Gasprinzessin, Schokokönig und Darth Vader
Der Wahlkampf um das ukrainische Präsidentenamt lässt den russisch geprägten Süden und Osten draußen
Die Präsidentenwahl soll am 25, Mai dem Übergangsregime in der ukrainischen Hauptstadt den Glanz frischer demokratischer Legitimation verleihen. Doch die Hoffnung auf Besserung ist nicht einmal lau. Kandidat Oleg Zarjow zog wegen Missachtung und Prügel im Westen des Landes zurück und rief die anderen südöstlichen Anwärter zum Boykott.
Jemand, der die Ukrainer, der das zerfallende Land doch noch zusammenhalten könnte, ist nicht in Sicht - weder in West noch in Ost. Seine Macht bliebe ohnehin auf das von der Verfassung bestimmte Maß beschränkt. Das wurde nach der Vertreibung des Präsidenten Viktor Janukowitsch auf das zuvor geltende Niveau zurückgeschrumpft.
Den russisch geprägten Landesteilen im Osten und Süden fehlt Hoffnung auf eigene Interessenvertretung, sie werden kaum mit repräsentativer Beteiligung aufwarten. Sie wurden sträflich vernachlässigt, haben bis heute keinen Vertreter in der Regierung. Weil die doch kein Kabinett der »nationalen Übereinkunft« wurde, streben nun die missachteten Regionen weg von Kiew. Sie wollen eine eigene Abstimmung schon am 11. Mai und Abstand - mindestens bis in eine Föderation. Auch deshalb werden sie von der Zentralmacht mit einer »Anti-Terror-Aktion« überzogen.
Die Machtverhältnisse bleiben allemal unberührt, sie stehen nicht zur Wahl. Die entscheidenden Hebel liegen weiter in den Händen der Gefolgsleute von Julia Timoschenko aus der »Vaterlandspartei«. Ihre Vertrauten Arseni Jazenjuk und Alexander Turtschinow bleiben Premierminister und Parlamentspräsident. Von Oleg Tjagniboks rechtsextremistischer Partei »Swoboda« stammt weiteres Spitzenpersonal und der »Rechte Sektor« bildet das Rückgrat neuer legaler bewaffneter Formationen.
Gewisse Bewerber um das höchste Amt im ukrainischen Staate nähme Pjotr Luzenko, Chef der Bewegung »Dritte Ukrainische Republik«, aber doch allzu gern schon vor dem 25. Mai aus dem Rennen der 22 Kandidaten. Der erklärte Freund des UDAR-Chefs Vitali Klitschko forderte die Ächtung führender Kräfte der gestürzten Macht. Spitzenleute der einst regierenden Partei der Regionen und der mit ihnen dabei kooperierenden Kommunisten sollen gar nicht erst antreten dürfen.
Dies Anliegen teilt Luzenko ganz besonders mit den Rechtsextremisten von »Swoboda«. Die wollen die Verlierer des Umsturzes aus Einrichtungen und Institutionen unter dem in Osteuropa inzwischen verbreiteten Stichwort Lustration hinaus-»säubern«. Dazu brachten sie Ende März einen Gesetzentwurf in das Parlament ein.
Doch die politische Landschaft ist bereits jetzt neu geordnet und hinreichend sortiert. Anfang Februar wären der damalige Amtsinhaber Janukowitsch und Herausforderer Viktor Klitschko laut Umfragen mit 29,5 Prozent gegen 28,7 Prozent nach der ersten Runde fast gleichauf in die Stichwahl gegangen. Nun ist der eine im russischen Exil und der andere warf das Handtuch.
Dabei betrachtet sich der Flüchtige angesichts einer nicht nach den Regeln vollzogenen Amtsenthebung weiterhin als Präsident. Klitschko wiederum sagte dem aussichtsreichsten Bewerber Petro Poroschenko und der »Solidarnost«-Partei seine Unterstützung zu und wünscht als Gegenleistung Rückenwind bei seinem dritten Anlauf auf das Amt des Kiewer Bürgermeisters ebenfalls am 25. Mai. Der Euro-Milliardär und Süßwarenfabrikant Poroschenko schnipste immerhin von knapp 19 Prozent im Februar auf fast schon stolze 38 Prozent Zustimmung Ende März. Da hatte Klitschko bereits verzichtet und würde sich den Zugewinn gern zuschreiben.
