Zaubername Wagenbreth

Thema »Provinz« im Cottbuser Kunstmuseum

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.

Dass man im Kunstmuseum verschiedene Ausstellungen zeigt, von deren eine hier besonders im Blickfeld steht, ist selbstverständlich. Öffentlichkeit dafür herstellen, ist jedoch ein vielseitiges Projekt. Von überbordenden Besuchermassen nicht gerade verwöhnt, sinnt die Cottbuser Museumsdirektorin Ulrike Kremeier immer wieder auf Publizität. Da war die Rosa-Luxemburg-Stiftung mit einem engagierten Fachpublikum jüngst gern gesehener Gast, um zusätzlich Leben in die Bude zu bringen. Schließlich war die inzwischen bereits vierte Kulturkonferenz zum Thema »Provinz versus Provinzialität« in Bezug auf die Bildende Kunst auf den Weg und zum Ziel zu bringen.

Dieses schon allein durch seine Kraftwerkarchitektur recht unprovinzielle Provinzmuseum erwies sich denn auch als idealer Ort für körperliche und geistige Bewegung. Denn ein zusätzlicher Schauwert wurde von der Tanzwerkstatt Cottbus mit den tänzerisch bewegten Leibern von Golde Grunske, Martina Morasso und Griffin Lauchlann geboten. Sie setzten sich der gegebenen Baulichkeit aus, ließen deren Zwänge spüren, um sie zu überwinden. Ihr erstes Programm »Mit wenn und aber« leitete den philosophischen Diskurs zum Grundthema »Heimat als Utopie« ein. Gerd Rüdiger Hoffmann als federführender Initiator der Konferenz steuerte damit über den vagen Begriff »Interkulturalität« hinweg das Hauptthema einer »raumbezogenen kollektiven Identität« an.

Mit dem zweiten tänzerischen Einschub »zwischenRäumen« wurde bereits treffend der Kern der Aussage des Vortrags von Gabriela Christmann berührt. Die hier heimisch gewordene Badener Soziologin brachte den Begriff jener Identität als Antwort auf die nivellierende Globalisierung ins Gespräch. Der Mensch findet seine Identität erst in einem konkreten, an historisch markanten Punkten feststellbaren Territorium. Dynamisch gewachsen und weiterentwickelt, wird diese zur gesellschaftlichen Kraftquelle. Negiert, wie bei der von Jurij Koch beklagten Naturzerstörung in seinem hier rezitierten Text von der Mandelkrähe, wird sie unwirksam. Auch menschliche Lebensleistungen gehören übrigens zum gegebenen Naturreichtum.

Danach hätte sich angeboten, das folgende Thema »Alltag in der Kunst - Kunst im Alltag« klarer politisch zu konturieren. Nachdem das Kunstarchiv Beeskow mit überzeugenden Bildbeispielen von Auftragskunst aus der DDR vorgestellt worden war, zerfloss leider der anschließende Podiumsdisput in Beliebigkeit. Erst der Ex-Kulturminister der ersten Stunde, Herbert Schirmer, kam wieder auf den Punkt: Neuere Forschungen erkennen nämlich in jenem Bestand die eben auch in Auftragskunst dokumentierte Identität von Menschen in einem konkreten gesellschaftlichen Umfeld - so authentisch, wie es nur Kunst zu zeigen vermag. Und das klägliche Defizit der gegenwärtigen Gesellschaft in puncto Auftragskunst lässt sich mühelos an Beispielen von Großprojekten wie Landtagsneubau und Großflughafen zeigen. Gerade dieses Problem sollte eine Stiftung im Namen Rosa Luxemburgs deutlicher benennen.

Was tut man, wenn glücklicherweise programmatisch aufgeworfene Zeitfragen letzten Endes wieder zerredet werden, und der entscheidende Erkenntnisgewinn ausbleibt? Man tröstet sich damit, bildhaft überzeugend gestaltete Kunst zu erleben. Wozu ist man denn am Ort? Schon allein die Fotos von Ludwig Rauch im Tagungsraum hatten etwas Tröstliches. Und eine Etage höher nun die Ausstellung, die merkwürdig wenig beachtet vom Tagungspublikum, mir den finalen Aufschluss über die meisten aufgeworfenen Fragen gibt. Ich versuche halt drüber zu gucken über offensichtlich extrem künstlerisch gestaltete Wände mit Alltagskunst. Und den Durchblick zu gewinnen, den kein Gerede über Bildkunst jemals verschafft.

Der Zaubername ist Henning Wagenbreth. Geboren ist der hier auf engstem Raum dicht bei dicht Farbe neben Farbe Form zu Form präsente Grafiker 1962 in Eberswalde. Alles was fürs Design in grafischen Dingen erlernbar ist, nahm er 1982 bis 1987 von der Kunsthochschule Berlin Weißensee mit. Im zumal für jüngere Semester kreativ hoch aufgeladenen Zeitraum kurz vor den Wendewirren tat er sich mit drei Gleichgesinnten zur »PGH Glühende Zukunft zusammen«, um in der grafisch umgesetzten Bildsprache des der Rockmusik nahen Comic ein für allemal seinen Stil zu finden. Dieser auf dem identitätsstiftenden Kulturraum berlinnaher DDR-Szene entstandene Impuls hält offensichtlich bis heute an. Wagenbreth, längst Professor in vieler Herren Länder und vielfacher Preisträger, zehrt offenbar von einem mit aller Welt kompatiblen ganz konkreten lokalen Nährboden. Gedüngt von Einflüssen quer rüber von Moskau bis New York. Man mag das Subkultur nennen, wo im Eigen-oder-Fremdauftrag Briefmarken oder Kinderbücher, Backgrounds für Jazzfestivals oder Puppentheaterankündigungen, Spielzeug oder Themenplakate entworfen werden. Humor steckt drin - schon der Titel der Schau »Helikopter unter den Fingernägeln« sagt es. Unheimlich eckig aneckende konstruktive Kompositionsprinzipien überwuchern fast formatfüllend die Flächen. Die im Eigenbau geschaffene Schrift stelzt steif daher. Ein Wunder, dass sie lesbar ist. Es lebe ein Land Brandenburg, das kraft solcher Originale identisch wird.

Helikopter unter den Fingernägeln - Plakate, Comics und andere Drucksachen von Henning Wagenbreth, Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus, bis 15.6.

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