Über Nacht schlauer werden?

Schlaf ist gut für das Gedächtnis. Darin sind sich Forscher schon lange einig. Doch Schlaf ist nicht gleich Schlaf und Kinder schlafen nicht nur anders als Erwachsene, sondern sie lernen auch anders. Von Anja Laabs

  • Anja Laabs
  • Lesedauer: 4 Min.

Stellen Sie sich vor, wie ein Kind den Verkehr in einer Stadt erlebt - viele Autos, Ampeln und Kreuzungen.« Da sei, erläutert Jan Born vom Lehrstuhl für Medizinische Psychologie der Universität Tübingen, »das reinste Chaos«. Dass es in diesem Chaos dennoch Regeln gebe, lernen Kinder im Schlaf - »nachdem sie immer und immer wieder dieses Chaos erlebt haben«. Aus Sicht des Schlafforschers verarbeiten Kinder diese Fülle an Informationen während des Schlafs aber nicht, wie lange angenommen, in Träumen. Stattdessen findet die neurologische Archivierung, Sortierung und Festschreibung von Wissen hauptsächlich in den Tiefschlafphasen statt. Das zumindest zeigt eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern um Ines Wilhelm und Born. Für ihn sei diese Erkenntnis sehr wichtig, sagt Born, weil sie helfe, zu verstehen, wie Kinder überhaupt lernen.

Die kindliche Tiefschlafverarbeitung unterscheide sich zudem auch wesentlich von der Art des Lernens bei Erwachsenen. Während sich bei diesen Gedächtnisinhalte umformen und neue Lerninhalte an alte anknüpften, würden bei Kindern neue Inhalte durch Abstraktion vollkommen unbewusst festgeschrieben. Das würde nach Ansicht Borns auch erklären, warum Kinder, je jünger sie sind, umso mehr schlafen. Nur so sei es überhaupt möglich, die immense Fülle an Eindrücken zu verarbeiten und zu sortieren. Und darin liege ja die eigentliche Gedächtnisleistung - in der Festschreibung sortierter Erfahrungen. Das sei bei Kindern auch insofern einfacher, als dass sie nicht nur viel mehr schlafen, sondern auch längere Tiefschlafphasen haben. Bei Erwachsenen lässt das ab dem 40. Lebensjahr rapide nach. Sehr alte Menschen haben kaum noch Tiefschlafphasen. Allerdings kann man daraus nicht schließen, dass die dann auch nicht mehr lernen können.

»Nicht alles wird mit zunehmendem Alter schlechter«, fasste Otto Witte, Direktor der Klinik für Neurologie des Universitätsklinikums Jena, die bisherigen Erkenntnisse zum Lernen älterer Menschen kürzlich anlässlich des 30. Internationalen Kongresses für Klinische Neurophysiologie in Berlin zusammen. Zwar gebe es nur wenige Untersuchungen zu den Kognitionsabläufen alter Menschen, dennoch sei bekannt, dass Lernen bei ihnen vor allem über die Anknüpfung an unbewusste Gedächtnisinhalte funktioniert, sie dafür also Vorwissen benötigen. »Allerdings«, so Witte, »erschwert gerade dieser Mechanismus das Lernen neuer Inhalte.« Aus Sicht des Schlafforschers Born relativiert sich das Problem aber insofern, als dass mit zunehmendem Alter auch mehr Wissen und damit mehr Anknüpfungspunkte vorhanden seien und dadurch letztlich auch weniger Tiefschlaf zur Gedächtniskonsolidierung nötig sei.

Schlafdauer und Schlaftiefe korrelieren, so zeigen verschiedene Studien, mit dem sich natürlicherweise verändernden Schlafverhalten des Menschen. Während Kinder beispielsweise sogar während des Mittagsschlafes in den Tiefschlaf gelangen, sei das bei Erwachsenen praktisch nicht mehr der Fall. Man sollte diesen biologischen Sachverhalt allerdings nicht mit psychisch verursachten Schlafstörungen verwechseln.

Doch mehr als nur der Schlaf beeinflussen eine Reihe weiterer Faktoren das Gedächtnis. Zu ihnen zählt der Neurologe Witte vor allem körperliche Aktivitäten. So konnte nachgewiesen werden, dass Bewegung die Lern- und Merkfähigkeit verbessert, weil sie biochemische Prozesse im Gehirn beeinflusst. Ähnlich sei das bei geistigen Aktivitäten wie Lesen, Diskussionen und Videospielen. Auch so schwer messbare Faktoren wie Glück und Zufriedenheit seien »modulierende Faktoren für ein besseres Gedächtnis«, weil sie, so Witte, günstige Voraussetzungen für die Aufnahme neuer Lerninhalte seien. Dabei dürfe nicht übersehen werden, dass Vorbildung und die Bildungsentwicklung eines Kindes - schon vor der Geburt - die spätere Hirnleistung wesentlich prägen.

Abgesehen davon brauche das Gehirn aber Impulse, sozusagen zu verarbeitende Daten. Isolation und Zurückgezogenheit spielen deshalb bei der Entstehung demenzieller Erkrankungen im Alter eine wichtige Rolle. Für Witte gehören Seniorenheime deshalb »mitten in die Stadt und nicht in ruhige Landschaften.« Früher lebten alte Menschen in Großfamilien, dort wurden sie gebraucht und so auch gefördert. Insofern sei es aus seiner Sicht zu einfach, Demenz als zwangsläufiges Altersgebrechen zu sehen. Mit zunehmender Lebenserwartung würden sich zwar altersassoziierte Erkrankungen in ein höheres Alter verlagern, doch seien auch in einem alternden Gehirn die Zellen noch regenerationsfähig.

Wie und wie weit das Gehirn darüber hinaus auch pharmakologisch und durch elektrische Impulse beeinflusst werden kann, da »stecken wir noch in einer vorarchaischen Zeit«, bedauert Schlafforscher Jan Born. Zwar gebe es bereits seit hundert Jahren Gedächtnisforschung, dennoch stehe man, was die Einflussnahme auf das Gehirn und das Verständnis der komplexen Zusammenhänge zwischen äußeren und inneren Faktoren anlangt, erst am Anfang. Born: »Nur eines wissen wir ziemlich genau aus der Alltagsbeobachtung: Schlaf hilft beim schlau werden, aber allein das reicht nicht aus.«

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