Brandbomben auf Slawjansk?

Ukrainische Armee erobert Mariupol / Noch immer keine Fluchtkorridore für Zivilisten

  • Ulrich Heyden, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
Videos von Brandbomben über einem Vorort von Slawjansk nähren einen grausigen Verdacht. Die Nationalgarde dementiert heftig.

Die Aufständischen, die sich vor der ostukrainischen Stadt Slawjansk seit Wochen heftige Gefechte mit der Nationalgarde liefern, beschuldigen ihre Gegner, dass über dem Dorf Semjonowka - einem Vorort von Slawjansk - Brandbomben eingesetzt wurden. Die ukrainische Nationalgarde wies den Vorwurf in einer auf ihrer Website veröffentlichten Erklärung zurück. Man habe »Phosphorbomben nie besessen«.

Verschiedene Videoaufnahmen, die den Bombeneinsatz belegen sollen, sind seit Donnerstag im Internet zu sehen. Der russische Fernsehkanal Perwy sendete inzwischen auch Aufnahmen von einem Brandbombenabwurf zur Tageszeit. Zu sehen sind auch die für die Region typischen Plattenbauten. Trotzdem behauptet die ukrainische Website Stopfake.org, dass es sich um eine Fälschung handelt. Die Aufnahmen stammten angeblich aus dem Irak-Krieg, wo US-amerikanische Streitkräfte im November 2004 bei Falludscha Phosphorbomben einsetzten. Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte, die OSZE müsse die Vorwürfe untersuchen.

In der ostukrainischen Stadt Mariupol erzielte die ukrainische Armee nach schweren Kämpfen, die Tote und Verletzte forderten, einen militärischen Erfolg. Ukrainische Einheiten stürmten die Straßensperren der Regierungsgegner. Eingesetzt wurden dabei Granatwerfer und gepanzerte Fahrzeuge. Die Stadt sei nun unter vollständiger Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte, erklärte ein Sprecher des Innenministers in Kiew.

Angespannt bleibt die Situation in der Großstadt Donezk. In der Nacht zu Freitag wurde hier ein Bombenanschlag auf den Kleinbus des Vorsitzenden der »Volksrepublik Donezk« (DNR), Denis Puschilin, verübt. Drei Menschen starben, fünf wurden verletzt. Puschilin befand sich zum Zeitpunkt des Anschlages an einem anderen Ort. Es ist bereits der zweite Anschlag, den der DNR-Vorsitzende überlebt. Beim ersten Angriff starb einer seiner Berater.

Keinen leichten Stand hatte am Donnerstag der OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier. Der Italiener warb in einem Flüchtlingslager im südrussischen Gebiet Rostow vor etwa 100 Flüchtlingsfrauen aus der Ostukraine für die Einrichtung eines runden Tisches und erklärte, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wolle eine »blühende Ukraine«. Die Frauen reagierten wütend und verzweifelt. Eine Frau schrie, Poroschenko sei ein Mörder und für den Tod von Kindern verantwortlich.

Die vom Präsidenten schon mehrmals versprochenen Hilfskorridore für die Zivilbevölkerung gibt es immer noch nicht. Die Flucht nach Russland ist sehr gefährlich. So wurden zwei Busse mit Flüchtlingskindern drei Kilometer vor Slawjansk beim Dorf Rajgorodok von Unbekannten beschossen. Drei Menschen seien verletzt worden, berichtete die russische Agentur RIA/Novosti.

Der ukrainische Verteidigungsminister Michail Kowal gab bekannt, dass man im Südosten des Landes auch gegenüber Frauen »spezielle Filtrationsmaßnahmen« ergreifen wolle. Es solle herausgefunden werden, wer mit Separatisten Kontakt habe.

Ein »Infrastrukturprojekt«, das von der ukrainischen Industrie verwirklicht werden könne, pries der Gouverneur von Dnjepropetrowsk und Besitzer der »Privatbank«, Igor Kolomoiski. Der Oligarch will an der russischen Grenze einen fast 2000 Kilometer langen Zaun aus Stahl und Stacheldraht bauen lassen. Dem Präsidenten sei übermittelt worden, man solle dort Gräben ausheben und ferngesteuerte Minen verlegen.

App »nd.Digital«

In der neuen App »nd.Digital« lesen Sie alle Ausgaben des »nd« ganz bequem online und offline. Die App ist frei von Werbung und ohne Tracking. Sie ist verfügbar für iOS (zum Download im Apple-Store), Android (zum Download im Google Play Store) und als Web-Version im Browser (zur Web-Version). Weitere Hinweise und FAQs auf dasnd.de/digital.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!