Parlament vorerst »aufgelöst«
Blutige Auseinandersetzungen in Libyen destabilisieren die wenigen Staatsstrukturen
Das Nebeneinander von Normalität und Krieg wundert mittlerweile niemanden mehr hier in Tripolis. Während sich in den Vororten der Hauptstadt General Chalifa Haftars »Nationale Armee« auf die Ankunft islamistischer Milizen aus Misrata vorbereitete, eröffnete Übergangs-Premier Abdullah al-Thinni die alljährliche Baumesse »Libya Built«.
Die Angst vor weiteren Kämpfen zwischen den Milizen lähmt Tripolis, viele gehen nicht zur Arbeit. »Das sind alles Leute aus der Wüste, die kommen in die Hauptstadt, um uns ihren Willen aufzudrängen. Und letztlich wollen sie nur das Geld der Zentralbank«, beschwert sich Ladenbesitzer Lotfy Tarhouni. Sein Telefon hört nicht auf zu klingeln, das Handynetz ächzt unter der Überlastung.
Ziel von General Haftars »Nationaler Armee« ist es, strategische Positionen zu besetzen. Mit der Belagerung des Parlaments ist ihm das handstreichartig gelungen, die mit ihm seit gestern verbündeten Föderalisten haben die wichtigen Ölhäfen in ihrer Hand.
Panikartig verließen die Abgeordneten am Sonntag den Nationalkongress, als mit Haftar verbündete Kämpfer der sogenannten Qaa-Qaa-Miliz auftauchten, die offiziell der Regierung unterstehen. Haftar kündigte auf dem TV Sender Al Assema an: »Das Parlament ist abgesetzt, die verfassunggebende Versammlung in Al-Baida übernimmt die Amtsgeschäfte bis zu Neuwahlen.« Trotz der Drohung kündigte ein Parlamentssprecher die Wahl eines neuen Premiers für heute an.
Übergangs-Premier Thinni soll von dem Geschäftsmann Ahmed Maitiq abgelöst werden. Doch der 43-jährige Hotelbesitzer Maitiq war erst unter dem Druck der Islamisten und nach der offiziellen Schließung der Parlamentssitzung gewählt worden. Die liberale Opposition erkennt ihn als neuen Premier nicht an.
»Die Islamisten dominieren den Kongress nach Belieben«, behauptet eine Abgeordnete aus Bengasi, die wegen der eigenmächtigen Verlängerung des Parlaments im Frühjahr zurück getreten war. Nervös nippt sie in einem Café an einem Caffe Latte, »keinen Namen bitte«. Ihre Familie würde bedroht, sagt sie und wirft den Muslimbrüdern vor, mit aller Macht den Staat kontrollieren wollen.
Sie traut aber auch Hafter nicht und pflegt wie viele ihrer Landsleute ein tiefes Misstrauen gegen die gesamte neue Elite. Hafter gehörte doch zu Gaddafis engen Vertrauten, bis er den Tschad-Krieg verlor, gibt sie zu bedenken, nach dem Bruch zwischen den beiden, habe Hafter mit der CIA gearbeitet.
Auf einer Pressekonferenz am Sonntag fordert Justizminister Salah al-Marghani mit einem dramatischen Appell ein Ende der Politik mit Waffen. Zwei Stunden zuvor hatte er einen Attentatsversuch überlebt, als Unbekannte auf sein Auto feuerten.
Hafters Sprecher rechtfertigte hingegen den Angriff auf die 2012 demokratisch gewählten Abgeordneten als legitim. »Einige von ihnen haben direkten Kontakte zu Al Qaida, zudem hat der Kongress hat sein Mandat eigenmächtig verlängert.« Ohne Kompromiss droht ein noch heftigerer Konflikt der regionalen Allianzen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.