Wahlen mit unfriedlichem Beigeschmack

Präsident Santos kämpft in Kolumbien um seine Wiederwahl und den Fortgang der Verhandlungen mit der FARC-Guerilla

  • Raul Zelik, Bogotá
  • Lesedauer: 7 Min.
Bei den Präsidentschaftswahlen in Kolumbien am 25. Mai wird indirekt auch über die laufenden Friedensverhandlungen abgestimmt, denn ein aussichtsreicher Kandidat plädiert für den militärischen Weg.

Über die Friedensverhandlungen mit den Revolutionären Streitkräften Kolumbiens - Volksarmee (FARC) will Kolumbiens Regierung in diesen Monaten nicht sprechen. Man habe Diskretion vereinbart, heißt es im Pressebüro von Präsident Juan Manuel Santos, Interviews zum Thema würden nicht gegeben. Doch man könne sich selbst ein Bild von den Programmen machen, mit denen die Regierung bereits jetzt an einem dauerhaften Frieden arbeite - zum Beispiel bei der Agencia Colombiana para la Reintegración (ACR), der staatlichen Behörde zur Wiedereingliederung.

In Kennedy, einem Arbeiterviertel im Südwesten Bogotás, liegt eines von 33 Aufnahmezentren der ACR. In einem garagenähnlichen Raum im Erdgeschoss stehen ein Dutzend durch Sichtblenden voneinander getrennte Schreibtische. Einige Sozialarbeiter beraten demobilisierte Paramilitärs und Ex-Guerilleros.

Der Leiter der Behörde, Alejandro Eder, empfängt mich im ersten Stock. Der 38-jährige Unternehmersohn, der zur auf Kuba verhandelnden Regierungskommission gehört, strahlt etwas Playboyhaftes aus. Die Haare trägt er nach hinten gegelt; in der Klatschpresse heißt es, er sei seit Neuestem mit der Schönheitskönigin Taliana Vargas liiert.

»In Kolumbien wird es so oder so Frieden geben«, erklärt Eder. »Die Verhandlungen können ein Katalysator sein, um zu einem schnelleren Ende des Krieges zu kommen. Aber wir schaffen auch ohne diese Verhandlungen bereits die Grundlagen für Frieden. Der fällt nämlich nicht einfach durch ein Abkommen vom Himmel, sondern muss nach und nach geschaffen werden.«

Für Eder besteht eine Kontinuität zwischen der autoritären Sicherheitspolitik der Vorgängerregierung Álvaro Uribes und der gemäßigteren Santos-Administration. Dank der erfolgreichen Guerillabekämpfung im letzten Jahrzehnt könne sich die Regierung Santos jetzt wieder den grundlegenden gesellschaftlichen Problemen zuwenden: der Bekämpfung der Ungleichheit, dem Ausbau des Bildungssystems oder der Stärkung der Institutionen. Entscheidend sei, dass die Regierung bei ihren Friedensbemühungen auf langjährige Erfahrungen zurückblicken könne. 56 000 Kämpfer, darunter 20 000 Guerilleros, hätten sich bereits demobilisiert, und die Verbindung von militärischem Druck und wirtschaftlicher Entwicklung werde dafür sorgen, dass der politischen Gewalt nach und nach der Nährboden entzogen wird.

400 Kilometer nördlich in der am tropischen Magdalena-Strom gelegenen Kleinstadt Puerto Wilches stellt sich die Lage anders dar. Es ist schwül; die Hitze drückt einen zu Boden, wenn man aus dem Schatten der Palmen in die Sonne tritt.

Ölpalmen - so weit das Auge reicht. Seit einem knappen Jahrzehnt fördert der kolumbianische Staat den Anbau der ursprünglich aus Afrika stammenden Palme. »50 Prozent der Ernte wird für Biokraftstoffe verwendet«, erklärt Juan Gonzalo, ein schlanker Endvierziger, der seit 30 Jahren auf den Plantagen arbeitet. »Die andere Hälfte geht in die Kosmetik- und Nahrungsmittelindustrie.«

Die globale Nachfrage nach Palmöl ist in den letzten Jahren stark gestiegen, und so propagieren kolumbianische Agrarverbände das »malaysische Modell«. Der Palmenanbau sorge in dem südostasiatischen Land nämlich nicht nur für Exporteinnahmen, sondern habe dort auch zum sozialen Frieden beigetragen.

Auf der Plantage Bucarelia unweit von Puerto Wilches lässt sich erahnen, was damit gemeint ist. Landarbeiter Juan Gonzalo führt vor, wie die Erntearbeit verläuft. Mit einem acht Meter langen Teleskopmesser werden die Fruchtstauden geschnitten und dann mit Büffeln abtransportiert. »Die Arbeit ist extrem anstrengend«, erklärt Gonzalo außer Atem. Die Temperaturen liegen bei über 40 Grad. »Und sie ist gefährlich: Das Schneiden geht auf den Rücken und die Gelenke. Außerdem wimmelt es von Schlangen. Es gibt hier zwar kaum noch wilde Tiere, aber manche Arten haben sich extrem vermehrt: Vor allem Mäuse, die sich von den Nüssen ernähren, Schlangen und Greifvögel.« Doch obwohl die Arbeit hart und mit 300 Euro monatlich nicht gut bezahlt ist, kämpfen Gonzalo und 70 seiner Kollegen in diesen Tagen verzweifelt um ihren Arbeitsplatz. Der Eigentümer hat die Landarbeiter mit dem Verweis auf den Pilzbefall der Plantagen entlassen. Fast alle Pflanzungen in Kolumbien sind von der Phytophthora palmivora befallen, einer Pflanzenfäule. Mit staatlichen Subventionen ersetzen die meisten Plantagenbesitzer ihre Pflanzungen zurzeit durch resistentere Arten und nutzen dabei die Gelegenheit, um die Belegschaft zu entlassen. »Wir Festangestellten werden durch Prekäre ersetzt«, erklärt Gonzalo. »Auf diese Weise werden die Unternehmer die Gewerkschaften los. Die Prekären können sich nämlich nicht organisieren. Die werden schon rausgeschmissen, wenn sie sich nur mit uns treffen.«

