Müggelsee ahoi!

Schiffstour erklärt Berlins Architekturgeschichte vom Wasser aus

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Berliner Reederei Riedel orientiert sich gen Osten und startet eine neue Müggelseeroute. Ein Schwerpunkt auf der Tour ist die Berliner Industriearchitektur.

»Es lebt sich gut in Köpenick. Warst Du mal hier, dann haste Glück.« Der Hauptmann von Köpenick ist ein Gute-Laune-Garant - und das auch über hundert Jahre nach seiner schelmischen Tat. Volksschauspieler Jürgen Hilbrecht war eingeladen, um mit seiner Figur des Hauptmanns von Köpenick die erste Fahrt auf der neuen Schifffahrtslinie vom Anleger der o2-World bis zum Müggelsee und zurück zu feiern. Die neue Route verbindet Kreuzberg-Friedrichshain mit dem Müggelsee auf einer rund dreieinhalbstündigen Fahrt vorbei an Kleingärten, Industrieanlagen, Rudervereinen und Hotels.

Als Matrose Ingo Nadler die Leinen löst, kräuselt sich das Wasser vor dem Bug der FMS Köpenick, die seit letztem Jahr zur Flotte der Reederei Riedel gehört und Platz für 250 Personen bietet. Geschäftsführer Lutz Freise freut sich über die Erweiterung des Angebots seiner Reederei in Richtung Osten. »Die Region befindet sich in einer wahnsinnigen Entwicklung und das wollen wir zeigen«, sagt er. Vor allem freue ihn aber das Netzwerk, das er in diesem Zusammenhang habe knüpfen können. Dazu gehörten mehrere gastronomische Einrichtungen und der Industriesalon Schöneweide, der Führungen durch die Elektropolis Schöneweide anbietet.

Bis zu 30 000 Arbeiter waren zu DDR-Zeiten in den ehemaligen Werken der AEG beschäftigt, die ab 1897 hier ihren Hauptstandort hatte.

Gelb und glänzend taucht das ehemalige Kabelwerk KWO hinter einer Spreebiegung auf. Historiker Michael Voigtländer hält das Mikrofon nah an seinen Mund, als der Wind auffrischt. Er moderiert live. Zukünftig werden allerdings die von ihm erarbeitete Erklärungen per GPS-Signal abgespielt werden. »Das Gebäude ist nach der Wende saniert worden, als die englische Königin 1992 Oberschöneweide besuchte. Heute stehen die Gebäude unter Denkmalschutz.« Neben dem Kabelwerk hatte die AEG hier auch noch die Neue Automobil-Gesellschaft AG sowie das Petroleumlager Nobelhof angesiedelt.

»Auch wenn Berlin heute keine Fabrikstadt mehr ist, die denkmalgeschützten Zeugnisse jener Vergangenheit gehören zum unverzichtbaren kulturellen Erbe der Stadt«, so Voigtländer, der Führungen durch verschiedene Industrieareale Berlins anbietet.

Während der Diesel der FMS Köpenick leise am Gebäude des Kabelwerkes vorbei tuckert, zeigt sich eine mögliche Zukunft des Areals. 2006 ist in mehrere ehemalige AEG-Gebäude die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) eingezogen. Rund 9000 Studierende tummeln sich mittlerweile zwischen Campus Wilhelminenhof an der Spree und Campus Treskowallee. Der Blick vom Schiff fällt auf die neue Mensa der Hochschule, Voigländer scherzt: »Sehen sie, so gut haben es die Studenten hier. Seeterrasse und Mittagessen unter Palmen.« Ein älterer Passagier merkt an: »Seit die Studenten hier sind, sind die Straßenbahnen immer voll.« So ganz scheint der notwendige Wandel noch nicht in der Bevölkerung Schöneweides angekommen zu sein. Das Schiff hält an einem veganen Hotel, macht im Anblick der Köpenicker Altstadt einen kleinen Abstecher in die Dahme, wo Voigtländer die Geschichte vom Fischtog der Frauen von Köpenick erzählt. Die, als ihre Männer nichts mehr fangen wollten, selbst die Netze auswarfen und - wer hätte es geahnt - mit Netzen voller Fische zurückkehrten. In der Mittagssonne leuchtet der Turm des Köpenicker Rathauses, der Kellner schenkt Bier und grünen Sekt aus. Der Hauptmann singt.

Bei der Einfahrt in die Müggelspree erinnert Michael Voigtländer an die Wäschereiunternehmerin Henriette Lustig, die 1835 in Köpenick die erste Wäscherei gründete. Das Wasser hatte hier eine um einige Grade geringere Härte als jenes aus den Wasserleitungen. Die umliegenden Wiesen boten sich zum Bleichen und Trocknen in der Sonne an. Das Geschäft florierte und Lustig bekam Nachahmer. Um 1900 soll es in Köpenick 4000 Lohnwäscherinnen und 87 Wäschereien gegeben haben. Vor allem Wäschereiunternehmer Julius Spindler machte ihr schließlich das Geschäft streitig.

Entlang der Müggelspree kann man vom Deck des Schiffes aus wunderbar in die Gärten der prunkvollen Villen am Ufer luken. Dass die Gegend ein Anziehungspunkt für wohlbetuchte Berlinfreunde aus aller Welt ist, wird deutlich, wenn Voigländer berichtet, dass der Musiker und Fotograf Brian Adams hier eine Halle gekauft habe und dass der chinesische Künstler Ai Weiwei beabsichtigte, ein Anwesen zu kaufen, bevor er in China 2011 verhaftet wurde. »Dit is alles totes Kapital«, sagt hingegen ein Herr mit kariertem Schal, als er auf die gut vertäuten Motorboote am Ufer blickt.

Bei auffrischendem Gegenwind dreht die FMS Köpenick, als sie den Müggelsee erreicht, auf 150° Süd-Südost ein. Am Hotel und Freizeitgelände Rübezahl ist die Tour zu Ende.

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