Monomaner Melancholiker
Der Zeichner und Poet Horst Hussel wird 80. Zwei Berliner Galerien laden ein in seine Welt
Die Steigerung von Witz ist bekanntlich Aberwitz. Ein Abgrund aller Alltäglichkeit. Das ist der Ort, an dem man Horst Hussel, den größten (einzigen ohnehin) Dadaisten, wahlweise auch Surrealisten der DDR mit Recht vermutet. Seine skurrilen Beiträge zum Anti-Zeitgeist sind seit jeher schwermütige Fluchtbewegungen vor dem allzu Naheliegenden. Hussel weiß, der Mensch wächst, wenn man ihn zwingt, weite Umwege zu sich selbst zu gehen. Da sieht er doch etwas von der Welt!
Hussel, das leibhaftige Gesamtkunstwerk aus Wahrheit und Lüge, Original und Kopie, schafft spielend, was schönen Frauen, die sich allzu sehr anstrengen, selten gelingt: uns zu verwirren. Das aber ist das Geheimnis einer Diva, die Hussel zweifellos ist. Gelegentlich leistet er sich Anflüge von Bescheidenheit, besser gesagt, der Milde. Auch die Bosheit, von der jeder Witz lebt, hat schließlich ein gewerkschaftlich garantiertes Anrecht auf Pausen.
Wenn man Hussel beschreiben will, steht man immer wieder ratlos am Anfang. Das ist durchaus in seinem Sinne. Denn er ist der Meister des zweideutigen Strichs wie des zweideutigen Worts. Das verbindet ihn mit dem befreundeten Stefan Heym, auch einer Diva, mit dem er auf einer Wellenlänge schwimmend lustvoll durch die Brandung der drögen Durchschnittlichkeit tauchte. Hussels Zeichnungen zu Heyms Büchern im Buchverlag Der Morgen »Der kleine König, der ein Kind kriegen mußte und andere neue Märchen« oder auch »Die Schmähschrift oder Königin gegen Defoe« waren darum immer mehr als bloße Illustrationen: konkurrierende Universen jenes Aberwitzes, von dem anfangs bereits die Rede ging.
Natürlich war es Stefan Heym, der den verwandten Genius unter der Narrenkappe erkannte und schrieb: »Das Geheimnis resultiert aus der Anstrengung, die es das Durchschnittsgehirn des Durchschnittsliebhabers der Durchschnittskünste kostet, Verstand und tiefere Bedeutung der Husselschen Schöpfungen zu erkennen. Oder ist der Kerl einfach zu gescheit für unsere dumme Zeit?« Die Antwort auf diese Frage liegt allzu nahe, um sie noch auszusprechen. Hussel jedenfalls muss man sich als glücklichen Menschen vorstellen, den wahren Souverän seiner Vernunft inmitten des galoppierenden Wahnsinns.
In Hussels Gegenwart wächst allerdings die Verzweiflung. Denn dieser Schalk erfindet sich seine eigene Welt und verknechtet uns dann, darin zu wohnen. Nie weiß man, in welchen Labyrinthen er einen als nächstes aussetzen will. Nie ist er seliger, als wenn sein Gegenüber andächtig zu seinen Fantasiegebilden nickt. Große Kunst? Fertig er doch selber - allerdings bevorzugt im Taschenformat. Als 1975 zur DDR-Kunstausstellung die eingereichten Gemälde immer mehr in die Länge und Breite wuchsen, übergab auch er seinen Beitrag: in einem Briefumschlag.
Seine größte Freude ist die Verblüffung, die er zu erzeugen vermag, die Ratlosigkeit des Gegenübers, ob er jetzt gerade etwas tief Bedeutsames erfährt oder Opfer eines flachen Witzes zu werden droht. Das schärft die Intelligenz, die aber auch keine Rettung bringt. Denn Hussel ist der perfekte Spieler. Blufft er oder hat er das perfekte Blatt in der Hand? Sein Pokerface wird es nie verraten. Der schöne Nebeneffekt dabei: In Hussels Gegenwart, vor seinen Bildern ohnehin, hört man auf, dem ersten Anschein zu glauben, man geht auf Expedition und zum höchsten Glück, das einem dabei beschieden ist, wird es, die eigene Skepsis in höchster Vollendung gespiegelt zu sehen.
