Die Marseillaise als Verhängnis

Gedenkstein für französische Flieger in Buchenwald / Treffen der Lagergemeinschaft

  • Gerhard Hoffmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Selbstbefreiung der Häftlinge des ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald jährt sich zum 69. Mal. An das Leiden der Menschen soll an diesem Wochenende erinnert werden.

Im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald soll am Sonntag ein Gedenkstein enthüllt werden, der das Schicksal der vor 70 Jahren dort inhaftierten alliierten Flieger ins Gedächtnis ruft. 169 Piloten und Besatzungsmitglieder der Alliierten Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg wurden von den Besatzern über Frankreich abgeschossen und zunächst von der Résistance versteckt. Ihre Verhaftung durch die Gestapo sei »erst später und in anderen Zusammenhängen« erfolgt, gibt Kustos Harry Stein zu Protokoll. Dabei sei nicht selten Verrat im Spiel gewesen. Aus einem Gestapo-Gefängnis bei Paris seien die Flieger im August 1944 mit Tausenden inhaftierten Franzosen nach Buchenwald verfrachtet worden.

Das Lager bei Weimar hat auch das Leben von Günter Pappenheim für immer verändert. Für ihn überraschend bekam der heutige Vorsitzende der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora (LAG) im vergangenen Jahr einen Strauß mit fünfzig roten Rosen aus Frankreich. Französische Kameraden hatten ihm die Blumen geschickt.

Pappenheim wurde als Achtzehnjähriger 1943 von den Nazis in das Konzentrationslager gesperrt. Sein Vergehen: Er hatte in der Werkzeugmaschinenfabrik »Gebrüder Heller« im thüringischen Schmalkalden für Zwangsarbeiter aus dem Nachbarland die Marseillaise auf seiner Ziehharmonika gespielt. Es war der 14. Juli, der Nationalfeiertag der Franzosen, und die Männer freuten sich, dass ein junger Deutscher so leidenschaftlich das Lied der Französischen Revolution spielte. Pappenheim wurde denunziert und verhaftet. Nach brutalen Vernehmungen schickte die Gestapo den jungen Mann nach Buchenwald, wo er fortan als Häftling Nummer 22514 geführt wurde. Damit war ihm der gleiche Weg vorgezeichnet, den bereits sein Vater 1933 gehen musste: Ihn hatten die Nazis in das KZ Börgermoor gesteckt, wo er im Januar 1934 ermordet wurde. Im KZ Buchenwald war Günter Pappenheim an illegalen Widerstandsaktionen beteiligt. Er erlebte die Selbstbefreiung der Inhaftierten am 11. April 1945 mit und leistete am 19. April den Schwur von Buchenwald. Darin heißt es: »Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel.«

Pappenheim eröffnet am Sonntag in der Gedenkstätte das fünfte Treffen der Nachkommen des ehemaligen Lagers. Über »Selbstbehauptung und Widerstand im KZ Buchenwald - Gedenken und Mahnung« referiert Harry Stein. Die Töchter von Reinhold Lochmann, Häftling Nummer 2455, werden an ihren Vater erinnern. Lochmann baute 1942 einen geheimen Kleinstempfänger, mit dem illegal Nachrichten ausländischer Sender im Lager gehört werden konnten. August Stötzel hatte die Häftlingskleidung mit der Nummer 660, war Mitarbeiter der Lagerleitung und später Lagerältester in den Gustloff-Werken. Über ihn wird am Sonntag sein Sohn sprechen. Bereits am Freitag finden auf dem Gelände des ehemaligen KZ Begegnungen von Schülerinnen und Schülern mit Zeitzeugen statt.

Die LAG versteht sich als Fortsetzung des von ehemaligen Häftlingen 1947 gebildeten Buchenwaldkomitees in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Die Gemeinschaft würdigt den Tag, an dem bei Ende des Zweiten Weltkrieges beim Herannahen der US-Streitkräfte die Häftlinge das Lager befreiten und zwei Tage lang, bis zum Eintreffen eines amerikanischen Kommandos, selbst verwalteten.

Gerhard Hoffmann ist Mitglied der Lagerarbeitsgemeinschaft Buchenwald-Dora

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