»Wir müssen uns an die Akten herantasten«

Hans-Christian Ströbele (Grüne) über die schwierige Wahrheitssuche im NSA-Untersuchungsausschuss

  • Lesedauer: 6 Min.
Hans-Christian Ströbele sitzt als stellvertretender Obmann der Grünen-Bundestagsfraktion im NSA-Untersuchungsausschuss. Der Parlamentarier sprach mit den »nd«-Redakteuren Aert van Riel und Fabian Lambeck über den plötzlichen Rücktritt des Gremiumsvorsitzenden, die geplante Vorladung Edward Snowdens und mögliche Schwierigkeiten bei der Wahrheitssuche.

nd: Überrascht Sie der Rücktritt des Ausschussvorsitzenden Clemens Binninger?
Ströbele: Ja, sicher. Ich habe nicht damit gerechnet. Die Gründe, die er angibt, sind doch notdürftig zusammengesucht.

Sind mit seinem Rücktritt die Chancen gestiegen, dass alle im Ausschuss vertretenen Parteien die Einladung Edward Snowdens unterstützen? Schließlich galt Binninger als Gegner einer solchen Befragung.
Keine Ahnung. Wir werden es erfahren. Ich gebe die Hoffnung auf ein Einsehen nicht auf. Wir wollen den Antrag, Snowden als Zeugen zu befragen, am Donnerstag entschieden haben. Es sah zunächst nach der letzten Sitzung so aus, als wenn es da bei der Union, jedenfalls bei einigen, und auch bei der SPD, zu einer veränderten Position gekommen wäre, also dass die unserem Antrag unter bestimmten Voraussetzungen zustimmen. Rechtlich bindend ist aber auch ein Beschluss des Ausschusses mit der qualifizierten Minderheit, also mit den Stimmen von LINKEN und Grünen.

Wie könnte ein Kompromiss aussehen, also ein Antrag, den alle Fraktionen unterschreiben könnten?
Eine Videobefragung in Moskau schließe ich aus. Herr Snowden hat mir gesagt, er will nicht in Moskau aussagen, und er hat gute Gründe dafür. Wenn er wirklich alle Fragen beantwortet, sagen möglicherweise die Russen, du hast hier gegen die Bedingung verstoßen, den Beziehungen zu den USA nicht weiter zu schaden. Das heißt, wenn er sein Asyl nicht gefährden will, kann er dort gar nicht aussagen. Natürlich hätte es viel mehr Gewicht, wenn alle im Ausschuss dem Antrag zustimmen. Wichtig ist, den Beweis zu erheben, also Snowden zu befragen. In jedem Fall werden wir uns damit auseinandersetzen, wie wir ihn in den Ausschuss bekommen können. Dann muss der Ausschuss die Bundesregierung auffordern, alles zu tun, um dies zu erreichen.

Unionspolitiker wie Binninger meinen, Snowden könne nichts zur weiteren Aufklärung beitragen.
Snowden muss die Dokumente kennen, die er mitgenommen hat, sonst hätte er sich ja nicht so lange bemüht und die Sachen gesammelt. Das heißt, die Behauptung von CDU-Politikern, der kann nichts beitragen und der kann nichts aussagen, die ist einfach lächerlich, das würde vor keinem Gericht einen Augenblick standhalten.

Nun sagte der SPD-Chef Gabriel vor wenigen Tagen, dass man für Snowdens Sicherheit in Deutschland nicht garantieren könne.
Es wäre ein Armutszeugnis, wenn Herr Gabriel so was sagt. Aber ich bin überzeugt davon, dass die Sicherheitsbehörden das können. Wenn sie Dutzende von Zeugen in Deutschland jedes Jahr davor schützen, dass die Mafia sie umbringt, dann können sie auch Snowdens Sicherheit garantieren. Wenn sie es wollen.

