Doppelter Segen
Jürgen Amendt über eine Studie zum Stand der Inklusion
Die Inklusion, also der gemeinsame Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung, kommt in Deutschland voran. Das jedenfalls suggeriert eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die dieser Tage vorgestellt wurde. In den vergangenen fünf Jahren ist der Studie zufolge der Anteil von gehandicapten Schülern im Regelschulsystem von 18,4 auf 28,2 Prozent gestiegen. Gleichzeitig aber hat sich die Zahl jener Kinder und Jugendlichen, bei denen ein erhöhter Förderbedarf diagnostiziert wurde, von 6 auf 6,6 Prozent erhöht. Von einem »Systemwandel« könne »noch nicht die Rede sein«, kommentieren die Autoren der Studie die Ergebnisse.
Diesen Systemwandel wird es so schnell auch nicht geben. Nach wie vor fehlt es nämlich den meisten Regelschulen an den Ressourcen - an der finanziellen, räumlichen wie personellen Ausstattung -, um diesen Wandel einzuleiten. Manche Bundesländer wie z.B. Bayern halten zudem unverhohlen an dem Doppelsystem aus Regel- und Sonderschulen fest und umgehen dabei die von der Bundesrepublik ratifizierte UN-Konvention zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen.
Allerdings sollte man dem Modethema »Inklusion« mit einer gehörigen Portion Skepsis begegnen. Die Diagnose »Förderbedarf« kann vieles bedeuten - von einer starken körperlichen bzw. geistigen Einschränkung bis hin zu sogenannten Lernstörungen wie auffälligem Sozial- und abweichendem Lernverhalten (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung - ADHS), Lese-Rechtschreibschwäche (Legasthenie) oder Rechenschwäche (Dyskalkulie). Für manche Regelschulen ist die Diagnose »Förderbedarf« ein doppelter Segen; sie können einerseits hierdurch zusätzliche Ressourcen akquirieren und andererseits die »Inklusionsquote« an ihrer Schule in die Höhe treiben - ohne dass sie einen »behinderten« Schüler zusätzlich aufnehmen müssen.
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