Gabriel rechnet brutto
EEG-Reformpläne ignorieren technische Entwicklung bei Windkraft
Wenn hierzulande über Brutto- und Nettosummen gestritten wird, geht es meist um die Steuerpolitik. Doch auch in Energiefragen hat diese Unterscheidung mittlerweile große Bedeutung bekommen. Dabei geht es um den weiteren Ausbau der Windenergie an Land. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) möchte diesen bei der Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes künftig auf 2500 Megawatt pro Jahr begrenzen. Da der Staat aber lediglich Wünsche äußern und nicht etwa Bauverbote aussprechen kann, soll es sich - wie bereits Praxis im Bereich Photovoltaik - um einen »atmenden Deckel« handeln. Das heißt: Wenn der Zubau die Obergrenze überschreitet, wird die gesetzlich festgelegte Einspeisevergütung für die neuen Anlagen stärker abgesenkt.
Die 2500 Megawatt von Sigmar Gabriel sind allerdings deutlich weniger als 2500 Megawatt. Vielerorts ersetzen nämlich neue leistungsstarke Windräder kleine Altanlagen, was als Repowering bezeichnet wird. Das Ministerium rechnet allerdings brutto, summiert also lediglich die Gesamtleistung der Neuanlagen, obwohl die Windenergie wegen der Stilllegungen netto gar nicht so stark ausgebaut wird. Und wichtig ist doch auch beim Strom, was hinten raus kommt. Das meint zumindest Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD): »Der Deckel für die Windenergie muss zumindest ohne Repowering gerechnet werden«, versuchte der SPD-Politiker am Dienstag Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu verklickern. »Das wäre kein Königsweg, aber ein erträglicher Kompromiss.« Albig spricht auch für andere Ministerpräsidenten und zahlreiche Bürgermeister im Norden, wo an den Küsten eine neue Infrastruktur bei Häfen und Zulieferfirmen entstanden ist.
Umlage: Im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) gibt es mehr als 4000 verschiedene Vergütungssätze. Laut den Reformplänen soll der Satz für neue Anlagen im Schnitt auf 12 Cent je Kilowattstunde (kWh) sinken.
Windenergie: Der jährliche Zubau soll auf 2500 Megawatt (MW) begrenzt werden, die Anfangsvergütung nur noch 8,9 Cent je Kilowattstunde betragen. Zum Vergleich: Ein durchschnittliches AKW produziert etwa 1400 MW. Strittig sind der »Ausbaudeckel« und die Bruttoberechnung. Einige Länder fordern, dass die Förderkürzungen statt wie geplant zum 23. Januar 2014 deutlich später greifen.
Windkraft im Meer: Hier sollen die Ausbauziele gekürzt werden - von bisher 10 000 Megawatt auf 6500 Megawatt bis 2020.
Biomasse: Wegen der Zunahme von Maismonokulturen soll der Zubau auf 100 Megawatt pro Jahr gedeckelt werden - mehrere agrarisch geprägte Länder fordern Korrekturen. Neue Anlagen sollen vor allem mit Abfall- und Reststoffen gefüttert werden.
Stromnetze: Sie sind nicht Thema der EEG-Reform, doch die Forderung von Bayerns Regierungschef Horst Seehofer (CSU) nach Verzicht auf eine neue Trasse von Sachsen-Anhalt nach Bayern steht auf der Tagesordnung.
Industrierabatte: Rund 2100 Unternehmen sind derzeit begünstigt, sie bezahlen dadurch 5,1 Milliarden Euro weniger. Geplant ist eine Reduzierung um eine Milliarde Euro. Es gibt politischen Druck, etwa aus Nordrhein-Westfalen, möglichst wenige Verschärfungen zuzulassen.
Eigenstrom: Unternehmen, die Strom selbst erzeugen und verbrauchen, sind bislang von der EEG-Umlage befreit. Künftig sollen sie einen Mindest-»Soli« von 1,2 Cent je kWh zahlen. Private Haushalte oder Supermärkte, die sich mit Solarstrom von Dach selbst versorgen, sollen dagegen 4,4 Cent blechen - die Solarlobby läuft gegen diese Ungleichbehandlung Sturm. dpa/nd
Der Trend zum Repowering hängt mit der technischen Entwicklung zusammen. Zur Jahrtausendwende lag die mittlere Nennleistung neu installierter Windräder noch bei rund ein Megawatt - mittlerweile ist die 3-MW-Klasse Standard. Die Anlagenbauer können sogar Giganten mit mehr als 200 Metern Höhe und fast 3000 Tonnen Gesamtgewicht bauen, die es auf eine Leistung von 7,5 Megawatt bringen.
Ein weiterer Grund sind die Probleme, zusätzliche Flächen zu finden - insbesondere aufgrund von Anwohnerprotesten. Das Repowering sorgt für mehr Akzeptanz, weil die Zahl der Windräder sinkt und Kommunen höhere Gewerbesteuereinnahmen verzeichnen. Wegen der vielen Vorteile wird das Vorgehen seit Jahren vom Bundesumweltministerium unterstützt. Die neue Regierung will davon nichts mehr wissen.
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