CSU hält Europa auf Abstand
Vorstand zog sich zu Klausur ins Kloster droben auf dem Heiligen Berg zurück
Der letzte Vertreter des Andechser Grafengeschlechts tat bereits im Jahr 1248 seinen letzten Seufzer. Doch trägt das Kloster, das auf dem Heiligen Berg derer von Andechs steht, noch ihren Namen, wie auch das Bier, das man hier braut. Viele Wallfahrer zieht es her, und der CSU-Vorstand, der sich für Freitag und Sonnabend zur Klausur einmietete, steht ihnen in Sachen Gottvertrauen nicht nach. Er kann sich in Andechs der Kontemplation hingeben, denn im Grunde gibt es für die CSU-Führung nichts zu entscheiden, keine Zweifel auszuräumen - alle Entscheidungen sind längst getroffen, Zweifel längst ausgeräumt.
Den Vorständlern liegt eine luftig-anmutige Hochglanzbroschüre mit transparenten Seiten und wenig Text vor - das Wahlprogramm der CSU zur Wahl des EU-Parlaments. »Wir wollen so viel Europa wie nötig und so viel Bayern wie möglich.« So etwas zum Beispiel. Die Vorstellungen der Christsozialen zur Gestaltung der Europäischen Union sind so schlank wie das Heftchen, auf dem das Wort »Europaplan« steht. Der Titel ist hochgestochen, denn was die CSU für Europa plant, ist darin weniger enthalten als die Vorstellungen, wie man möglichst viele Wähler herumkriegt, ihr Kreuz beim Spitzenkandidaten der Partei, Markus Ferber, zu machen.
Und so übernimmt es CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, ein paar erklärende Zusatzinformationen in der Öffentlichkeit zu streuen. Darüber, was die CSU in Sachen Europa zu wollen sich vorgenommen hat. Es gehe um ein »dickes Ja zu Europa«, zugleich auch um ein »dickes Aber«. Das Aber wirkt in diesem Satz ein wenig dicker als das Ja. Und es soll heißen, dass so viel Europa wie nötig, aber so viel Bayern wie möglich in dieser Gleichung zu finden sein möge. Die CSU gießt EU-Europa ihren Wählern in eine Dosis, die sie ohne größere Schluckbeschwerden herunterspülen können. Und so finden sich im Europaplan Sätze, die mit Europa nicht viel zu tun haben, aber viel mit der bayerischen Seele. »Wir wollen, dass in den EU-Institutionen mehr Deutsch gesprochen wird« Das ist noch einer von den Sätzen, die Europa wenigstens irgendwie betreffen. Und dass die CSU einen Kompetenzgerichtshof gründen will, der das »Gerangel« um die Zuständigkeiten der Ebenen klar regelt, wie Andreas Scheuer betont, mag man als ruppigen, aber sachdienlichen Hinweis auf eine immerhin europäische Problematik betrachten.
Dieser hier dagegen hat mit Europawahl nichts zu tun und mit Bayern eigentlich auch nicht: »Wer ungerechtfertigt Sozialleistungen abruft, soll Deutschland verlassen und darf nicht wieder einreisen.« Gemünzt auf Bulgaren und Rumänen, die aufgrund der EU-Freizügigkeit ungehindert nach Deutschland kommen dürfen, hatte Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer den Satz in dieser oder ähnlicher Form bereits vor der Bundestagswahl im letzten Jahr strapaziert. Auch da gaukelte er bereits ein Problem vor, das es als statistisch relevante Erscheinung gar nicht gibt. Schon gar nicht in Bayern.
Selbst der Schwesterpartei CDU sind solche Stereotype offenbar suspekt. Denn Kollateralschäden nimmt die CSU-Führung in Kauf, und sie betreffen die Politik der Bundesregierung selbst, die in der EU bekanntlich ein Wörtchen mitzureden hat. »Wer zuviel Aber sagt, vergisst irgendwann das Ja zu Europa«, beklagte Elmar Brok, CDU-Europaabgeordneter. Einige Forderungen bedienten allein europakritische Stimmungen, ohne dass sie eine Chance auf Umsetzung hätten, ergänzt Herbert Reul, Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe. Ein Beispiel: Die CSU fordert die Halbierung der Zahl von EU-Kommissaren. Mancher fühlt sich hier an die EU-kritische »Alternative für Deutschland« erinnert. An diese keine Wähler zu verlieren, dürfte durchaus eine der Hauptsorgen der CSU-Spitze und Teil ihres Gebets in Kloster Andechs sein.
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