Pasteur, der Übeltäter

  • Reinhard Renneberg, Hongkong
  • Lesedauer: 3 Min.
Ein Fall für den Staatsanwalt: Ein Nichtmediziner verwendet Material unbekannter Zusammensetzung und Toxizität und behandelt damit Patienten, die möglicherweise an einer tödlichen Krankheit leiden, darunter ein Kind. Ihre Namen und Adressen werden ohne Zustimmung veröffentlicht, erstaunliche Behauptungen aufgestellt, aber keine Details der Behandlung bekannt gegeben. Überdies bekommen die Menschen äußerst virulente Mikroben injiziert, ohne dass deren Wirkung vorher bei Tieren getestet worden wäre. Einige Patienten sterben, und ein beteiligter Mediziner distanziert sich von den Machenschaften seines Mitarbeiters. Doch statt angeklagt zu werden, ging der Mann als Sieger über die Tollwut in die Wissenschaftsgeschichte ein. Louis Pasteur hatte eine Menge Glück, wohl auch gemäß seinem Ausspruch: »Das Glück begünstigt den vorbereiteten Geist«. Dennoch verletzten er und andere Forscher dieser Zeit etliche ethische Grundsätze. Pasteur erklärte das Rückenmark als Sitz des Tollwuterregers, obwohl die Mikrobe noch unbekannt war. Wie auch - wurden die Erreger doch erst später mit dem Elektronenmikroskop sichtbar. Er behauptete die Gewinnung abgeschwächter (»attenuierter«) Erreger durch Alterung von aus Hasen entnommenem Rückenmark. Diese wurden am 6. Juli 1885 dem kleinen Joseph Meister verabreicht. Die stets knifflige Frage: Wie bewegt man sich in einem Gebiet, wo es wenig oder gar keine Gewissheiten gibt? Wie kam es zu der Idee, durch bewusste Ansteckung mit Krankheitserregern dieselbe Krankheit bekämpfen zu können? Es begann mit den Pocken: Schon im 11. Jahrhundert beobachteten chinesische Ärzte, dass Personen, die eine Pockenerkrankung glücklich überstanden hatten, gegenüber einer erneuten Ansteckung resistent waren. Und so infizierte man im alten China bereits Kleinkinder künstlich mit Pocken von mild verlaufenen Fällen, um sie für das weitere Leben vor einer Pockenerkrankung zu schützen. Angesichts der dramatischen Sterblichkeit im Ernstfall fanden sie das Risiko offenbar erträglich. Als europäischer Pionier bei der Entwicklung eines verträglichen Impstoffs gegen die Pocken hat sich der englische Arzt Edward Jenner (1749-1823) verdient gemacht. Er stellte fest, dass die vergleichsweise harmlosen Kuhpocken auch einen effektiven Impfstoff hergaben. Trotzdem wertete Jenner im Alter die Methode kritischer wegen durchaus vorhandener Nebenwirkungen - kamen doch auch seine eigenen Kinder bei Impfversuchen zu Schaden. Das Jenners Impfung zugrunde liegende Konzept wurde aber erst durch Pasteur richtig erforscht. Dieser hatte bei Versuchen Hühner versehentlich mit Erregern der Geflügelcholera (Pasteurella multocida) aus Kulturen infiziert, die mehrere Wochen im Labor vergessen worden und damit geschwächt waren. Die Tiere überstanden die Krankheit, und waren fortan dagegen immun. Zuvor schon hatte Pasteur öffentlich 1881 die Wirksamkeit einer Schutzimpfung von Schafen gegen Milzbrand (Bacillus anthracis) bewiesen, die Seidenraupenzucht gerettet und die Weingärung auf wissenschaftliche Prinzipien gestellt. Pasteur hatte also Erfolg! Der Tollwut-Erfolg legte den Grundstein für das Pasteur-Institut in Paris. Pasteur war der Held seiner Zeit und ist es bis heute geblieben.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.