Kopfgelder auf Separatisten der Ostukraine
Machthaber in Kiew können sich des Erfolgs ihrer »Anti-Terror-Operation« nicht sicher sein
Seit gut einer Woche versucht die ukrainische Armee, im Osten des Landes strategische Punkte wie Flughäfen und Stadtzentren zu besetzen. Doch der Erfolg ist bescheiden. In der nördlich von Donezk gelegenen Stadt Kramatorsk wurde ein Militärflughafen besetzt. Aber als eine Kolonne von 15 Schützenpanzerwagen zur Verstärkung kam, wurde sie von Anwohnern in der Altstadt aufgehalten. Die hungrigen Soldaten wurden mit Piroggen und Eingelegtem versorgt. Schließlich stiegen 50 Militärs von ihren ihren Gefährten. Sechs Schützenpanzer übernahmen die Angehörigen der »Bürgerwehr«, ohne dass ein einziger Schuss fiel. Die erbeuteten Fahrzeuge wurden in das Hauptquartier der Aufständischen in der Stadt Slawjansk (ukrainisch Slowjansk) überführt.
Was in Kramatorsk passierte, ist kein Einzelfall. Im Süden und Osten der Ukraine ist die Kriegsgefahr mit Händen zu greifen und die Anwohner bleiben nicht untätig. Hunderte unbewaffneter Bürger in Städten des Gebietes Donezk wie Wolnowacha oder Artjomowsk haben schon Militärkolonnen gestoppt oder zur Umkehr gezwungen. Im Umland von Städten und Dörfern wie Rodinskoje und Krasnogorka wurden Panzer von Zivilisten mit Ladas, Motorrädern und sogar zu Fuß über Felder und Dorfstraßen verfolgt.
Eben weil die militärische Offensive gegen die Separatisten nicht vorankommt, setzt die Gebietsverwaltung von Dnjepropetrowsk ein Kopfgeld auf Separatisten aus. Ein Werbeclip machte bereits im Internet Furore. »Mein Papa hat zwei Separatisten abgeliefert und ich habe ich jetzt einen neuen Tablet-PC«, heißt es in dem Clip.
Die Summen sind üppig für die Einwohner des Donbass, die meist nicht mehr als umgerechnet 300 Euro im Monat verdienen. 10 000 Dollar Kopfgeld soll es für einen prorussischen Separatisten geben. 200 000 Dollar will die Gebietsverwaltung für die Befreiung eines besetzten Gebäudes zahlen. Ethisch gebe es keine Probleme, erklärte der stellvertretende Gouverneur Boris Filatow, ein ehemaliger Unternehmer und Journalist. »Das ist ein Krieg, und einen Krieg muss man mit allen möglichen Mitteln führen«, so der Vizegouverneur im russischen Dienst von BBC.
Dass die Kopfgelder vom Oligarchen Igor Kolomoiski bezahlt werden, ist ein offenes Geheimnis. Kolomoiski ist Besitzer der »Privatbank«. Anfang März wurde er von der neuen Macht in Kiew zum Gouverneur von Dnjepropetrowsk ernannt.
Wie der Leiter des Stabes für nationalen Schutz, Michail Lysenko, gegenüber Radio Swoboda mitteilte, wurden bereits je 10 000 Dollar für die Ergreifung von acht Separatisten ausgezahlt. Einige Bürger sollen aber auch versucht haben, auf leichte Weise Geld zu verdienen, indem sie einen russischen Bekannten ablieferten, der mit den Separatisten nichts zu tun hat, berichtet jedenfalls das Internetportal newsru.com.
Die Übergangsregierung in Kiew – von den prorussischen Kräften »Junta« genannt – steht vor enormen Schwierigkeiten. Sie kann keine militärischen Erfolge vorweisen. Nachdem die ukrainische Armee auf der Krim dem Selbsterhaltungstrieb gefolgt war und sich jeglichen Kämpfen entzogen hatte, zeigt sich in der Ostukraine, dass sie kampfunfähig ist. In ihrer Not versucht die Regierung nun wieder, Kontakte zur Polizei-Sondereinheit »Berkut« zu knüpfen, die Anfang März aufgelöst worden war und deren Angehörige pauschal als Mörder beschimpft wurden. Nun ruft das ukrainische Innenministerium die »Berkutowzy« auf, wieder in den Dienst zu treten, denn »Mutter Heimat« sei in Gefahr.
Doch die wenigsten Soldaten und Polizisten zeigen den Willen, gegen ihre Landsleute mit Waffen vorzugehen. Und die Aufständischen haben offenbar bedeutende Teile der Bevölkerung hinter sich, auch wenn der Wunsch nach einer Vereinigung mit Russland weniger verbreitet zu sein scheint als auf der Krim. Am 11. Mai – also zwei Wochen vor den geplanten ukrainischen Präsidentschaftswahlen – wollen sie Referenden abhalten und darüber abstimmen lassen, ob die östlichen Gebiete der Ukraine in ihrer jetzigen Form oder mit erweiterten Selbstbestimmungsrechten angehören sollen. Eine Vereinigung der ostukrainischen Regionen mit Russland steht beispielsweise in Lugansk bisher nicht zur Debatte.
Dass Übergangspräsident Alexander Turtschinow auf die Forderung nach einem Referendum kurz vor den Gesprächen in Genf einging, wurde von den Aufständischen als unglaubwürdig zurückgewiesen. Turtschinow hatte nicht erklärt, wer wann und worüber seiner Meinung nach abstimmen sollte.
Eine neue Herausforderung für Kiew ist ein Streik von Bergarbeitern in fünf Kohlegruben des Gebiets Lugansk. Die Gruben gehören zum Unternehmen »Krasnodonugol«, dessen Eigentümer der reichste Mann der Ukraine ist, der Oligarch Rinat Achmetow, der früher die Partei der Regionen sponserte. Vor dem Hauptsitz von »Krasnodonugol« versammelten sich am Mittwoch 2000 Bergarbeiter und forderten, dass ihr Lohn angesichts gestiegener Preise von 6000 auf 10 000 Griwna (660 Euro) erhöht wird.
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