Wenn Kreter Kreter Lügen strafen
Kritische Studenten wollen die Wirtschaftslehre umkrempeln
Das einzige, was gleich bleibt, ist, dass sich nie etwas ändert. Oder doch? - Einen der charmantesten inneren Widersprüche im Zeitalter der Globalisierung nannte ein schlauer Kopf einmal das »mentale Dorf«. Die Engstirnigkeit und geistige Provinzialität wird größer, je mehr Wissen durch die digitale Revolution über den ganzen Erdball bis hinter die letzte bäuerliche Ofenbank vordringt.
Das einzige Studienfach der Welt, gegen das seine Studentenschaft sich über Grenzen und Ozeane in offener Aufruhr befindet, ist die Volkswirtschaftslehre. Das Ausmaß des Aufruhrs macht Eindruck: Wirtschaftsstudenten aus 19 Ländern haben gemeinsam ein Manifest veröffentlicht, in dem sie eine Reform ihres Faches fordern. Über fünfzig Vereinigungen von Europa über Israel bis nach Buenos Aires haben sich dem »Internationalen studentischen Aufruf für eine Plurale Ökonomik« angeschlossen.
Kurz nach der Veröffentlichung des Aufrufs gab es schon 1200 Unterzeichner aus 62 Ländern. Zu den 230 Unterstützern des Manifests zählen namhafte Kritiker der neoliberalen Weltwirtschaft und ihres angestellten Wissenschaftsapparats. Dazu gehören Lord Robert Skidelsky aus Großbritannien und der Franzose Thomas Piketty, dessen kontroverses Buch »Das Kapital im 21. Jahrhundert« gerade weltweit aus den Regalen gerissen wird.
Dass es so viele Gruppen frustrierter Wirtschaftsstudenten gibt, die finden, ihr Studium bereite sie weder auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts, noch richtig auf den Job vor, hat die Öffentlichkeit überrascht. Das Fach, schreiben die Kritiker, sei eine Monokultur der Neoklassik, die lehrt, dass der Markt sich am besten selbst reguliert. Sie wollen auch andere Theorien wie Marx und Keynes lernen, interdisziplinär studieren und die ganze Vielfalt der Methoden und Fragestellungen - wie in den anderen Sozialwissenschaften - kennenlernen.
Die Bewegung kritischer Volkswirtschaftler ist vor gut zehn Jahren an der Pariser Sorbonne entstanden. Seit 2000 erscheint ihr Organ, die »real world economics review«, das über 17 000 Interessierte in über 150 Ländern lesen. Im Mai 2011 wurde die »World Economics Association« gegründet, der nach nur zehn Tagen 3600 Ökonomen aus 110 Ländern beitraten. Mittlerweile hat sie 12 000 Mitglieder, die von den Wirtschaftswissenschaften wollen, dass sie »der Gesellschaft besser dienen«. So geht es auch den im Internet vereinten Studentinnen und Studenten.
Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman hält die Makroökonomie der letzten 30 Jahre für »bestenfalls spektakulär nutzlos, schlimmstenfalls absolut schädlich«. Der Ökonom Ha-Joon Chang aus Cambridge ist Mitunterzeichner des Manifests, er sagte im »Observer«, er schäme sich dafür, dass seine Disziplin die einzige sei, gegen die sich eine große und wachsende Zahl von Studierenden international auflehnt. Wolfgang Streek, Leiter des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung (MPIfG), spricht in einem vielbeachteten Beitrag gar von einer »an den Universitäten betriebenen monokulturellen Gehirnwäsche mit standardökonomischen Rational- und Marktmodellen«. Und Thomas Piketty fordert in »Le Monde« die Ökonomen weltweit auf, »von ihrem Elfenbeinturm herabzusteigen.« Er findet es »sinnlos, drei Jahre lang ausschließlich Wirtschaft zu studieren. Das Studium braucht einen Anteil Soziologie, internationale Beziehungen, Geschichte, Mathematik, Psychologie.«
Dass die Mathematik zu kurz kommt, findet Ulrich Baßeler, Autor eines Standardwerkes für das volkswirtschaftliche Studium, kürzlich emeritiert von der FU Berlin, nicht. Er meint, nach 40 Jahren als Wirtschaftsprofessor: »Jeder Hochschullehrer kämpft für sich allein. Erreichen kann man nur etwas in der Forschung, Lehre zählt praktisch überhaupt nichts. Und in der Forschung erhält man Anerkennung, wenn man ein anspruchsvolles mathematisches Modell formuliert und dann auch löst. Aber die Relevanz der Fragestellungen wird wenig hinterfragt.« Das andere, sagt er, »ist die neoliberale Fokussierung, der Mainstream. Große Erfolge kannst du nur erzielen, wenn du im Mainstream bist. Deshalb haben die Studenten recht, die Hochschullehrer müssen sich ändern. Es muss darum gehen, wirkliche Erklärungen zum Wirtschaftsprozess zu liefern statt dieses L’art pour l’art, dieser Wissenschaft als Selbstzweck.«
Nicht gegensätzlicher könnte das Peter Tillmann sehen. Er ist ein Newcomer, erst seit 2009 hat er den Lehrstuhl für Monetäre Ökonomik an der Justus-Liebig-Universität in Gießen inne. Gleichwohl platzierte das »Handelsblatt« ihn unter den »forschungsstärksten deutschen Ökonomen unter 40 Jahren« auf Platz 4. Die kritisierenden Studenten sind seiner Meinung nach eine engagierte Minderheit, denen der Überblick über das Fachgebiet fehle, sie kritisierten das Grundstudium, das die ungeheure Breite des Faches noch gar nicht zeige.
Dem Vorwurf der Einseitigkeit und der Mathematisierung hält er entgegen: »Es gibt so eine heftige Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Richtungen, gerade in den letzten Jahren hat sich eine Vielzahl von Dingen aufgetan, mit den Erfahrungen der Krise. Da kann man nicht von einseitigem Mainstream reden!« Und: »Wenn Sie die führenden Fachzeitschriften durchblättern,« fügt er hinzu, »finden Sie relativ wenig Mathematik. Das sind alles politikrelevante Probleme. Das ist nicht einfach nur Wissenschaft um der Wissenschaft willen. Das sind keine Probleme, wo Mathematik gemacht wird und möglicherweise die Fragestellung aus dem Blick verloren wird, im Gegenteil.«
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