Macht des Herzens
Galerie der Berliner Graphikpresse: In memoriam Peter Röske - dem außergewöhnlichen Freund der Kunst und der Künstler
Man sucht die Eingangstür. Sie ist jetzt rechts einer großen Schaufensterfront. Denn erst vor zwei Monaten hat die Galerie der Berliner Graphikpresse in Friedrichshain, die Peter Röske hier eingerichtet hatte, mit ihrer recht unscheinbaren städtischen Adresse, aber mit ganz großer Kunst, sich um ein paar Räume erweitern können. Tritt man zur neuen, großen gläsernen Tür herein, heftet sich das Auge, im Moment des ersten Um-sich-Schauens in der - maßvollen - Fülle von Bild und Plastik, auf ein handtellergroßes dunkelscheinendes Ölgemälde auf Holz, »Erinnerung«, 1968: Der Stimmungszauberer Albert Ebert lässt aus der Tiefe des schimmerndes Raumes heraus eine kleine, fröhliche Gesellschaft ihre Liebenswürdigkeit an die Betrachter verströmen. Also an den Besucher der aktuellen Ausstellung »In memoriam Peter Röske«.
Es ist das allererste Bild in Röskes Besitz. Er erwarb es nach seiner erfolgreichen Promotion als Chemiker. Und es scheint, dass dieses Erstgeborene seiner später so großen Kunstsammlung auch das enthält, was einen kardinalen Wesenszug des so einzigartigen Galeristen ausmachte: die Zuwendung zum Menschlichen, wo es Ehrlichkeit im Gefühl, in der Haltung, in der Kunst, im jeweiligen Metier ist. Er war selbst einer der aufrichtigen Aufrechten. Dass Albert Ebert ein »halb verbotener Widerständler« gewesen sei, wie er seit Nachwendezeiten dargestellt wurde, mit dieser falschen Legende räumte Röske übrigens auf.
Ebenso blickfangend an schneeweißer Wand hängt da ein Aquarell des so unvergleichlichen Meisters dieser Kunst Gerhard Wienckowski: »Waldlichtung mit Schneeresten«, 1987, ein wie in nebligen Schleiern die Welt auflösendes, stimmungsvolles Landschafts- und noch viel mehr Himmelsbild, von der für ihn typischen außergewöhnlichen Intensität des Ausdrucks. Mit dem Maler, Zeichner und Grafiker aus Eberswalde war Röske jahrzehntelang in wunderbarer Freundschaft verbunden. Man erinnert sich auch bei diesem Blatt des Engagements Röskes für den abseits aller geforderten Ismen und Trends Arbeitenden. Denn hier wird mit einer klug getroffenen Auswahl Einblick in die private Sammlung des Kunstliebenden und des Freundes und Förderers der Künstler gegeben. Sie steht für das Gedenken an ihn. Vor zehn Jahren war er, 63-jährig, so unverhofft mitten aus schönster Arbeitslust heraus verstorben.
Der großformatige »Schmerzensmann«, 1967, von Willy Wolf ist ein Bild, das er ganz besonders liebte. Man sieht es, an der Parallelwand zur Eingangstür, mit einer eigentümlichen Mischung von Pop Art-Elementen seine optische Präsenz behaupten. Eine der vor lauter kluger Philosophie und Psychologie knuddelig gewordenen Holzplastiken von Lothar Sell, Grafik und Malerei von Nuria Quevedo - das »Mädchen mit Vulkanengel«, 2000, ist ein Glanz-Stück ihrer so eindrucksvollen Kunst -, ein Gemälde von Max Uhlig aus seiner Mecklenburger Zeit in den 70ern, von Hans Vent Grafik, dickes Öl und Keramik (gemeinsam mit seiner Frau Christina Renker geschaffen), von Horst Hussel die denkbar filigransten Zeichnungen und von so vielen anderen - Werke, zu denen allen es besondere Geschichten zu erzählen gäbe, indem sie durch die Hand eines Mannes gegangen sind, der Kunst- und Kulturgeschichte geschrieben hat. (Die Nennungen in diesem Text stehen wirklich nur pars pro toto, sonst wären sie nicht gerecht.)
