Das Duell geht weiter: Juncker gegen Schulz
Nach der Wahl ist vor der Entscheidung über den Chef der EU-Kommission / CDU: SPD muss konservativen Kandidaten mittragen / SPD: Wahlergebnis hat den Namen »Schulz« / Linke: Wir haben Bedingungen
Berlin. Es deutete sich bereits unmittelbar nach der Bekanntgabe der ersten Zahlen an: Auch nach der Europawahl bleibt es beim Tauziehen um das Amt des EU-Kommissionspräsidenten. Auch wenn die politischen Unterschiede zwischen den beiden Spitzenkandidaten nicht sehr groß sein mögen - nun geht der Wahlkampf in eine zweite Runde. Der CDU-Politiker Elmar Brok forderte die SPD auf, den Spitzenkandidaten der europäischen Konservativen, Jean-Claude Juncker, als Bewerber mitzutragen. »Es ist üblich, dass der Vertreter der stärksten Partei gefragt wird. Und das ist Jean-Claude Juncker«, sagte der Europaparlamentarier der Deutschen Presse-Agentur. »Die SPD muss Juncker mit vorschlagen.«
»Wir haben gewonnen«, sagte der Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Joseph Daul, am Sonntagabend in Brüssel. Er fügte hinzu: »Die EVP wird ihren Kandidaten als Kandidaten für die Präsidentschaft der Kommission vorschlagen.« Für EU-Kommissar Günther Oettinger muss der konservative Spitzenkandidat zur Europawahl, Jean-Claude Juncker, der nächste Kommissionspräsident werden. Da die Europäische Volkspartei mit Abstand die stärkste Fraktion im Parlament sein werde, sei klar: »Herr Juncker ist der logische Kommissionspräsident«, sagte Oettinger am Sonntagabend im SWR-Fernsehen.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) wird sich nach Angaben von Unionsfraktionschef Volker Kauder für Jean-Claude Juncker als Präsidenten der EU-Kommission starkmachen. »Wir haben die Wahl gewonnen, Jean-Claude Juncker ist unser Kandidat. Damit wird das auch die Position sein«, sagte Kauder am Montag im ZDF-»Morgenmagazin«. Man müsse zunächst aber die Neuordnung des Europaparlaments abwarten. In der Europäischen Volkspartei werde man sich klar für Juncker aussprechen.
Mit dem Sieg des konservativen Parteienblocks Europäische Volkspartei (EVP) sind die Chancen des luxemburgischen Ex-Premiers Juncker zwar gestiegen, allerdings fehlt ihm die nötige Mehrheit. SPD-Chef Sigmar Gabriel beanspruchte bereits am Sonntagabend das Amt für die nur wenig zurückliegende Sozialdemokratische Partei Europas (SPE) und ihren Spitzenkandidaten: »Das Wahlergebnis hat einen Namen, und der lautet Martin Schulz«, sagte er.
Der SPD-Europaspitzenkandidat Martin Schulz will sich trotz des knappen Vorsprungs der Konservativen weiter um eine Mehrheit für das Amt des Kommissionspräsidenten bemühen. Er werde Gespräche mit allen anderen Fraktionen führen und noch am Abend mit seinem Gegenkandidaten Jean-Claude Juncker sprechen, sagte Schulz am Sonntag im ZDF. Zunächst müsse über Inhalte gesprochen werden. »Und dann schauen wir mal, wo die größten Schnittmengen sind.« Ohne die Sozialdemokraten im Europaparlament werde »ganz sicher« keine Mehrheit gebildet werden können. In der ARD ergänzte er: »Es wird sicher Juncker oder Schulz sein.«
Die Staats- und Regierungschefs, die den Kommissionschef vorschlagen, müssen das Wahlergebnis berücksichtigen. Eine Entscheidung kann Wochen dauern.
