtet in diesen Bildern immer stärker von innen.

Schmerzlich war es für ihn 1937, bereits im Rollstuhl sitzend, die Münchener Ausstellung »Entartete Kunst« erleben zu müssen, worin seine Formgebungen menschlicher Apotheose, die in seinen späten Arbeiten einen geradezu religiösen Charakter annahm, als infantiler Unsinn verhöhnt wurde. Auch vor diesem Hintergrund sollte man die mit viel liebevoller Hingabe an das besondere Werk Alexej Jawlenskys gestaltete, überaus reich bebilderte Ausstellung in der Chemnitzer Galerie Gunzenhauser gesehen haben.

Kunstsammlungen Chemnitz, Museum Gunzenhauser, bis 27.4., Katalog 38 €

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