- Kultur
- Plattenbau
Wischmoppfrisuren und Endzeitstimmung
Zurück in die Zukunft, vorwärts in die Vergangenheit: Die Pixies und Echo & the Bunnymen sind wieder da
Die wiederholt aufgestellte Behauptung, Rock ’n’ Roll sterbe nie, ist eine Lüge. Das weiß man spätestens, seit die finsteren Schergen der Kulturindustrie sich seiner bemächtigt und bereits in den Fünfzigern aus ihm das gemacht haben, was Gunter Gabriel in den vergangenen Jahren mit dem Werk Johnny Cashs gemacht hat, ohne bisher dafür bestraft worden zu sein.
Es gibt ein Gesetz, das da lautet: Alle müssen - wie die Untoten - wiederkehren und auf der Bühne antreten, solange es noch Geld zu verdienen gibt: die Doors, Led Zeppelin, die Sex Pistols, Take That. Oder die Rolling Stones, die bienenfleißigen Beamten des Rockgeschäfts, die nie wiederkehren mussten, weil sie nie fort waren, sondern immer da, am Arbeitsplatz.
Nun tauchen also auch die Pixies wieder auf, die erstmals 1986 auf den Plan traten, nach Sonic Youth zwar, aber vor Nirvana, vor den zahllosen Bands, die dann folgten und die aus Langhaarigen bestanden, die Holzfällerhemden und zerschlissene Jeans trugen. Die Pixies waren vor all den larmoyanten Hobbymelancholikern da und bestraften Ende der achtziger Jahre den öden Rockzirkus für seine Konformität. Das gelang ihnen schon allein, indem sie sich weigerten, so auszusehen wie die sorgsam zurechtgefönten, breitbeinig herumstehenden Kleiderständer und Jon-Bon-Jovi-Klone, die seinerzeit - bevor das kam, was man später Grunge nennen sollte - das Gewerbe dominierten.
Im Vordergrund agierten Sänger und Gitarrist Black Francis, ein kleiner dicker, mehr keifender als singender Schreihals, und Bassistin Kim Deal, lässige Eleganz verströmend, die fleischgewordene Coolness. In der Zeitungsanzeige, mit der Black Francis einen Bassisten für seine künftige Band suchte, soll gestanden haben, man suche jemanden, der »auf Hüsker Dü und Peter, Paul and Mary« stehe. Als einzige Interessentin meldete sich Kim Deal.
In den USA spielte man anfangs vor 30 Leuten, in Europa scharte man derweil eine wachsende, fanatische Gemeinde um sich. Dem faden Gitarrengegniedel ihrer Zeitgenossen setzten die Pixies die Lust am Krachmachen entgegen. Die Beach Boys trafen in der Nervenklinik auf Motörhead: Hier eine hübsche Surfpop-Melodie, da eine Lärmattacke, um die possierliche kleine Melodie gleich zielsicher per Gitarrenfeedbackgeräusch, Verstärkerfiepen und wuchtigem Schlagzeugspiel zu demolieren. Verbinde beides miteinander und sing dazu Geschichten von Krankheiten, Neurosen, Inzest und Tod, dann hast du einen Pixies-Song.
Mit dem Album »Surfer Rosa«, das 1988 erschien und logischerweise heute als eines der besten der achtziger Jahre gilt, wurden Maßstäbe gesetzt für einen ebenso kantig-aggressiven wie melodieverliebten Sound, dessen Reiz sich aus seinem exzessiven Spiel mit dem Wechsel von lauten und leisen Passagen entwickelte und den man mit alptraumartigen Texten versehen hatte (»I got no lips, I got no tongue/ Where there were eyes there’s only space/ I got no lips, I got no tongue/ I got a broken face, uh-hu, uh-hu«). Eine Musik, »vor der Erwachsene Angst bekommen konnten«, wie es im »Rock Rough Guide« heißt. 1991 gab Kurt Cobain zu, dass Nirvanas »Nevermind« im Grunde nichts anderes war als der Versuch, »die Pixies nachzuahmen«.
Später gemeindete man das ganze Zeug komplett ein, nannte es »Alternative Rock« und schuf dafür eine eigene Verkaufssparte.
Vor zehn Jahren, 2004, bei ihrem ersten Comeback, sind die Pixies schon einmal in Originalbesetzung auf Stadion-Tournee gegangen, offenbar vor allem deshalb, weil man knapp bei Kasse war. Nach Abschluss der Konzertreise ging man wieder getrennte Wege. Auch weil die von den Fans kultisch verehrte Kim Deal ein gespanntes Verhältnis zu ihrem Kollegen Black Francis hat.