Zwar hat die Regierung Santos ein Gesetz gegen Scheinselbstständigkeit erlassen, doch dieselbe Beschäftigungsform existiert jetzt einfach unter anderem Namen fort. »Wir sind nur noch 70 gewerkschaftlich organisierte Landarbeiter hier.« Und auch das ist mit großen Gefahren verbunden: Der Vorsitzende der örtlichen Gewerkschaftssektion bewegt sich nur im gepanzerten Fahrzeug und mit Leibwächtern, die ihm im Rahmen eines internationalen Abkommens zur Verfügung gestellt werden. Zwar wurden die rechten Paramilitärs 2006 aufgelöst, aber faktisch existieren die Gruppen weiter.

»Die Regierung nennt die Paramilitärs jetzt BACRIM, kriminelle Banden. Aber sonst hat sich wenig geändert«, bekräftigt auch Gonzalos Kollege Miguel Conde, der örtliche Vorsitzende der Landarbeitergewerkschafter. »Die Paramilitärs erpressen Schutzgelder, legen fest, welcher Politiker gewählt werden soll, und bedrohen diejenigen, die soziale Proteste organisieren.«

Die Frage, ob die Friedensverhandlungen nicht letztlich bedeutungslos seien, wenn Paramilitärs und Unternehmer ihre eigene Gewaltherrschaft etablieren, verneinen die Gewerkschafter dann aber doch überraschend deutlich. »Die Gewalt würde zwar nicht aufhören«, sagt Miguel Conde, »aber ein Abkommen mit der Guerilla wäre trotzdem gut. Das Problem ist nur, dass die Regierung genau das Gegenteil macht. Sie unterdrückt Proteste und unterstützt die großen Bergbauprojekte und Monokulturen. Und das führt zur Vertreibung von Bauern.«

Dass die neoliberale Entwicklungspolitik im Widerspruch zu den Friedensbemühungen steht, glaubt man auch bei der Marcha Patriótica, einer neu entstandenen Linkspartei. In den Medien heißt es, dass sich die FARC im Falle eines Abkommens der Organisation anschließen werden. Jairo Estrada, Professor für Politik an der Nationaluniversität Kolumbiens, gehört zum Koordinationsrat der Marcha Patriótica und war als Experte bei den Verhandlungen in Havanna dabei.

»Es wird über fünf Punkte verhandelt«, erklärt er, »Agrarpolitik, die Demokratisierung des politischen Systems, Drogenanbau und -substitution, Umgang mit Opfern und Tätern des Krieges und schließlich die Frage, wie das Abkommen demokratisch ratifiziert werden soll.« In den ersten drei Fragen habe man mittlerweile eine Einigung erzielt. Und auch was die Frage der Kriegsopfer angeht, haben sich die Positionen angenähert. »Es wird über eine Wahrheitskommission wie in Südafrika geredet«, so Jairo Estrada.

Er bewertet den bisherigen Verlauf der Verhandlungen in diesem Sinne positiv. Gleichzeitig ist ihm aber auch bewusst, dass die wirtschaftspolitischen Positionen kaum weiter voneinander entfernt sein könnten. »Die Regierung will die Weltmarktintegration. Für die sozialen Bewegungen dagegen geht es um Nahrungsmittelsouveränität und Selbstversorgung.« Es sei allerdings auch falsch, auf eine »Revolution per Dekret« zu hoffen. »Das Abkommen wird die sozialen Strukturen nicht verändern. Aber es kann die Bedingungen für gesellschaftliche Kämpfe verbessern«, sagt Estrada. Rechtliche Garantien für die bäuerlichen Gemeinschaften seien eine Voraussetzung dafür, dass sich die Bauern überhaupt wieder gegen Vertreibung zur Wehr setzen können.

Zumindest in der Einschätzung, dass ein Abkommen nicht End-, sondern Ausgangspunkt eines Friedensprozesses wäre, scheinen sich die Positionen von Regierung und Linken also zu decken. Und auch in einer anderen Frage ist Estradas Einschätzung von der des Regierungsfunktionärs Alejandro Eder gar nicht so weit entfernt. Für die FARC, so Estrada, sei der Druck zu verhandeln sehr groß. »In Kolumbien haben US-amerikanische und israelische Experten in den letzten Jahren modernste Waffen- und Kontrollsysteme eingeführt. Das hat die FARC sehr unter Druck gesetzt.« Selbst wenn die Guerilla wollte - der bewaffnete Kampf besitzt auch in Kolumbien keine politische Perspektive mehr. Nach einem Friedensabkommen könnten hingegen, so die Hoffnung Estradas, neue anti-neoliberale Bewegungen entstehen.

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