Islamisten in Irak: Kritik an Mitverantwortung der USA
CDU-Politiker Missfelder: Washington fehlte überzeugende politische Strategie / Linkenpolitiker van Aken: Bundesregierung unterstützt indirekt die Terroristen / ISIS erbeutet schweres gerät und Hunderte Millionen Dollar
Berlin. Die Bundesregierung hat nach Auffassung der Linkspartei wegen deutscher Rüstungsexporte in die Region eine indirekte Mitschuld an den jüngsten Gewaltausbrüchen im Irak. Katar wie auch Saudi-Arabien unterstützten islamistische Extremisten in Syrien und im Irak. Beide Staaten zählten zu den größten Empfängern deutscher Rüstungslieferungen, sagte der außenpolitische Sprecher der Linken, Jan van Aken, der »Saarbrücker Zeitung«. Im Deutschlandfunk hatte van Aken zuvor erklärt, »das Dramatischste« an dem Vormarsch der ISIS-Islamisten sei »die Brutalität oder Inkohärenz der deutschen Außenpolitik«. Die Bundesregierung müsste eigentlich sofort die Rüstungslieferungen nach Katar und Saudi-Arabien einstellen und die Botschafter der Länder einbestellen. »Da muss doch mal Druck ausgeübt werden. Aber da wird sozusagen hinten herum eigentlich kooperiert mit denen, die ISIS unterstützen«, so van Aken.
Der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Philipp Mißfelder, sagte der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung«, die USA hätten eine Mitverantwortung für die jüngsten Erfolge der Islamisten im Irak. Weder beim Einmarsch in das Land 2003 noch beim Rückzug hätten die US-Amerikaner »eine überzeugende politische Strategie für den Irak« gehabt. Eine Militärinvention Deutschlands schloss er aus. Auch der Publizist Peter Scholl-Latour warf Washington eine falsche Strategie im Irak vor. »Der Irak-Krieg und die Politik der Amerikaner haben die Probleme von heute dort erst geschaffen«, sagte der Nahost-Experte der »Passauer Neuen Presse«. Die Politik der USA sei »mehr als gescheitert«.
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir sagte am Freitagmorgen im Deutschlandfunk, der Fall des Iraks zeige, dass es einfacher ist »in ein Land reinzugehen«, als es stabil wieder zu verlassen. Er machte vor allem die irakische Regierung um Nuri Al-Maliki für die Vorgänge verantwortlich. Dieser müsste abgelöst werden, sonst könne die Lage nicht beruhigt werden. Özdemir nutzt zugleich die Gelegenheit, die Linkspartei zu kritisieren - diese sei zwar gut darin, zu erklären, wie es zu dem Vormarsch der ISIS komme, habe aber keine realistische Antwort darauf, gegen die nun stattfindenden Gräueltaten einzuschreiten.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf ISIS Bombenanschläge in Wohngebieten, Massenexekutionen, Folter, Diskriminierung von Frauen und die Zerstörung kirchlichen Eigentums vor. Einige Taten kämen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gleich. Der Linkenpolitiker van Aken warnte indes die USA davor, erneut militärisch in der Region einzugreifen. Denkbar seien etwa Drohnenangriffe. »Allerdings erleben wir ja gerade, dass die Militärintervention der USA vor elf Jahren den Irak nur noch tiefer in den Bürgerkrieg getrieben hat«, sagte van Aken.
Angesichts des Vormarschs der islamistischen Terrorgruppe schließt Washington eine militärische Reaktion im Irak allerdings nicht aus. Das Land brauche zusätzliche Hilfe von den USA, so US-Präsident Barack Obama. Alle Optionen lägen auf dem Tisch. Er wolle sicherstellen, dass die Extremisten gestoppt werden könnten, sagte der Präsident. Zuvor hatte es geheißen, die USA wollten sich nicht an Luftangriffen auf die Aufständischen beteiligen. Obama forderte die irakische Führung auf, an einer politischen Lösung zu arbeiten. »Dies sollte ein Weckruf für die irakische Regierung sein«, sagte er.