Röske war einer der Initiatoren des Berliner Grafikmarkts, der von 1975 bis 1990, immer im November, in Berlin Druckgrafik, Aquarell, Keramik, Silberstiftzeichnung anbot - Grafik war die Kunstgattung, die in der DDR privates Sammeln quer im Bevölkerungsschnitt erlaubte. Überdies: Zwar - gezwungenermaßen - unter dem institutionellen Siegel des Kulturbunds firmierend, war der Berliner Grafikmarkt doch, wie Mitbegründer Robert Wolf treffend beschreibt, »eine Enklave intellektueller künstlerischer Freiheit.«
Als im Jahr 1989 für Röske wie für viele ostdeutsche Biografien durch den Umsturz beruflicher Verhältnisse eine Neuorientierung anstand, nahm Röske sie als Chance wahr, seiner Leidenschaft für Kunst und Künstler gemäß, eine eigene Galerie zu gründen. Kommerzielles Interesse - wie das für Privatgalerien selbstverständlich ist - spielte bei ihm keine Rolle. »Er kam allen entgegen, den Malern, die verkaufen mussten, und den Käufern, die wenig zahlen konnten«, hieß es im Nachruf Gunnar Deckers in dieser Zeitung wahrheitsgemäß. Oft genug kaufte er, nicht nur seiner Liebe wegen, sondern wenn es vor allem auch der Lage des Künstlers nach not tat, zu bestem Preise selbst. Was seine »Kunden« betrifft: »Man musste als Käufer aufpassen, dass er zu seinem Geld kam.« Eine Aussage, die nicht übertrieben ist, denn dem Kunsthändler, der er ja auch war, passierte das Verkaufen mehr, als dass er es betrieb, es war ihm stets Peinlichkeit, obwohl seine Ursache unabweisbar ist, weil im Doppelcharakter der Kunst liegend - sie ist auch Ware. Er war der Meinung, wie Decker schrieb, »Bilder und Geld gehören eigentlich gar nicht zusammen in eine Welt.«
Unvergessen bleibt Röske als Auktionator. Wer einmal bei einer seiner Auktionen dabei war, ist immer wiedergekommen, auch ohne jegliche Kauf- oder Mitsteigernsabsicht, weil es die Geldbörse nicht hergab. Denn er erhielt, da Röske zu jedem Werk etwas erzählte, ja, einfach erzählen musste, wie nebenbei einen nirgendwo sonst zu bekommenden Kurs in der Kunst der Bildbetrachtung überhaupt wie in Biografie und Schaffen des jeweiligen Künstlers, dessen Nummer gerade aufgerufen war.
Beispiele Röskescher Unermüdlichkeit und der an Besessenheit grenzenden Gründlichkeit seines Arbeitens sind auch, darauf sei hier verwiesen, das Werkverzeichnis von Paul Kuhfuss oder das Verzeichnis des Grafik-Œuvres von Hans Vent. Ebenso Künstlerbücher wie das Grafikbuch mit einem Text von Uwe Kolbe und Radierungen von Sabine Grzimek, das er 1990 edierte, und nicht zuletzt die wundervollen Mappenwerke. Die verlegerische Tätigkeit Röskes - auch sie folgte keinem merkantilen Impuls. Und was bei Galeristen die große Ausnahme ist: Er schrieb. Und zwar sind es Schriften, in denen sich größte Sachkenntnis, hohes intellektuelles Niveau und klare Schönheit der Sprache miteinander verbinden. Ob ein Bild gut oder schlecht gemalt war, zum Beispiel, da konnte man seines Urteils sicher sein. Er wusste genau, was solide war und was nicht. Seine Maßstäbe waren hoch. Über die Schaumschlägerei von Schlechtmalern war er erbost und er sagte es geradeheraus. Er verteidigte Kunst »der leisen Töne, die es schwer (hat), bemerkt und zur Kenntnis genommen zu werden«, gegenüber einem »Kunstbetrieb, in dem aufgeblähte Faxen und überdimensionierte Nichtigkeiten dominieren, in dem Sensationen mehr oder weniger geschickt und mit riesigem Aufwand inszeniert werden«.
Man löst sich ungern aus dem Kosmos der Werke, zumal sie auch von der Macht des Herzens Peter Röskes eine Ahnung geben. Beim Hinausgehen aus den Galerieräumen, beim - nur physischen - Verlassen dieser bezaubernd komponierten Gedenkausstellung fällt der Blick auf eine Plastik von Horst Sagert, den »Apollinischen Vorreiter« aus den 90er Jahren. Der Bildner, Dichter und Regisseur, der vor knapp drei Wochen gestorben ist, wurde berühmt mit seinem Bühnenbild zu »Der Drache« und »Ödipus Tyrann« am Deutschen Theater Berlin und zu »Doña Rosita bleibt ledig« an den Kammerspielen des DT. Von ihm sagte Einar Schleef, er sei der größte Theaterkünstler gewesen, den die DDR hervorgebracht hat, womit allerdings schlechthin nur ein Zipfelchen der Sagertschen Kunst angezupft wurde. Was Sagert in dieser kleinen, drahtig-luftigen Fantasiefigur in Kupfer, oxydationsgefärbt, zusammengebastelt hat, lässt Wehmut vergehen. Denn auch dieses grazile, sensible Denk-dir-und-empfinde-Was versichert: Was bleibt, ist wahre Kunst. Und somit ihre Schöpfer und - die Leistung ihres Vermittlers.
Galerie der Berliner Graphikpresse, Silvio-Meier-Straße (ehem. Gabelsberger Str.) 6: In memoriam Peter Röske. Bis 6.6., Mi-Fr 13-19, Sa 11-15 Uhr. www.galerie-berliner-graphikpresse.de Während der Ausstellungsdauer sind die Grafiken aus dem 1. Grafikkatalog in der Galerie zu besichtigen und zu erwerben.
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!