Die Bannung des Krieges

Dresdner Albertinum zeigt große Sonderschau zu Otto Dix’ Triptychon »Krieg«

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Transaktion hatte Symbolkraft: Als die Kunstsammlungen Dresden 1968 das Triptychon »Der Krieg« von Otto Dix (1891-1969) käuflich erwerben wollten, das zuvor gut zwei Jahrzehnte als Leihgabe in den Museen der Stadt zu sehen war, mussten sie Kunstwerke aus ihren Beständen veräußern, um die vom Künstler geforderten 500 000 Westmark aufzubringen. Den Löwenanteil der Summe erzielte man durch die Versteigerung von Stücken aus der Rüstkammer: Streithämmer, Armbrüste und Dolche aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Auf einem Schlachtfeld wird keines der Stücke je genutzt worden sein. Dennoch wirkt es äußerst passend, dass man sich ausgerechnet von Waffen trennte, um eines der erschütterndsten künstlerischen Zeugnisse über das Grauen des Krieges zu erwerben.

Dix’ Werk gehört seither zu den markantesten Werken in der Dauerausstellung der Galerie Neue Meister im Albertinum. Jetzt aber wird ihm noch einmal zu gesteigerter Aufmerksamkeit verholfen. Der 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs ist Anlass für eine Sonderschau, die gänzlich neue Sichtweisen auf das Triptychon erlaubt, vor allem auf dessen Vor- und Entstehungsgeschichte.

Ermöglicht wird ein Blick in Dix’ Atelier in der Dresdner Kunsthochschule, die direkt neben dem Albertinum an der Brühlschen Terrasse steht und wo der Maler als Professor wirkte, bis er 1933 wegen angeblicher »Beeinträchtigung des Wehrwillens« gefeuert wurde. Dort rang er ab 1928 über vier Jahre hinweg mit der Form und dem Stoff. Ermöglicht wird aber vor allem ein erschütternder Blick in die Schützengräben von Westfrankreich, in denen der Maschinengewehrschütze Dix als Angehöriger eines Reservekorps der 3. königlich-sächsischen Armee lag und in denen er das Gemetzel miterleben musste, das er zehn Jahre nach Kriegsende in ein zutiefst beunruhigendes Bild bannte - ein Bild, das Anlass für Bewunderung bietet und zugleich nahezu unerträglich ist.

Der Grund ist einfach: Dix beschönigt und verklärt nichts. Er schildert den Krieg als etwas - wie er es als 70-Jähriger formuliert - »Viehmäßiges«. Die Kriegsbilder der Alten, hatte er kurz zuvor in der DDR-Zeitung »Union« erklärt, sähen so aus, »als ob sie nicht dabei gewesen seien«. Dix war dabei, und er schont auch den Betrachter nicht. Schon die zahlreichen Zeichnungen, die er als Soldat schuf und von denen viele in der Ausstellung hängen, sind voller zerwühlter Landschaften mit Kratern, die ihn an hohle Augen in einem Schädel erinnerten; sie zeigen futuristisch verfremdete Einschläge von Granaten und immer wieder zerfetzte Körper von Menschen wie von Tieren. Gleiches gilt für eine 1924 entstandene Serie von Radierungen, die ebenfalls gezeigt wird. Frühere Bilder vom Krieg hätten »eine Seite der Wirklichkeit noch gar nicht dargestellt: das Hässliche«, schrieb Dix später. Er zeigte es - und schreckte vor nichts zurück: Im Interesse größtmöglicher Akkuratesse aquarellierte er in einem Pathologischen Institut sogar menschliche Eingeweide, bevor er sich ans Werk machte.

Die Ausstellung zeigt solche Farbstudien ebenso, wie sie den Blick auf die erste große künstlerische Auseinandersetzung Dix’ mit dem Thema Krieg lenkt: das 1923 beendete Bild »Schützengraben«, in den Worten von Kurator Olaf Peters eine »Grabenlandschaft des Todes und der Verwüstung«. In der am Trauma des Vertrags von Versailles leidenden, vielfach auf Revanche sinnenden Öffentlichkeit der Weimarer Republik stieß das Bild auf Empörung; den Nazis galt es als entartet; später ging es verloren. Das Triptychon indes, in dem Dix das Thema entscheidend weiter entwickelte, war vor 1933 nur einmal öffentlich zu sehen, wurde dann versteckt - und blieb auf diese Weise erhalten.

Der Vergleich mit dem Vorgängerbild, vor allem aber mit den Skizzen, Vorstudien und Kartons, von denen in der Dresdner Schau eine beeindruckende Auswahl zu sehen ist, belegt freilich auch, dass es Dix nicht mehr nur um nackten Realismus ging. Er entschied sich für die, wie Peters formuliert, »Pathosformel des Triptychons«, mit der er sich bewusst in die Tradition der alten Meister stellte; genannt wird vor allem Matthias Grünewald mit dem Isenheimer Altar. Das geht bis zum Material: Untersuchungen, die in Vorbereitung der Schau am Bild vorgenommen wurden, zeigen, dass es auf kompliziert gefertigte Tafeln aus American Whitewood gemalt ist, einer Magnolienart. Der hohe Anspruch »zeigt sich schon im Bildträger«, sagt Restauratorin Marlies Giebe und spricht von einem »altargleichen Werk«.

Auf dem Weg dorthin veränderte Dix immer wieder wichtige Details und die gesamte Komposition, wie jetzt nicht zuletzt im Zuge von Röntgen- und Infrarotuntersuchungen deutlich wurde. Er griff zudem auf symbolhaft aufgeladene Formen und Motive zurück: Im rechten Flügel malt er sich selbst in der Gestalt eines barmherzigen Samariters, der einen Verletzten vom Schlachtfeld birgt. Aufgeladen ist auch das Motiv der ruhenden (oder toten) Soldaten, die er in der Predella abbildet - die Parallelen zum vom Kreuz genommenen Jesus sind unübersehbar. Der Weg zum abschließenden Gemälde sei »unerwartet schwer und diffizil« gewesen, sagt Co-Kuratorin Birgit Dalbajewa. Dix indes sei ihn bewusst gegangen: »Er hatte vor, etwas Bleibendes zu schaffen.«

Die Sonderschau belegt noch einmal eindrücklich, dass ihm das gelungen ist. Zwar ist »Der Krieg« - anders als von Dix einmal gewünscht - noch immer nicht in einem schwarz ausgemalten Bunker zu sehen, aber doch vor einem Hintergrund, der das monumentale Werk noch eindrücklicher wirken lässt als in der Dauerausstellung. Im sehr informativen Katalog wird Dix mit der Äußerung zitiert, er habe Kriegsbilder nicht gemalt, um Krieg zu verhindern: »Das hätte ich mir nie angemaßt.« Ihm sei es vielmehr darum gegangen, den Krieg »zu bannen«, fügt er an: »Alle Kunst ist Bannung.« Vor seinem Triptychon steht der Betrachter nun tatsächlich - gebannt.

Otto Dix: Der Krieg - Das Dresdner Triptychon. Bis 13. Juli 2014 im Albertinum, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr. Katalog erschienen im Sandstein-Verlag, 29,90 €.

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