Die Mördergrube, die Hussel malend und schreibend für uns aushebt, hat also einen bildsamen Zweck, wie er in dem selbstgemalten Buch »Die Oper von Odessa« schreibt, das Jägermilieu mit dem Sängermilieu kreuzend: »Das Töten, Verehrteste, verabscheue ich zu sehr, um nur ein einziges Hasentier, Lepus eurapeus, zu morden. Vielmehr schlage ich jedem ergriffenen Exemplar eins hinter die Ohren und lasse es laufen.« Allerdings, das geht nicht ab ohne Husselsche Volte, den magischen Aufklärungs-Akt, der die surreale Bodenlosigkeit, die wir gewöhnlich mit festen Stand verwechseln, dem Gelächter preisgibt: »Nichts ist für nichts zu haben. Bevor ich dem Hasentier seinen Denkzettel verpasse, verwandle ich mich selbst in einen Hasen, vorübergehend nur, zum Zwecke der Täuschung.«
Hussel ist trainiert darauf, seine Klugheit mit Ahnungslosigkeit zu tarnen. In ihm vermählen sich Diogenes in der Tonne (mit Zigarette und Rotwein, versteht sich) und Till Eulenspiegel, der die Bescheidwisser dieser Welt beim Wort nimmt. Geboren 1934 im vorpommerschen Greifswald hat er früh Gelegenheit, Renitenz zu kultivieren, ohne sich dabei erwischen zu lassen. Hitlerjugend? Geländemärsche und Kleinkaliberschießen, dieses Programm habe ihn nicht überzeugt, da ist er nicht hingegangen. Mache dich für deine Feinde unsichtbar, aber für deine Freunde jederzeit erkennbar, so die geradezu chinesische Grundhaltung Hussels, die mehr - und anderes - aus ihm gemacht hat als einen staatlich geprüften Parodisten. Nein, sein Zyklus »Zhang Lu kauft ein« etwa, in dem die Freude am schwer überprüfbaren Gebrauch chinesischer Schriftzeichen sich mit der archetypischen Zeichenhaftigkeit der farbigen Übermalung verbindet, zeigt an, hier drängt etwas Urbildhaftes in die Abbildung. In zurückhaltendem Minimalismus, der so nur noch die Wucht des Ausdrucks steigert.
Einem Sinn, so weiß Hussel, ist ohne den Sinn für Unsinn nicht zu trauen. Die DDR wusste das Anfang der 50er Jahre noch nicht und widerstand auch Hussels beharrlichen Versuchen, sich etwas weniger wichtig, aber darum endlich einmal ernst zu nehmen. Da studierte er an der Hochschule für Bildende Künste in Dresden und wurde folgerichtig wegen »formalistischer Umtriebe« exmatrikuliert. Da hatte er bereits die Fachschule für angewandte Kunst in Wismar hinter und die Hochschule in Berlin-Weißensee (u.a. bei Gabriele Mucchi) vor sich, dem folgte dann noch ein Ausflug an die Hochschule für Bildende Künste in Berlin Charlottenburg. Dem höheren Witz bei Hussel hat diese Reihe von Schulen dann doch nicht geschadet: Im Gegenteil, es hat resistent gegen falschen Rat aller Art gemacht. Kurt Schwitters und Paul Scheerbart waren ohnehin seine eigentlichen Lehrer: Meister der aufklärenden Täuschung, Anti-Ideologen des Allzu-Naheliegenden.
Zu seinem achtzigsten Geburtstag zeigt die Berliner Galerie Anke Zeisler nun etwas auch im Husselschen Universum des selbsterklärten Ausnahmezustands nicht Alltägliches, von dem Friedrich Dieckmann in seiner Eröffnungsrede zu berichten weiß. Denn vor nicht langer Zeit tauchte eine Mappe mit Grafiken aus den 70er Jahren auf. Fast schon vergessen und nun doch im Zentrum jener Abwegigkeiten, die Hussel mit zitternden Linien (wie Stromstöße eines Zitteraals) in einen Zustand der filigran eingefangenen Ekstase bringt: Blätter zu Erik Satie etwa, zu den Hebriden im Nordwesten Schottlands oder aus der Serie »Käfer; Köpfe; Äffchen«.
Nun sind die Blätter dieser Sammlung in der Galerie Anke Zeisler zu sehen (und zu erwerben) und Dieckmann schlägt angesichts der hier versammelten Kostbarkeiten den Bogen zu Paul Scheerbarts »Mopsiade«, die in Hussel 1978 bei Volk und Welt einen kongenialen Verbildlicher fand. Darin stehen Sätze wie sie Hussel als Essenz aller Weltweisheit liebt: »Reich mir meine Platzpatronen,/ denn mich packt die Raserei!/ Keinen Menschen will ich schonen,/ Alles schlag ich jetzt entzwei./ Hunderttausend Köpfe reiß ich/ Heute noch von ihrem Rumpf!/ Hei! Das wilde Morden preis ich,/ Denn das ist der letzte Trumpf!/ Welt verschrumpf!«
Der letzte Trumpf? Nein, die Kunst besteht bei Hussel gerade darin, dessen mögliche Existenz als Garant eines sich schon noch ereignenden Siegeszugs immerfort anzudeuten und bis dahin auf dem Rücken im Grase liegend ein bisschen zu träumen und gelegentlich am Glase zu nippen. Dieckmann nennt diese Zustände der in sich ruhenden Ungewissheit »die Einheit - eine dialektische Einheit! - von Melancholie und Monomanie auf dem Grund alles echten Künstlertums«. Oder wie es Ludwig Scheerbart so unvergleichlich formulierte: »Fliege, fliege, kleine Fliege!/ Fliege, fliege in die Wiege!/ Siege! Siege!«
Galerie Anke Zeisler, Gethsemanestr. 9, Berlin: Horst Hussel. Radierungen, Lithographien, Holzschnitte 1977 bis heute. Ausstellung zum 80. Geburtstag des Zeichners und Poeten. Bis 4. 6., Mi 15-19 Uhr und nach Vereinbarung. www.galerie-zeisler.de Galerie Gesellschaft, Auguststraße 83, Berlin: Horst Hussel Zeichnung - Malerei - Grafik. Bis 21.6., Di-Fr 12-18, Sa 11-16 Uhr und nach Vereinbarung
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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