Linksfraktionsvize Dietmar Bartsch verwies darauf, dass die europäische Linke »rasant zugelegt« habe. Dem Deutschlandfunk sagte er am Montagmorgen, dass man insgesamt in Europa mehr linke Mandatsträger habe, sei ein »starkes Signal für ein soziales Europa«. Man werde nun schauen, mit wem man im europäischen Parlament in welchen Fragen zusammenarbeiten könne. Zu einer möglichen Kooperation mit einer der großen Fraktionen sagte Bartsch, »mit Sicherheit« werde kein Linker den Konservativen Jean-Claude Juncker als Kommissionspräsident wählen. Zu einer möglichen Wahl von Martin Schulz sagte, wenn dieser mit der europäischen Linken reden wolle, werde es diese Gespräche sicher auch geben. Dann müssten aber »inhaltliche Kriterien im Vordergrund« stehen, so Bartsch, der als Beispiel auf das umstrittenen Freihandelsabkommen TTIP verwies. Es müsse »einen Kurswechsel in Europa« geben, so der Linkenpolitiker. Wenn dies nicht gelingt, werde es auch keine Wahl eines sozialdemokratischen EU-Kommissionspräsidenten geben.
Der Vorsitzende der Linkspartei, Bernd Riexinger, forderte Schulz zu Verhandlungen auf. »Wir haben klare Bedingungen an alle, die unsere Stimmen wollen. TTIP stoppen, Schluss mit den Kahlschlagprogrammen der Troika, Einstieg in die Sozialunion«, sagte er der »Mitteldeutschen Zeitung« mit Blick auf das geplante Freihandelsabkommmen mit den USA (TTIP) und die Auflagen von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds für Griechenland. »Wenn Schulz Kommissionspräsident werden will, braucht er eine parlamentarische Mehrheit«, so Riexinger.
Die SPD warnte die »Chefs« davor, Dritte als Kompromisskandidaten ins Spiel zu bringen. Nur jemand, der bei der Wahl als Spitzenkandidat angetreten sei, könne den Posten bekommen, sagte der Vizevorsitzende Ralf Stegner der Deutschen Presse-Agentur. »Alles andere wäre eine Belastungsprobe für die europäische Demokratie.« Er fügte hinzu: »Ich würde Frau Merkel nicht raten, jemanden für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten vorzuschlagen, der dann vom Parlament nicht gewählt wird.«
Die Parteichefs von Union und SPD, Angela Merkel (CDU), Horst Seehofer (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD), wollen am Abend im Kanzleramt über die Lage beraten. Die Unionsführung dürfte auch durch das erfolgreiche Abschneiden der euroskeptischen Alternative für Deutschland (AfD) beunruhigt sein.
Bei der Europawahl hatten die Unionsparteien in Deutschland ihre Vorrangstellung verteidigt. Wegen herber CSU-Verluste erreichten sie nach dem vorläufigen Endergebnis aber nur 35,3 Prozent - ihr bislang schlechtestes Europa-Ergebnis und auch weniger als bei der Bundestagswahl im September. Die SPD kletterte von ihrem bislang schlechtesten Europa-Ergebnis nun auf immerhin 27,3 Prozent. Die Grünen sackten auf 10,7 Prozent ab. Die Linke stagnierte bei 7,4. Die AfD schaffte es bei ihrer ersten Europawahl gleich auf 7,0 Prozent. Und die FDP stürzte nun auch auf EU-Ebene und kam auf 3,4 Prozent.
Damit ergibt sich folgende deutsche Sitzverteilung im Straßburger Parlament: CDU/CSU 34 Mandate, SPD 27, Grüne 11, Linke 7, FDP 3 und AfD 7. Außerdem erhalten wegen des erstmaligen Wegfalls der Sperrklausel sieben Kleinparteien je einen Sitz: die rechtsextreme NPD, die Piratenpartei, Freie Wähler, Tierschutzpartei, Familienpartei, ÖDP und »Die Partei«. Die Bundesrepublik als größtes EU-Land stellt 96 der künftig 751 EU-Parlamentarier. Sie sind für fünf Jahre gewählt. Agenturen/nd
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