Nicht alles kaputt im Nahostscherbenhaufen

Die israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen sind offiziell gescheitert - aber doch nicht beendet

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Friedensverhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde sind gescheitert. Im Verborgenen geht die Suche nach einem Ausweg dennoch weiter.

Auch zwischen Jordan und Mittelmeer sind Sagen und Tun zwei Handlungen, die sich gerne mal widersprechen, jedenfalls wenn Politiker involviert sind. Man sagt das eine, oft auch mal laut bis sehr laut, und tut dann, wenn niemand hinschaut, doch etwas ganz anderes.

Ganz besonders auffällig ist das im Moment. Offiziell sind die Verhandlungen zwischen der israelischen Regierung und der palästinensischen Autonomiebehörde gescheitert; weil die im Westjordanland regierende Fatah eine große Koalition mit der den Gazastreifen dominierenden Hamas bilden will, sagt Israels Regierung. Weil Israel immer und immer wieder gerade dann, wenn man in den Verhandlungen irgendwo hingekommen sei, neue Siedlungsbauten angekündigt, und darüber hinaus auch die letzte Gruppe von 29 palästinensischen Häftlingen nicht frei gelassen habe, moniert die palästinensische Führung.

Doch während sich beide Seiten öffentlich gegenseitig die Schuld zuschieben, Sanktionen verhängt wurden und mit Anträgen auf Mitgliedschaft in UNO-Organisationen gedroht wird, sprechen im Verborgenen beide Seiten weiterhin miteinander und suchen nach einem Ausweg.

Denn beiden ist sehr bewusst: Irgendwie muss es weiter gehen. Denn in der Palästinensischen Autonomiebehörde spitzen sich die Dinge zu. Die wirtschaftliche Lage verschlechtert sich ständig, die Arbeitslosigkeit erreicht von Monat zu Monat neue Höchststände. Für Aufregung hat in Israel auch die Drohung von Präsident Mahmud Abbas gesorgt, die Autonomiebehörde einfach abzuwickeln: Irgend jemand müsste dann die Verantwortung für Millionen Palästinenser übernehmen - ein Unterfangen, das mehrere hundert Millionen Euro im Jahr kosten würde. Und Europäische Union und Vereinigte Staaten haben bereits klar gestellt, dass man Israel keinesfalls die Besatzung des Westjordanlandes finanzieren wird. Die Finanzhilfen an die Palästinenser seien immer schon als Übergangslösung bis zur Etablierung eines überlebensfähigen Staates gedacht gewesen.

Im Raume steht auch die Frage, was mit dem Gazastreifen passieren soll. Die Hamas ist kaum noch dazu in der Lage, ihre Macht dort aufrecht zu erhalten, und im Grunde sind sich sowohl israelische als auch US-amerikanische Sicherheitsexperten darin einig, dass eine Einheitsregierung unter Führung der Fatah die beste, wenn nicht gar die einzige Lösung ist. »Die einzige Alternative wäre eigentlich nur, die Hamas-Führung dort zu akzeptieren, zu stärken und den Dialog mit ihr zu suchen«, heißt es in einer Analyse der israelischen Zeitung »Jedioth Ahronoth«. Doch das sei aus israelischer Sicht kein gangbares Szenarium: »Die Ablehnung der Hamas ist politischer Konsens.«

Und so zeigt ein genauer Blick auf die Liste der israelischen Sanktionen, dass sie vor allem dazu dienen, die Rechte zu beruhigen, ohne deren Stimmen Regierungschef Benjamin Netanjahu keine Mehrheit mehr hätte: Sozialabbau und die Debatte um den Wehrdienst für ultraorthodoxe Juden haben dazu geführt, dass ein Großteil der Opposition zwar einen Friedensvertrag mit den Palästinensern unterstützen würde, aber ansonsten nicht mal in der Nähe von Netanjahu gesehen werden möchte.

So hat Israel beispielsweise die Überweisungen aus den Zoll- und Mehrwertsteuereinnahmen an die Autonomiebehörde nicht - wie angedroht -, vollständig eingestellt: Tatsächlich werden von den umgerechnet gut 100 Millionen Euro im Monat etwa 35 Millionen für die Lieferung von Elektrizität und Wasser abgezogen - Geld, das Israel in der Vergangenheit meist gestundet hat.

Auch die Blockade von palästinensischen Bauprojekten in Gebieten unter vollständiger israelischer Kon᠆trolle betrifft nahezu ausschließlich Vorhaben, die sich noch in der frühen Planungsphase befinden; die Planungen gingen dennoch weiter, heißt es bei der Autonomiebehörde.

»Uns war sehr bewusst, dass die Unterzeichnung der internationalen Konventionen und die Einheitsregierung mit der Hamas zu einer scharfen Reaktion aus Israel führen würden«, sagt ein enger Mitarbeiter von Abbas: »Tatsächlich sind die Sanktionen aber gemäßigter ausgefallen, als wir erwartet hatten.«

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