Derweil wurde bekannt, dass die USA mehrere hundert Landsleute aus einem irakischen Luftwaffenstützpunkt nördlich von Bagdad vorübergehend abgezogen haben. Das berichtete der Sender »Fox News« am Donnerstag unter Berufung auf namentlich nicht genannte Regierungsbeamte. Sie hatten in dem sunnitischen Gebiet irakische Sicherheitskräfte im Einsatz von Kampfjets und Überwachungsdrohnen trainiert. US-Außenamtssprecherin Jen Psaki bestätigte lediglich, dass US-Bürger wegen »Sicherheitsbedenken in der Gegend« den Ort wechseln würden. Es handle sich um Auftragnehmer der irakischen Regierung, die im Rahmen des Programms zu Militärverkäufen ans Ausland (FMS) im Irak seien.
Russland bezeichnete die Offensive von Isis als »zutiefst beunruhigend«. Es sei »zynisch«, den Terror im Irak als Folge der Syrienkrise zu bezeichnen, sagte Außenminister Sergej Lawrow am Donnerstag in Moskau. Lawrow sieht eine Mitschuld von Washington und London: »Wir können uns nicht darüber freuen, dass das Irak-Abenteuer der Amerikaner und Engländer nicht gut endet.«
Der Iran schickte unterdessen nach einem US-Medienbericht Revolutionsgarden in den benachbarten Irak, um die Dschihad-Verbände der ISIS zurückzudrängen, die große Teile im Norden und Westen des Iraks erobert haben. Mindestens drei Bataillone der Al-Quds-Brigaden, die Eliteeinheit der iranischen Revolutionsgarden, wurden zur Unterstützung geschickt, berichtete das »Wall Street Journal« unter Berufung auf iranische Sicherheitskreise.
Unter dem Druck der islamistischen Isis-Kämpfer droht der Irak zu zerbrechen. Die Regierung von Ministerpräsident Nuri al-Maliki bekam im Parlament keine Unterstützung für Notstandsmaßnahmen und im Kurdengebiet übernahmen Kurdenkämpfer regional die Kontrolle. Offiziere machten Al-Maliki sogar für die Schwäche des Widerstands gegen die Extremisten verantwortlich. Der Armeekommandant der Provinz Anbar, die sich seit Mittwoch in der Hand von Isis befindet, sieht laut »Al-Sumaria News« »das Fehlen eines moralischen Führers« als einen der Gründe, weshalb viele irakische Soldaten vor den Isis-Kämpfern geflohen sind.
Kämpfer der ISIS (»Islamischer Staat im Irak und in Syrien«) rückten am Donnerstag bis auf 60 Kilometer an Bagdad heran, bevor ihr Vormarsch gestoppt werden konnte. Nach Angaben der Organisation Ärzte ohne Grenzen sind mittlerweile rund eine Million Iraker auf der Flucht. Viele versuchten das als stabil geltende kurdische Autonomiegebiet im Nordirak zu erreichen. Allein in Mossul waren binnen weniger Stunden 500.000 Menschen vor den Extremisten geflohen.
Irakische Truppen bildeten in Bakuba, der Provinzhauptstadt Dijalas, eine gemeinsame Front mit Polizeikräften und freiwilligen Stammeskämpfern. Auch in Kirkuk wurden die Isis-Kämpfer nach kurzen Gefechten zurückgedrängt. Kurdische Medien meldeten, die ölreiche Stadt im Norden des Iraks sei nun in der Hand der unabhängigen Peschmerga, der Streitkräfte der kurdischen Autonomieregion. Deren Offiziere sagten, sie wollten Kirkuk nicht mehr an irakische Truppen zurückgeben. Seit der US-Invasion 2003 war die nordirakische Stadt ein ständiger Streitpunkt zwischen irakischen und kurdischen Kräften.
Nach dpa-Informationen erbeuteten ISIS-Kämpfer in Mossul 500 Milliarden irakische Dinar (318 Millionen Euro) in der Zentralbank. Damit wird Isis zur reichsten Terrororganisation vor Al-Kaida. Experten schätzen das Vermögen der Al-Kaida auf 50 Millionen bis 280 Millionen Euro. Auch schweres Kriegsgerät soll Isis erbeutet haben. Im Netz kursierende Videos zeigen irakische Panzer und Helikopter mit der schwarzen Flagge der ISIS bei einer Militärparade in Mossul. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.