Dies auch deshalb, weil der Boxer im Ruhestand mit Kandidatin Timoschenko noch eine Rechnung offen hat. Nach kalten Tagen und Nächten, die Klitschko an oppositioneller Front auf dem Maidan verbrachte, wischte sie dessen Ambitionen einfach weg. Nach der Freilassung im Rollstuhl auf die Bühne des Maidan geschoben, kündigte die frühere Premierministerin ihre Kandidatur an. Absprachen hielt sie für unnötig. Der in seiner aktiven Zeit als reaktionsschnell gerühmte Klitschko war kalt getroffen. Immerhin verblieb die Kandidatur unter dem Segen und im Einflussbereich einer wohlwollenden und sicher zur weiteren Förderung ihrer Freunde bereiten deutschen CDU.
Timoschenko und Poroschenko treten also gegeneinander an, und sie sind wahrlich keine Freunde. Die Vaterlands-Chefin solle zurückziehen, forderte ihr Widersacher mehrfach uncharmant mit der Begründung, es solle ein »schmutziger Wahlkampf« vermieden werden. Der würde letztlich nur die Russen frohlocken lassen. Auch das Argument, dass eine Stichwahl zwischen beiden den Osten allzu demonstrativ draußen ließe, wurde schon laut.
Dabei sind sich die »Gasprinzessin«, die sich in den nachsowjetischen Wirren ebenfalls ein ansehnliches Vermögen zu verschaffen wusste, und der »Schokoladenkönig« inhaltlich gar nicht so fremd. Sie vertreten beide den ukrainischen Westen. Eine stramme Orientierung auf die EU und Zorn auf Russland verbindet sie. Solches wird freilich von dem einen etwas moderater als von der anderen vorgetragen.
Der Unternehmer diente beiden ukrainischen Lagern - er war unter Viktor Juschtschenko Rivale Timoschenkos im Kampf um das Amt des Premiers und wurde Chef des Nationalen Verteidigungsrates. Unter Viktor Janukowitsch diente er als Wirtschaftsminister. Die Verschlechterung der ukrainisch-russischen Beziehungen bezahlte er mit richtigen eigenen Verlusten. Der große Nachbar schikanierte die süßen Produkte des Konzerns »Roshen« an der Grenze und auf seinem Markt. Doch außer über die Abtretung der Krim könne er mit den Russen über alles reden, zeigte sich der Kandidat diplomatisch großzügig und flexibel.
Nicht so seine Widersacherin. Die gilt als Frau der unmissverständlichen Zielansprachen. Selbst für sie ungewöhnlich deutlich wurde das bei ihrer telefonisch geäußerten Mordlust. Ihre Wunschopfer waren der Kremlchef in Moskau und seine russischen Schwestern und Brüder im ukrainischen Osten. Trotz großer Schwankungsbreite der Umfragen soziologischer Einrichtungen bleibt Timoschenko immer wieder deutlich hinter Poroschenko.
Beide wiederum liegen aber deutlich vor den Vertretern der »Partei der Regionen« Sergej Tigipko, Politiker und Eigentümer der Finanzgruppe TAS, sowie Michail Dobkin. Letzterer musste als früherer Chef der Verwaltung des ostukrainischen Charkow erst aus dem Hausarrest kommen, um in den Wahlkampf einsteigen zu können. Das tat er prompt und erregte Aufsehen. Er ließ sich von zwei Leibwächtern des gestürzten Viktor Janukowitsch begleiten.
Das wurde gleich als Zeichen eines präsidialen Anspruches gedeutet. Vielleicht kommt Dobkin deswegen auf einer Negativliste derjenigen Kandidaten, die die Wähler keinesfalls wählen wollen, auf den zweiten Platz. Angeführt wird die Liste von Petro Simonenko, Vorsitzender der Kommunistischen Partei und ihrer Parlamentsfraktion in der Kiewer Werchowa Rada.
Immer wieder auch international kleingeredet werden die Aussichten der Rechtsaußen im Bewerberfeld. In der Tat landen Swoboda-Chef Tjagnibok und Dmitri Jarosch, Vorsitzender des zur Partei erklärten rechtsextremistischen »Rechten Sektors«, im unteren einstelligen Prozentbereich. Dafür haben sie aber weiterhin einen gefährlich großen Einfluss - dank Regierungsämtern und von ihnen dominierter stramm nationalistischen »Freiwilligenverbände« wie »Dnejpr« und »Donbass«, die als legalisierte Ordnungsmacht nach Osten streben.
Aus dem Rennen der fast zwei Dutzend und meist aussichtslosen Kandidaten wurde in quasi letzter Minute Darth Vader genommen. Die keuchende Kultfigur aus dem »Krieg der Sterne« wollte mit Helm und Uniform für die Internetpartei in die Schlacht ziehen. Doch mangelte es an Papieren und der Wahlkommission ihrer Natur gemäß an Humor.
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