Durchsickern reicht nicht aus
Deutsche Wirtschaftsleistung stieg im ersten Quartal um 0,8 Prozent
Die Wirtschaft ist relativ gut ins neue Jahr gestartet. Um 0,8 Prozent ist das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal 2014 gegenüber dem Vorquartal gestiegen, vermeldete am Donnerstag das Statistische Bundesamt Destatis. «Das Wachstum steht damit auf einer robusten Basis», konnte sich Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) freuen. Und auch in der Eurozone geht es offenbar wieder bergauf: Um 0,2 Prozent konnte die Wirtschaftsleistung in der Währungsunion zulegen. Doch ob dies bei allen Menschen ankommt, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.
Gemessen am Vorjahreszeitraum scheinen die Zahlen sogar noch besser zu sein: Im Vergleich zum ersten Quartal 2013 stieg das BIP sogar um 2,5 Prozent und damit so stark wie seit über zwei Jahren nicht mehr. Ein Grund dafür ist aber auch die «extrem milde Witterung», wie Destatis in seiner Mitteilung schreibt. Allerdings ging es auch im gesamten Währungsgebiet ungewohnt steil aufwärts. Im Jahresvergleich stieg dort die Wirtschaftsleistung um 0,9 Prozent. Ein Jahr zuvor war sie noch um 1,8 Prozent geschrumpft. Ist die Eurokrise jetzt also bereits gebannt?
Zumindest für Michael Schlecht ist dies nicht der Fall. «Merkel und Co. sollten sich davor hüten, die jetzigen Zuwächse für ihre Tatenlosigkeit zu instrumentalisieren», sagt der wirtschaftspolitische Sprecher der LINKEN im Bundestag. Denn bei dem jetzigen Tempo bliebe die Massenarbeitslosigkeit und millionenfache Verelendung über Jahre bestehen.
Von solchen Tönen wollte man am Dienstagabend im Kanzleramt nichts wissen. Da empfing Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Chefs der fünf großen Wirtschaftsinstitutionen Weltbank, OECD, Internationaler Währungsfonds (IWF), Welthandelsorganisation (WTO) und Internationale Arbeitsorganisation (ILO). «Wir waren uns einig, dass wir große Krisen ein Stück weit gemeistert haben», erklärte Merkel nach dem Gespräch und in einer gemeinsamen Erklärung hieß es: «Das Vertrauen der Anleger in die Länder der Eurozone ist gewachsen.» Dennoch seien in allen Mitgliedsstaaten der Eurozone weitere Anstrengungen dringend geboten. Konkret heißt dies eine weitere Deregulierung des Arbeitsmarktes, Kürzungen im Gesundheitsbereich und Einsparungen bei Sozialmaßnahmen, um «den Wettbewerb anzukurbeln. Denn die Lehre, die dahinter steht, ist die sogenannte Trickle-Down-Theorie, zu deutsch: Durchsickertheorie.
Diese Theorie ist nicht erst seit der Finanzkrise das Leitbild für Wirtschaftsreformen, sondern hat ihre Ursprünge bereits in der Amtszeit des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan. Sie besagt, dass alle Menschen von investorenfreundlichen Reformen profitieren. Diese kurbelten nämlich die Wirtschaft an und schafften Arbeitsplätze. So würde der Erfolg selbst zu den unteren Bevölkerungsschichten durchsickern.
Doch ist dies tatsächlich der Fall? Auch nach Jahren knallharter Reformen befindet sich die Arbeitslosigkeit vor allem in den Krisenländern auf extrem hohen Niveau. So liegt sie in Spanien derzeit bei 25,3 und in Griechenland bei 26,7 Prozent. Es gibt sogar Stimmen, die sagen, dass gerade die Sparpolitik die Länder in die Rezession geführt hat, weil so die Nachfrage zusätzlich abgewürgt wurde.
In der Tat ist auch der Aufschwung in Deutschland weniger auf wirtschaftsfreundliche Reformen zurückzuführen. »Getragen wird die positive Entwicklung von einem soliden Zuwachs der Einkommen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und einer robusten Entwicklung am Arbeitsmarkt«, berichtet Wirtschaftsminister Gabriel. Zudem ist selbst in Deutschland nicht alles in Butter: Erst kürzlich monierte die OECD den hierzulande extrem hohen und weiter wachsenden Anteil des Niedriglohnsektors am Arbeitsmarkt.
»Hierzulande sind knackige Lohnsteigerungen nötig«, fordert deshalb LINKEN-Politiker Schlecht. Auf europäischer Ebene müssten »die wirtschaftlich unsinnigen und sozial katastrophalen Kürzungsprogramme sofort gestoppt werden«.
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