Der Ausschuss kann ausländische Zeugen vorladen, aber deren Erscheinen nicht erzwingen. Interessanter sind deshalb die deutschen Zeugen. Wer ist auf Ihrer Liste?
Wir haben mit der LINKEN einen gemeinsamen Antrag eingebracht, erst einmal Ex-Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) und Ex-Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) anzuhören. Uns interessiert, was die beiden bei ihren wichtigen Reisen in die USA erfahren haben. Wie konnte es dazu kommen, dass sie im Sommer 2013 gesagt haben, dass sie innerhalb von sechs Wochen die Akten von der NSA kriegen. Sie sind erneut nach Washington geflogen, und wieder gab es keine Akten. Ihr letztes Versprechen war, dass Mitte Dezember 2013 alles auf dem Tisch liegen soll. Wir haben bald Ostern, und noch immer ist nichts da. Offenbar sind ihnen Versprechen gemacht worden, die dann nicht eingehalten worden sind - oder sie haben gelogen. Irgendwas kann doch nicht stimmen an der ganzen Geschichte. Das heißt, wir müssen uns rantasten an die Akten.

Glauben Sie, da fündig zu werden?
Über die Gespräche mit den USA werden ja Vermerke und Protokolle gemacht sowie Vorbereitungspapiere ausgearbeitet. Die möchte ich sehen. Und bei den Chefs von BND und Verfassungsschutz ist es genauso. Die waren ja mehrfach in den USA und der NSA-Chef seinerseits mehrmals in Deutschland. Mich interessiert, was die da eigentlich miteinander besprochen haben. Auch da müsste es entsprechende Vermerke geben.

Wird der Ausschuss alle verfügbaren Dokumente der deutschen Dienste einsehen können?
Nein. Ich fürchte, es gibt wieder bestimmte Bereiche, da haben sie auch in der Vergangenheit dichtgemacht. Etwa dort, wo es um überwiegende Interessen ausländischer Dienste geht. Das ist so eine Art Tabu.

Aber gerade das könnte doch der Knackpunkt sein. Schließlich scheinen deutsche Dienste und die NSA sehr eng kooperiert zu haben. Damit würde jede Herausgabe von Akten, die diese Zusammenarbeit offenlegen, die Interessen der Amerikaner verletzen, also tabu sein.
Man muss erst einmal sehen, wieweit davon Gebrauch gemacht wird und wieweit wir das hinnehmen. Notfalls müssen wir gerichtlich klären lassen, ob sie nicht doch Auskunft geben müssen. Schließlich tagt der Ausschuss auch geheim, und die Abgeordneten müssten ja eigentlich alles wissen dürfen.

Ein weiter Knackpunkt: Union und SPD können zwar nicht verhindern, dass die Opposition Snowden als Zeugen benennt. Allerdings können sie mit ihrer Mehrheit den Zeitpunkt der Befragung bestimmen. Die LINKE fürchtet, dass man so eine Befragung von unliebsamen Zeugen verhindern könnte.
Union und SPD können mit ihrer erdrückenden Mehrheit tatsächlich sehr viel wegschieben. Einiges muss dann möglicherweise gerichtlich geklärt werden. Weil das immer umstritten war, haben wir im Untersuchungsausschussgesetz festgelegt, welches Gericht zuständig ist. So ist der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof etwa für die Bewertung von Beweisanträgen zuständig. Grundsätzliche Fragen sind dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten.

Müsste man da nicht auf Eilentscheidungen drängen? Schließlich braucht Karlsruhe oft Jahre, um in der Sache zu entscheiden.
Das ist tatsächlich ein Problem. So verhandle ich nächste Woche über die Organklage zur Information des Parlaments bei Waffendeals. Diese lag jetzt fast drei Jahre beim Verfassungsgericht.

Das heißt, im schlimmsten Fall könnte ein Urteil nach Ende der Legislatur ergehen und somit für den Ausschuss zu spät kommen?
Ich gehe davon aus, dass man das auch in Karlsruhe weiß und in angemessener Zeit entscheidet. Allerdings können wir das den Richtern nicht vorschreiben. Ich habe es schon erlebt, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes erst kam, als der Ausschuss seine Arbeit bereits beendet hatte. Aber der Ermittlungsrichter bei der Bundesanwaltschaft müsste eine Entscheidung innerhalb von einer oder zwei Wochen treffen können. Der bearbeitet ja auch Haftsachen oftmals sehr schnell.

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