Und natürlich sind die Pixies, die sich auch auf ihrem neuen Album »Indie Cindy«, dem ersten seit 23 Jahren, hörbar an dem schneidend aggressiven Rumpelrock ihrer frühen Jahre orientieren, diesmal nicht vollständig: Kim Deal fehlt. Sie trennte sich vergangenes Jahr während der Studioaufnahmen für das Album von ihren Bandkollegen, in einem Café in Wales, mit den lapidaren Worten: »Ich fliege morgen nach Hause.« Aber der dicke, schreiende Black Francis alias Frank Black, der sich früher bei Konzerten immer auf diese unnachahmlich hemdsärmelige Art, mit dieser lässigen Geste die herabrutschende Jeans wieder über seinen enormen Bauch gezogen hat, und die anderen beiden sind wieder dabei. Auch die abwechselnd nach Heavy-Metal-Art dröhnenden, quengelnden und wimmernden Gitarren und das verstolperte Schlagzeug wurden reaktiviert.
Dass diese Sorte Rock, dem Magazin »Spex« zufolge eine »mehr als dröge Hau-Drauf-Veranstaltung«, nicht gerade neu klingt, hat zwar auch damit zu tun, dass das neue Album gar kein neues Album ist, sondern eine Zusammenstellung von Songs, die allesamt bereits im Lauf des vergangenen Jahres veröffentlicht worden sind. Doch entscheidend ist etwas anderes: Dem, was einstmals ebenso verstörend wie zauberisch klang, kann heute nicht mehr die Bedeutung zugeschrieben werden, die es einst besaß.
Die Pixies sind heute Teil eines reisenden Oldie-Zirkus geworden, bedienen die Bedürfnisse eines Publikums, das heute Ende 40 ist und gern an seine alten, wilden Zeiten erinnert wird. Auf »Zeit online« heißt es treffend: »Die Hysterie, mit der die Pixies den ganzen Ernst und zugleich die Absurdität der Eighties-Endzeitstimmung auf den Punkt brachten wie keine andere Band, fehlt weitgehend. Was womöglich dadurch zu erklären ist, dass die achtziger Jahre nun schon eine Weile vorbei sind.«
Was jedoch eine zweite Combo aus den Achtzigern nicht davon abhält, nach Jahren der Abwesenheit auch bald mit einem neuen Album (»Meteorites«) wieder in Erscheinung zu treten: die einstigen Psychedelic-New-Wave-Pioniere Echo and the Bunnymen. Die waren wiederum schon ein knappes Jahrzehnt vor den Pixies da. Als Ende der Siebziger der Punk im Sterben lag, erfanden sie die Wischmoppfrisur, führten das Tragen dunkler Regenmäntel und Sonnenbrillen in die Popmusik ein (eine aus heutiger Sicht nicht unerhebliche Leistung) und sangen einige Jahre mit bescheidenem Erfolg schwermutgesättigte Lieder über die Schlechtigkeit der Welt. Wie später bei den Pixies war textlich auch hier schon alles im Angebot: Angst, Einsamkeit, Weltschmerz, Tod. Nur mit dem Unterschied, dass die Bunnymen stets einen fatalen Hang zum Pathos, zum Verträumten, Dunkelromantisch-Melodramatischen, zu Zauberwald- und Naturmystikquatsch hatten. Und einen größenwahnsinnigen Anführer, den Sänger und Gitarristen Ian McCulloch, der sehr von sich selbst und seinem erstaunlichen Talent überzeugt ist. 1997, bei ihrem ersten Comeback, äußerte er sich wie folgt: »Ich werde immer wieder gefragt, ob ich auf den Erfolg von U2 neidisch bin. Blödsinn! Man muss sich den Trottel Bono doch nur anschauen. Er sieht aus wie der debile Friseurgeselle Jon Bon Jovi. Nein, danke. Ich, weiß, dass wir nicht die erfolgreichste Band der Welt werden können, aber zumindest die beste.«
Wie die Pixies haben sich die Bunnymen nun dem Konzept der Neuauflage des Altbewährten verschrieben. Auch auf »Meteorites« neigen sie, d.h. vor allem McCulloch mit seinem wehleidigen Jammergesang, stark zum Epischen, Hymnischen und zum wahlweise süßlichen oder pompösen Orchester-Arrangement, das die Musik am Ende wie allzu großzügig gepolstert bzw. zugekleistert wirken lässt. Neu also und dennoch alles beim Alten. In guten Momenten klingt das wie David Bowie auf Tranquilizern, in schlechten allerdings wie ein in Zuckerwatte erstickender Scott Walker.
Egal. Am Ende ist es mit den Pixies und mit Echo and the Bunnymen wie mit lieben alten Bekannten, die sehr lange nicht mehr im Kegelclub vorbeigeschaut haben. Jetzt, wo sie plötzlich wieder da sind und mitspielen, merkt man zwar, dass man sie insgeheim ein wenig vermisst hat, weiß aber auch, dass es jahrelang wunderbar ohne sie ging.
Pixies: »Indie Cindy« (PIAS/ Rough Trade) Echo & the Bunnymen: »Meteorites« (Caroline/Universal)
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.