»Es war unmöglich, untätig zu bleiben«
Eine Ausstellung im August Bebel Institut in Berlin zeigt Fotos von den ersten Tagen der Gezi-Proteste
Rund fünfzig Männer knien mit gebeugten Rücken auf Teppichen. Mit der Stirn auf dem Boden und den Händen neben dem Kopf beten sie. Ein Paar hält sich in lockerer Umarmung, die Oberkörper leicht zueinander geneigt einen Tango tanzend. Dunkel gekleidete Männer mit schwarzen Tüchern vor Nasen und Mündern und gelben Bauhelmen auf den Köpfen blicken sich nach einem Feuer um, vor dessen Flammen und Rauchschwaden sie sich eilig zurückziehen. Drei Szenen im und um den Gezi-Park in Istanbul im Frühsommer vergangenen Jahres. Zu sehen sind sie auf Fotos einer Ausstellung im August Bebel Institut in Berlin-Wedding. »Gezi - the Beginning« zeigt Bilder vom Kollektiv Nar Photos und anderen Fotografen, die die Proteste um den Erhalt des Gezi-Parks im Mai und Juni 2013 mit ihren Kameras festgehalten haben.
Am Abend des 27. Mai fahren Baumaschinen auf den Gezi-Park und fällen fünf Bäume. Passanten und andere herbeigerufene Menschen stellen sich den Fahrzeugen in den Weg und bleiben über Nacht vor Ort, um den Abriss des Parks aufzuhalten, an dessen Stelle ein gigantisches Shoppingcenter entstehen soll. Am nächsten Mittag sollen weitere Bäume gefällt werden. Die Polizei geht mit Tränengas gegen die Protestierenden vor.
Mainstream-Medien berichten nicht über das, was im Zentrum der türkischen Metropole geschieht. Die ersten Bilder der Proteste und der Polizeigewalt werden über soziale Netzwerke verbreitet. Weitere Bäume werden gefällt, Zelte, die die Protestierenden im Park aufgestellt haben, vom Ordnungsamt verbrannt. Am Abend des 30. Mai haben sich bereits Zehntausende auf dem nahen Taksim-Platz versammelt. Die Polizei tritt, knüppelt und versprüht noch mehr Tränengas. Am 31. Mai geht die Polizei mit noch mehr Härte gegen die Demonstranten vor. Erst jetzt erscheinen die ersten Berichte in internationalen Medien. »Fünf Tage, nachdem Gezi begonnen hatte, haben wir in den türkischen Medien noch immer nichts darüber erfahren«, sagt Saner Şen, Mitglied von Nar Photos, bei der Eröffnung der Ausstellung in Berlin. Sobald er von den Protesten erfahren habe, sei er mit seiner Kamera hingeeilt, erzählt der Fotograf weiter, der unter anderem für National Geographic arbeitet. »Es war unmöglich, untätig zu bleiben.« Er selbst wurde mehrfach von Wasserwerfern getroffen. Einer seiner Kollegen verlor bei den Protesten ein Auge, ein anderer musste nach dem Tränengasbeschuss am Bein operiert werden. »Jeder, der im Gezi-Park war, hat irgendetwas abbekommen.«
Die Fotos zeigen, wie unterschiedlich die Proteste waren. Während einige Demonstranten Barrikaden bauten, brachten andere Transparente am Atatürk-Kulturzentrum an. Wieder andere verlegten ihre Yoga-Übungen in den Gezi-Park. Berühmt wurde der Stehende Mann, der stundenlang still an einer Stelle stand. Nach kurzer Zeit sammelte sich eine Menschenmenge hinter ihm, die ihn nachahmte.
Vom 1. bis 15. Juni waren der Gezi-Park und der nahe Taksim-Platz mehrheitlich »vom Staat befreit«, so Şen. Der Versuch der Polizei, am 11. Juni Park und Platz wieder einzunehmen, sei fehlgeschlagen. Am 15. Juni räumte die Polizei dann schließlich beide Orte. An dem Tag verloren die Bürger den Gezi-Park für sich. Später wurde der Bebauungsplan aber gerichtlich gekippt. Und: Ein neuer Protestgeist war geboren. Bereits am 15. Juni gründeten Menschen, die sich an den Gezi-Protesten beteiligt hatten, Bürger-Foren - ein friedlicher Versuch, gesellschaftliche Änderungen herbeizuführen. Auch die Foren wurden von der Polizei schließlich geschlossen. Doch das hinderte die Menschen nicht, sich zu organisieren: Aus den Foren wurden Versammlungen, die heute noch immer bestehen.
Bis 6. Juni, August Bebel Institut, Müllerstr. 163, Mo-Fr 14-18 Uhr, Eintritt frei
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